Es ist Hochzeitssaison in der jordanischen Hauptstadt Amman. Wie immer in den Sommermonaten. In den 5-Sterne Hotels feiern Hunderte, manchmal Tausende das Brautpaar und sich selbst. Wenn die Reichen und Schönen es sich gut gehen lassen, werden riesige Buffets aufgebaut. Mindestens eine Live-Band spielt auf und professionelle Videoteams nehmen jeden Wimpernschlag des Brautpaares auf. Bis in die Nacht hinein wird laut gefeiert.
Nur fünf Kilometer von den Hotels entfernt liegt der Stadtteil Jabal Hussein. Eine mehrspurige Straße führt mitten hindurch. An der Ampel an einer Bergkuppe geht es links ab. Sofort ändert sich das Straßenbild. Jabal Hussein ist ohnehin schon ein ärmerer Stadtteil. Aber diese Straße hier macht sofort einen wirklich desolaten Eindruck. Große Löcher in der Fahrbahn erschweren die Fahrt.
Gedrungene, kleine Geschäfte flankieren die Straße auf beiden Seiten. Einige der Läden sind leer und gleichen eher schmutzigen Ruinen. Der Müll türmt sich am Rande der Straße. Es stinkt in der sengenden Mittagssonne erbärmlich. Willkommen im Palästinenserlager Hussein.
32.000 Flüchtlinge leben im Palästinenserlager Hussein
Das Camp liegt an einem Hügel. Steile und lange gemauerte Treppen führen durch das Häusermeer den Berg hinunter. Das Lager Hussein, eines von zehn offiziellen Palästinensercamps, ist mit 0,4 Quadratkilometern nicht besonders groß. Dicht an dicht leben hier 32.000 registrierte Flüchtlinge. Ausbauen kann man das Lager nicht. Es liegt mitten in Amman und grenzt an andere Stadtteile.
An der Hauptstraße betreibt Maher Abu Kweik ein Haushaltswarengeschäft. Der 50Jährige stammt ursprünglich aus Lod, heute Israel, seine Frau kommt aus Gaza. Eher missmutig schaut er sich um:
"Dieses Camp ist nicht sehr gut. Es fehlt an vielem. Das betrifft unter anderem die Gesundheitsdienste und die Müllentsorgung. Schauen Sie, wie schmutzig alles hier ist. Es ist gerade noch erträglich, aber alles andere als gut."
Nur wenige Meter die Straße hinauf räumt Samir Kopti, dessen Familie aus Jaffa stammt, Schubläden mit Goldschmuck in die Schaufensterauslagen. Er zieht eine ähnlich düstere Bilanz wie sein Geschäftsnachbar:
"Das Lager ist arm, weil wir sehr viel weniger Einwohner haben als andere Lager, Wahdat oder Baqua zum Beispiel. Wir liegen auch nicht so isoliert in der Gegend wie das Baqua-Camp. Wir sind ein Ortsteil der Stadt Amman. Der Nachteil für uns: Die Leute gehen nur ein paar Minuten aus dem Lager und kaufen in den anderen Stadtteilen ein. Das merke auch ich in meinem Geschäft. Im Wahdat Camp muss man auch dort einkaufen, denn drum herum ist nur Steinwüste."
Flüchtlingen aus Gaza geht es besonders schlecht
Die Stimmung ist schlecht im Hussein Camp. Hohe Arbeitslosigkeit, geringe Einkommen und eine Infrastruktur, die dringend erneuert werden müsste. Den Schulen und Krankenhäusern mangelt es an Fachkräften. Aber sowohl dem UN-Hilfswerk für die Palästinaflüchtlinge UNWRA als auch der jordanischen Regierung sind enge finanzielle Grenzen gesetzt. Auf Abhilfe müssen die Menschen im Lager Hussein noch lange warten.
Besonders schlecht geht es den Flüchtlingen aus Gaza. Sie stellen eine absolute Minderheit im Lager dar. Ihre Rechte sind gegenüber den Vertriebenen aus dem Westjordanland stark eingeschränkt. Während die einen jordanischen Pass haben, müssen sich die Gaza-Leute mit vorläufigen Papieren begnügen.
Besonders schlecht geht es den Flüchtlingen aus Gaza. Sie stellen eine absolute Minderheit im Lager dar. Ihre Rechte sind gegenüber den Vertriebenen aus dem Westjordanland stark eingeschränkt. Während die einen jordanischen Pass haben, müssen sich die Gaza-Leute mit vorläufigen Papieren begnügen.
Generell, so sagen die Flüchtlinge aus Gaza, werden sie in Jordanien schlechter behandelt als diejenigen, die aus dem Westjordanland kommen. Mohammad Abed Rabbo bestätigt das. Der 16-Jährige lungert in der kleinen Metzgerei seines Vaters herum. Müsste er nicht eigentlich in die Schule gehen?
"Die Lehrer haben mich geschlagen, wenn ich etwas falsch gemacht habe", berichtet Mohammad. "Und sie haben mich dauernd angebrüllt. Warum soll ich also weiter in die Schule gehen. Da lerne ich doch lieber bei meinem Vater in der Metzgerei. Das ist viel besser." Ansonsten interessiert sich Mohammad nur noch für Fußball. Und einen Lieblingsverein hat er natürlich auch.
"Die Lehrer haben mich geschlagen, wenn ich etwas falsch gemacht habe", berichtet Mohammad. "Und sie haben mich dauernd angebrüllt. Warum soll ich also weiter in die Schule gehen. Da lerne ich doch lieber bei meinem Vater in der Metzgerei. Das ist viel besser." Ansonsten interessiert sich Mohammad nur noch für Fußball. Und einen Lieblingsverein hat er natürlich auch.
