Wenn Joko und Klaas ProSieben kapern dürfen, dann ist das inhaltlich immer entweder sehr unterhaltsam oder sehr relevant, oft sogar beides zusammen.
Es gibt aber noch einen anderen Mehrwert, wenn die beiden die gewohnten Programmabläufe ihres Haussenders durcheinander bringen: das Medium lässt sich grundsätzlich hinterfragen. 24 Stunden Programmgestaltungsfreiheit hatten die beiden in der letzten Ausgabe "Joko und Klaas gegen ProSieben" gewonnen und lösten diesen Gutschein nun in der Nacht von Samstag auf Sonntag ein.
Die Magie von linearem Live-Fernsehen
Wir als Publikum hatten dank der Programmübernahme die Möglichkeit, einen ganzen Tag lang beim linearen Live-Fernsehen über das lineare Live-Fernsehen nachdenken zu können.
Wenn wir TV-nostalgisch werden, sehnen wir uns oft nach dem kollektiven Moment des gemeinsamen Schauens zurück - das immer wieder zitierte Lagerfeuer. Vielleicht war das der Grund, warum wir doch noch die letzte Folge "Wetten dass..?" geschaut haben, warum "Schlag den Star", "Dschungelcamp" und der Eurovision Song Contest nach wie vor so gut funktionieren?
Seherfahrung hat sich medial verlagert
Unsere heutige Seherfahrung hat sich in Teilen medial verlagert: Viele von uns sehen jetzt mit Social Media kollektiv und kritisch fern. Während wir uns gegenseitig dabei zuschauen, wie wir schauen, versichern wir uns, wie gut oder schlecht das Programm ist. Nicht, um uns unterhalten zu lassen, sondern um uns durch die gemeinsame Unterhaltung darüber unterhalten zu lassen.
Bewerten trägt zum Gemeinschaftsgefühl bei, weshalb Fernsehen, das mit Social-Media-Nutzung ergänzt wird, eine neue Form von Lagerfeuer ermöglicht: nicht das behagliche, um das sich alle versammeln, sondern das gemeinsame Etwas-brennen-Sehen.
Programmübernahme als "kindlich-neugieriges Zündeln"
Da passte es, dass Joko und Klaas nun ihre Programmübernahme mit einem Feuerwerk starteten, mit welchem sie das Innere eines Senderkellers abfackelten. Dennoch war ihr Lagerfeuer nicht destruktiv, aber auch nicht behaglich. Es war eher ein kindlich-neugieriges Zündeln.
Der Live-Charakter dieser 24 Stunden, die Unvorhersehbarkeit, aber auch die schiere Länge, erzeugten einen wohligen Sog der Verheißung, dem man sich gerne auslieferte, staunend und spekulierend, was da noch kommen möge.
Quatschige Regression und organisierte Anarchie
Joko und Klaas dekonstruierten das typische Frühstücksfernsehen, spielten UNO mit Sido, ließen eine Folge "Mein bester Freund" rückwärtslaufen, zeigten Antilopen in Namibia, die Simpsons, Steven Gätjen, als er in den Neunzigern "taff" moderierte und verquizzten 100.000 Euro.
Irgendwo zwischen "Durch die Nacht mit" auf Arte, obskurem Offenen Kanal und Schlingensiefs Fernsehdadaismus entstand da ein eintägiges Fernsehfeuerwerk aus quatschiger Regression und organisierter Anarchie.
Fernseherfahrung ähnelt TikTok-Rezepetion
Das demonstrierte, dass Erwartungsaufbau mal Unvorhersehbarkeit die diebischste Art der Spannung erzeugt: die Alles-ist-möglich-Spannung.
Und plötzlich merkt man, was sich daran neu anfühlt: die Fernseherfahrung erinnert an die TikTok-Rezeptionssituation. Die Mischung aus Dadaismus, den Retroclips, den Livestreams, der Unterhaltsamkeit, gepaart mit der Hoffnung, dass nach jedem Format das nächste noch lustigere Format kommen könnte.
Mit Erfolg: In der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen erreichte ProSieben einen Marktanteil von 17,4 Prozent.