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Jordan Peterson: "12 Rules for Life - An Antidote to Chaos"
Gegen die moderne Welt

Der kanadische Psychologe Jordan Peterson vertritt umstrittene Ansichten. Er polemisiert gegen politische Korrektheit, Gender-Studies und Feminismus. Seine Thesen provozieren und haben ihn im Internet zu einem Star gemacht. Nun erteilt er seine konservativen Lebensratschläge auch in Buchform.

Von Raphael Smarzoch |
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    Einsam nicht nur stribt, sondern lebt auch noch der Mann (Cover: Randomhause Canada / Hintergrund: imago)
    Zwölf Regeln stellt Jordan Peterson in seinem neuen Buch auf. Zwölf Regeln, die er als Gegengift gegen das Chaos begreift. Räume dein Zimmer auf. Vergleiche dich mit dem, der du gestern warst, und nicht mit dem, was ein anderer heute ist. Schließe Freundschaften mit Menschen, die nur das Beste für dich wollen.[*] Seine Leserschaft: Hauptsächlich junge Männer, die sich in einer Sinnkrise befinden und mit ihrem Leben nicht mehr klarkommen. Für Trost ist in Petersons Ausführungen allerdings kein Platz. Formuliert wird im Imperativ, brutal und gnadenlos:
    "Hör auf, das zu tun, wovon du weißt, dass es falsch ist. ... Sag nur die Dinge, die dich stark machen. Tue nur die Dinge, von denen du mit Ehre sprechen kannst."
    Das Leben als Leidensweg
    Für Peterson ist das Leben ein Leidensweg, ein ständiger Kampf um Dominanz und Anerkennung. "Stelle dich aufrecht und mit zurückgezogenen Schultern hin", lautet die erste Regel seines Buches. Nur so sei es möglich, Verantwortung zu übernehmen. Peterson fordert seine Leser auf, sich nicht ständig zu beschweren und beleidigt zu sein. Es gilt, sich der omnipräsenten Opferkultur der politisch korrekten Gutmenschen zu widersetzen und kein verweichlichtes Schneeflöckchen zu sein. Es ist nicht verwunderlich, dass diese strengen Reflexionen rechtskonservativer Prägung heutzutage auf einen so fruchtbaren Nährboden fallen und das Buch zu einem internationalen Bestseller gemacht haben.
    Es scheint ein Bedürfnis nach autoritären Strukturen zu geben, hervorgerufen durch eine Politik, die Jordan Peterson kaum etwas entgegenzusetzen zu hat. Stattdessen warnt sie zum Beispiel vor verstörenden Inhalten, gibt sogenannte Trigger-Warnings. Sie überlegt, ob es sinnvoll sei, Toiletten für Menschen des dritten Geschlechts zu bauen und besteht auf eine gegenderte Sprache. Niemand soll verletzt werden, sich benachteiligt oder ausgeschlossen fühlen. Dass dieses um Identität und persönliche Befindlichkeiten zentrierte Denken zwangsläufig zu einer Infantilisierung des politischen Diskurses und der daran teilnehmenden Menschen führt, wird nicht erkannt oder schlichtweg ignoriert.
    Peterson behandelt seine Leser nicht wie Kinder
    Peterson hingegen behandelt seine Leser mit seiner kriegerischen Rhetorik nicht wie Kinder, sondern adressiert sie als Erwachsene, die keine Schutzräume benötigen. Der bewusste Ausschluss jeglicher Bedrohung mache den Menschen vollkommen nutzlos, argumentiert er. Prinzipiell ist ihm diesbezüglich nicht zu widersprechen. Charakterbildung erfolgt durch eine Konfrontation mit dem Anderen. Es gilt, Dissonanzen auszuhalten und auch mit Meinungen umgehen zu können, die nicht ins eigene Weltbild passen. Nur so lassen sich Lernprozesse in Gang setzen und neue Erfahrungen sammeln. Zumal die Absicht, alles Unerwünschte zu verbannen, schlichtweg unmöglich ist. Bizarr ist jedoch, dass Peterson die biblische Schöpfungsgeschichte zur Illustration dieser Problematik wählt.
    "Es ist einfach unmöglich, sogar für Gott, einen begrenzten Raum zu schützen. [...] Selbst die sichersten Schutzräume beherbergen zwangsläufig eine Schlange."
    Selbstoptimierung als religiöse Praxis
    Gott taucht immer wieder in seinen Ausführungen auf. Der Glaube an seine Existenz wird vorausgesetzt. Für einen atheistischen Skeptizismus ist kein Platz. Das ist unter zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Von einem Psychologen sollte man erwarten, neutral zu sein und persönlichen religiösen Überzeugungen keinen Platz in seinen Schriften einzuräumen. Stattdessen stolpert man immer wieder über Passagen, in denen Peterson beispielsweise ausführt, man habe die moralische Verantwortung vor Gott, sich nicht gehen zu lassen und müsse daher alles daransetzen, sein Leben zu verbessern, es wieder lebenswert zu machen. Selbstoptimierung wird hier zu einer Form religiöser Praxis. Petersons gottesfürchtige Argumentationen weisen darüber hinaus auf einen weitaus problematischeren Umstand hin: Ein dualistisches Weltbild, das in einem Denken in archaischen Dichotomien grundiert ist - Gut oder Böse, Himmel und Hölle, Ordnung und Chaos, richtig oder falsch.
