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Johnsons Vorsprung schmilzt
Liberaldemokraten sehen Rückenwind für Anti-Brexit-Allianzen

Die Mehrheit des britischen Premiers Boris Johnson im Parlament in London ist nach einer Nachwahl auf eine einzige Stimme zusammengeschmolzen. Für die siegreichen und europafreundlichen Liberaldemokraten kann der Erfolg Vorbild sein für kommende Wahlen.

Von Korbinian Frenzel |
Boris Johnson muss sich als neuer Premier zum ersten Mal bei Wahlen beweisen: Verlieren seine konservativen Tories den Sitz bei den Nachwahlen in Wales, schrumpft seine Mehrheit im Unterhaus auf eine Stimme.
Der britische Premierminister Boris Johnson spricht während eines Treffens im Innenministerium in London. (AfP / Kirsty Wigglesworth )
Die Wahlgewinnerin der Liberaldemokraten will gleich loslegen: "Das erste, was ich als Ihre Abgeordnete tun werde in Westminster", verspricht Jane Dodds in ihrer Siegesrede: Boris Johnson suchen, wo immer er sich verstecken mag, und ihm sagen: 'Hören Sie auf mit der Zukunft unserer Gemeinden zu spielen und schließen Sie einen Brexit ohne Abkommen aus!'."
Es ist die erste Botschaft, die von der Nachwahl in der walisischen Grafschaft Brecon und Radfortshire ausgeht. Mit einer Anti-Brexit-Allianz hat die Liberaldemokratin den konservativen Tories den Unterhaussitz abgenommen. Gut 43 Prozent der Wähler gaben ihr das Vertrauen. Unterstützt wurde Dodds dabei von den Grünen und den walisischen Nationalisten der Plaid Cymru, die auf eigene Kandidaten verzichtet hatten.
Knappes Rennen
Für die Konservativen kommt die Niederlage nicht unerwartet, die desaströsen Europa-Wahlergebnisse und auch frühere Umfragen für den Wahlkreis hatten ein Desaster angekündigt. Jetzt holte der Kandidat der Konservativen und bisherige Amtsinhaber Chris Davies immerhin fast 39 Prozent – und damit Platz zwei.
"Es war am Ende ein sehr knappes Rennen - und das, obwohl die Liberaldemokraten als haushohe Favoriten galten", freut sich der Generalsekretär der Konservativen, James Cleverly in der BBC.
Schadenfreude, auch über das Ergebnis des Labour-Kandidaten. Gerade einmal fünf Prozent holt Labour und damit nur Platz vier – die Partei, so Cleverly, die für sich reklamiere, bereit zu sein, die Regierung zu übernehmen.
Der "Boris Bounce", also der Sprung nach vorne in den Umfragen, seit dem Johnson Premier ist, hat offenbar bei der Nachwahl in Wales Wirkung gezeigt. Auch im Wettbewerb mit der "Brexit Party" von Nigel Farage. Sie landet bei zehn Prozent – frühere Umfragen hatten ihr das Doppelte prognostiziert.
Mit "Boris Bounce" zu Neuwahlen?
Am Ergebnis für die Mehrheitsverhältnisse im britischen Unterhaus ändert das alles aber nichts. Durch den Verlust des Sitzes hat Boris Johnson nur noch eine Stimme Mehrheit. Eine wackelige Grundlage für das schwierige Projekt Brexit, dem sich der Premier voll und ganz verschrieben hat mit dem Versprechen, den Austritt aus der EU zu liefern – ohne Wenn und Aber zum 31. Oktober.
Spekuliert wird deshalb schon seit Tagen, ob Johnson den frischen Rückenwind nutzen könnte für landesweite Neuwahlen. Aus Sicht des Politikwissenschaftler John Curtice wäre das ein riskanter Weg: "Der Boris Bounce ist gut für die Konservativen, aber er ist noch nicht gut genug, um wirklich darauf vertrauen zu können, dass eine Neuwahl dem Premierminister eine bessere Mehrheit liefern würde als die, die er jetzt hat."
Die Nachwahl in Wales hat gezeigt, dass vor allem die profitieren, die in der Lage sind, Allianzen zu schmieden. Jo Swinson, die Vorsitzende der Liberaldemokraten, will das Beispiel von Brecon and Radnorshire landesweit anwenden und wirbt bei anderen Parteien für Anti-Brexit-Allianzen.
"Großbritannien muss sich nicht zwischen Boris Johnson und Jeremy Corbyn entscheiden", das sei eine der Kernbotschaften dieser Nachwahl in Wales, erklärte die Parteichefin nach dem Wahlerfolg ihrer Partei. Mit den Liberaldemokraten gebe es eine positive Alternative.