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Jordanien
Archäologie-Klassen für syrische Flüchtlingskinder

Im jordanischen Dorf Umm el Jimal unweit der syrischen Grenze erkunden Flüchtlingskinder aus Syrien historische Ruinen - um die Geschichte ihrer Heimatregion kennen zu lernen. Ins Leben gerufen wurde das Projekt von einem Archäologen aus Deutschland.

Von Anna Osius |
    Archäologie-Unterricht für syrische Flüchtlingskinder im jordanischen Umm el Jimal
    Archäologie-Unterricht für syrische Flüchtlingskinder im jordanischen Umm el Jimal (Deutschlandradio / Anna Osius)
    Schwarze Ruinen bis zum Horizont – eine komplette historische Stadt aus Zeiten um Christi Geburt. Wir sind in Umm el Jimal, ein Dorf in Jordanien nahe der syrischen Grenze. Hier liegt eine der wertvollsten archäologischen Stätten der Region. Viele internationale Archäologen-Teams sind in der Gegend vor Ort und machen Grabungen. Der Krieg in Syrien ist hier gerade mal drei Kilometer entfernt.
    Zwischen den Ruinen: fröhliches Kinderlachen. Ca. 30 Kinder toben auf einem Platz zwischen den archäologischen Stätten, spielen ausgelassen. Syrische Flüchtlingskinder und jordanische Kinder kommen hier am Wochenende zusammen, um die historischen Überbleibsel ihrer Heimatregion zu entdecken und zu lernen. Die Archäologie-Klassen hat Thomas Weber ins Leben gerufen, ein deutscher Archäologe aus Mainz, der in Jordanien lebt. Der Gedanke des Projektes:
    "Wir wollen, dass die Kinder sich mit dem gesamten Ort identifizieren, ihn als Teil ihrer Heimat begreifen, in dem wir sie über Hintergründe informieren. Und zugleich erhalten sie die lebenslange Patenschaft für einen Stein in der Siedlung, um sie zeitlebens daran zu erinnern, das ist unser Stein."
    Lernen mit dem Erdbebensimulator
    Ein weiteres Ziel des Projekts: zum friedlichen Miteinander der Religionen beizutragen. Die barbarischen Verwüstungen durch die Terrororganisation Islamischer Staat im syrischen Palmyra besprechen die Projektleiter mit den Kindern.
    "Deshalb setzen wir möglichst früh an, um klar zu machen, dass Baudenkmäler nicht von religiösen Maximen und Propaganda abhängen und daher erhaltenswert sind."
    Den Unterricht leitet ein Kollege von Thomas Weber, der jordanische Archäologe Muafak Hasar. Er hat den Kindern heute etwas ganz Besonderes mitgebracht: Einen Erdbebensimulator. Denn die Region hier ist Erdbeben geplagt, ein schweres Erdbeben zerstörte Umm el-Jimal vor hunderten Jahren und machte die Ruinenstadt zu dem, was sie heute ist.
    Das wollen die Archäologen den Kindern vermitteln. Der Erdbebensimulator erinnert an einen großen Plattenspieler – nur, dass auf der großen runden Fläche keine Schallplatten liegen, sondern bunte Bauklötze. Begeistert bauen die Kinder eine Stadt aus Bauklötzen, Türme, Häuser, Brücken.
    Dann legt Muafak den Schalter um. Das Gerät beginnt zu summen und zu brummen, die Platte bewegt sich, wackelt hin und her, verschiebt sich – wie bei einem Erdbeben. Die ersten Bauklötze fallen herunter, Steine purzeln hin und her, am Ende bricht die ganz kleine Bauklotzstadt in sich zusammen
    Die Kinder sind begeistert, jetzt haben sie verstanden, warum hier so viele Ruinen sind.
    Mädchen, 11 Jahre: "Der Boden bebt und das merkt man dann in den Gebäuden, die fallen zusammen. Das nennt man dann Erdbeben."
    Muafak: "Daran werden sie sich immer erinnern. Dieser praktische Unterricht ist hundertmal besser als abstrakte Lehre im Klassenzimmer. Das hier behalten sie, werden sie noch ihren Kindern erzählen, dass sie wissen, wie ein Erdbeben funktioniert."
    Sagt Archäologe Muafak. Doch die Erschütterungen, die die Kinder hier kennen, haben oft noch einen ganz anderen Hintergrund. Der Krieg in Syrien ist gerade mal drei Kilometer entfernt – regelmäßig hören sie Bombeneinschläge, Granaten, sagt der zwölfjährige Marwan.
    "Wir hören die Angriffe. Raketeneinschläge, laute Explosionen, dann zittern die Fenster und der Boden bebt."
    Viele syrische Familien in Jordanien leben am Existenzminimum
    Die meisten Kinder hier sind traumatisiert, haben Schreckliches erlebt. Die Archäologie-Klasse ist für sie die einzige Chance, herauszukommen aus ihrem Alltag als Flüchtlingskinder. Und eine warme Mahlzeit zu bekommen – für viele die einzige am Tag. Manche tragen die ausgeteilten Limonaden-Dosen wie einen Schatz mit sich herum, ihr Essen rühren einige nicht an, weil sie es mit nach Hause bringen sollen, um es dort zu teilen. Viele der syrischen Familien hier leben am Existenzminium, erzählt Archäologe Muafak.
    "Wir müssen uns um sie kümmern wie um unsere eigenen Kinder. Wir haben hier unsere eigene Art zu unterrichten, wir sind nicht streng, sondern machen viele Späße zusammen, damit sie spielerisch lernen. Man muss immer an ihr Alter denken und an ihre Situation."
    Magst du den Ort hier – kommst du gerne hierhin? Wollen wir von dem elfjährigen Mehanad wissen, der seine Mutter im Syrienkrieg verloren hat.
    "Ja, das ist ein schöner Ort. Ich habe hier viel über das Kulturgut gelernt, wie die früher gebaut haben, welche Könige hier gelebt haben. Und: Es hilft mir."
    Für Thomas Weber ist das Projekt mit den Kindern einer der Höhepunkte seiner Arbeit. Mehr als 150 syrische und jordanische Kinder haben bereits die Archäologie-Klassen besucht.
    "Wir Archäologen registrieren ja die Baudenkmäler in zerstörtem Zustand. Wir versuchen den Kindern das Gefühl zu vermitteln, dass alles reparabel ist, alles Materielle, dass die Schäden immer sichtbar bleiben, aber dass diese Schäden Teil einer Geschichte sind, die vorüber geht. Wir haben in der vergangenen Woche zerschlagene Gefäße wieder restauriert. Die Kinder verstanden, wozu diese Gefäße dienten, dass jetzt aber Risse drin sind, die wir so akzeptieren müssen. Aber dass wir die Gestalt wiederhergestellt haben."