    "Noch älter und tiefer als die Ethik ist jedoch die Religion. Religion beschäftigt sich nicht mit reinem Recht und Unrecht, sondern mit dem Guten und Bösen selbst - mit den Archetypen von Recht und Unrecht."
    In Zeiten, in denen das Internet eindeutige Kategorisierungen aufgelöst hat, mutet dieses Denken befremdlich an. Peterson sucht nach Kontinuitäten, nach festen Zuschreibungen, die seiner Meinung nach von der Postmoderne relativiert worden sind. Jacques Derridas Philosophie bezeichnet er als "nihilistisch und destruktiv". Die Frankfurter Schule, dessen populärsten Vertreter Theodor W. Adorno er nicht einmal namentlich nennt, vergleicht er mit einer marxistischen Hexenküche. Peterson geht es um die Aufrechterhaltung von Traditionen und die Suche nach einer festen Ordnung, die er als männlich charakterisiert. Chaos hingegen sei das Ewig-Weibliche.
    "Ordnung, das Bekannte, wird auf symbolischer Ebene mit Männlichkeit assoziiert. Dies liegt vielleicht daran, dass die primäre hierarchische Struktur der menschlichen Gesellschaft männlich ist, wie es bei den meisten Tieren der Fall ist, einschließlich der Schimpansen. […] Chaos, das ewige Weibliche, ist auch die zerstörerische Kraft sexueller Selektion. Frauen sind wählerisch. Die meisten Männer erfüllen ihre Standards nicht. […] Für die Männer ist das eine direkte Begegnung mit dem Chaos, dessen zerstörerische Kraft sie jedes Mal spüren, wenn sie einen Korb bekommen."
    Die Kraft der Archetypen
    Die aus diesen Zuschreibungen resultierenden Geschlechterbilder muten antiquiert an. Rückschrittlich ist auch der philosophische Bodensatz seiner Thesen. Petersons Revolte gegen die moderne Welt ist inspiriert von der Archetypenlehre Carl Gustav Jungs. Mythen, Träume und Religionen bilden für ihn unumstößliche Fundamente menschlicher Identität. Sie stellen absolute Wahrheiten dar, die von Generation zu Generation weitergeben werden. Jung glaubte, dass in diesen archetypischen Kräften ungeheures Potential für das Individuum und Kollektiv schlummerte. Spätestens hier kam der Schweizer Tiefenpsychologe nationalsozialistischem Gedankengut gefährlich nahe. Ebenfalls von Bedeutung für Peterson ist der amerikanische Mythologe Joseph Campbell, der in uralten Überlieferungen transformative Kräfte diagnostizierte.
    Von der Moderne korrumpierte Gesellschaften seien nur durch sie wieder heilbar. In dieses antimoderne Lamento, das bereits seit den 1930er-Jahren zu hören ist, stimmt also nun auch Peterson ein. Seine Sehnsucht nach einer reinen Vergangenheit, nach verlorenen Werten und Tugenden orientiert sich nicht nur an einem esoterischen Denken, das innerhalb des Wissenschaftsbetriebs schön längst als überholt gilt, sondern ist zudem auch nicht besonders originell. Beim Lesen des Buches hat man immer wieder den Eindruck als würde Peterson die Thesen seiner Vorbilder wieder aufwärmen und sie bloß an die heutigen Verhältnisse anpassen.
    Der Feind ist jedoch identisch geblieben und im sogenannten Kulturmarxismus und ihren Vertretern ausgemacht, den Social Justice Warriors, Soziale-Gerechtigkeits-Kriegern. Ihnen ist Peterson ein Dorn im Auge, der ihr einstudiertes Narrativ sozialer Ungerechtigkeit zu bestätigen scheint. Das Privileg weiß zu sein, bestreitet der kanadische Psychologe beispielsweise. Die faktischen Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen sind für ihn nicht ausschließlich eine Frage des Geschlechts, sondern vielmehr abhängig von diversen Variablen. Mit diesen Thesen provoziert Peterson, auch wenn er behauptet, es nicht absichtlich darauf anzulegen. Nahezu alle Rezensionen seines Buches sind negativ ausgefallen. Es scheint selbstverständlich zu sein, ihn ob seiner rechtskonservativen Ansichten abzulehnen und sich damit auf der moralisch richtigen Seite zu wähnen. Darin manifestiert sich ein gefährliches Symptom unserer Zeit: Die Verkürzung von Diskursen, die Unterbindung von Antagonismen und die Ächtung von Meinungen, die nicht ins eigene Weltbild passen. Man muss Peterson nicht mögen, zuhören sollte man ihm trotzdem. Denn nur so kann man ihm widersprechen.
    Jordan Peterson: "12 Rules for Life – An Antidote to Chaos"
    Random House Canada, 409 Seiten, 12,99 Euro.

    [*] Anmerkung der Redaktion: In den beiden Regeln vor der Fußnote wurden im Text sowie in der Audiofassung zwei Übersetzungsfehler korrigiert.