Jordanien erlebt eine Bevölkerungsexplosion
In Jordanien leben 2,3 Millionen registrierte palästinensische Flüchtlinge. Die meisten sind Nachfahren jener Generation, die nach dem ersten arabisch-israelischen Krieg 1948 ins Land kamen. Sie leben überwiegend heute in den großen jordanischen Städten und sind gut integriert. Der Sechs-Tage-Krieg 1967 und die Auseinandersetzungen um den Irak spülten weitere Flüchtlingswellen ins haschemitische Königreich.
Und jüngst kamen auch noch Hunderttausende aus dem Bürgerkriegsland Syrien hinzu. Jordanien erlebte eine wahre Bevölkerungsexplosion. Seit den 90er-Jahren hat sich die Zahl der im Königreich Lebenden verdreifacht. Geschichtsprofessor Ali Mahafzah erläutert.
"Jordanien ist ein Land, das nicht mit zehn Millionen Einwohnern zurechtkommt. Wir haben geringe natürliche Ressourcen, unsere Wirtschaft liegt am Boden, wir hängen von ausländischer Hilfe ab, die aber nicht ausreicht. Vor allem nicht für die Hunderttausenden von Flüchtlingen aus unseren Nachbarstaaten."
Alle Einwohner Jordaniens bekommen die negativen Folgen dieser Entwicklung zu spüren. Am härtesten trifft es aber die Ärmsten der Armen. Dazu gehören die 350.000 palästinensischen Flüchtlinge, die in den zehn offiziellen Lagern leben. Betrieben werden diese Camps von der UNRWA, also dem UN-Hilfswerk für die Palästinaflüchtlinge. Angesichts der Not müsste die Organisation ihre Unterstützungsleistungen erhöhen.
"Jordanien ist ein Land, das nicht mit zehn Millionen Einwohnern zurechtkommt. Wir haben geringe natürliche Ressourcen, unsere Wirtschaft liegt am Boden, wir hängen von ausländischer Hilfe ab, die aber nicht ausreicht. Vor allem nicht für die Hunderttausenden von Flüchtlingen aus unseren Nachbarstaaten."
Alle Einwohner Jordaniens bekommen die negativen Folgen dieser Entwicklung zu spüren. Am härtesten trifft es aber die Ärmsten der Armen. Dazu gehören die 350.000 palästinensischen Flüchtlinge, die in den zehn offiziellen Lagern leben. Betrieben werden diese Camps von der UNRWA, also dem UN-Hilfswerk für die Palästinaflüchtlinge. Angesichts der Not müsste die Organisation ihre Unterstützungsleistungen erhöhen.
Das Gegenteil ist aber der Fall, weil der UNRWA vor allem auf Betreiben der USA die Mittel gekürzt wurden. Was das für die Flüchtlinge bedeutet, erklärt Roger Davis. Er ist der Direktor für alle UN-Lager in Jordanien.
"Wenn du plötzlich 300 Millionen Dollar weniger hast als erwartet - bei einem gesamten Budget von1,4 Milliarden - dann ist das schon ein riesiges Problem für uns. Wir müssen also sparen und Leistungen zurücknehmen. Zum Beispiel können wir nicht Ärzte, die ausfallen, wie sonst üblich durch andere Ärzte ersetzen. Das bedeutet die vorhandenen Kräfte haben mehr zu tun und weniger Zeit für die Patienten. Am schlimmsten sieht es bei der Müllentsorgung aus. Wir können nicht mehr ausreichend Mitarbeiter einstellen, um die Sauberkeit in den Camps auf dem gewohnten Niveau zu halten."‘
"Wenn du plötzlich 300 Millionen Dollar weniger hast als erwartet - bei einem gesamten Budget von1,4 Milliarden - dann ist das schon ein riesiges Problem für uns. Wir müssen also sparen und Leistungen zurücknehmen. Zum Beispiel können wir nicht Ärzte, die ausfallen, wie sonst üblich durch andere Ärzte ersetzen. Das bedeutet die vorhandenen Kräfte haben mehr zu tun und weniger Zeit für die Patienten. Am schlimmsten sieht es bei der Müllentsorgung aus. Wir können nicht mehr ausreichend Mitarbeiter einstellen, um die Sauberkeit in den Camps auf dem gewohnten Niveau zu halten."‘
US-Kürzungen treffen vor allem palästinensischen Flüchtlinge
Im Hussein Camp fehlen zum Beispiel jetzt Lehrer in den Schulen der UNRWA. Hochbetrieb herrscht wie immer in den Krankenstationen im Lager. Fast 400 Menschen werden dort täglich medizinisch versorgt. Normalerweise kümmern sich mehr als 60 Krankenhaus-Mitarbeiter darum. Wegen der Finanzkrise der UN-Organisation sind es nun nur noch 26. Und das bei gleich hoher Patientenzahl.
Das Mandat der UNRWA wird alle drei Jahre von der UN-Generalversammlung verlängert. Finanziert werden die Leistungen der Hilfsorganisation durch Spenden der Mitgliedsstaaten. Zieht ein wichtiges Geberland wie jetzt die USA die politischen Daumenschrauben an und kürzt seine Zuwendungen deutlich, dann trifft das alle fünf Millionen palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten in ihrem täglichen Leben hart.
In Jordanien versucht UN-Direktor Roger Davis mit seinen Mitarbeitern trotz der schlechten finanziellen Lage, kreative Lösungen für die Versorgung der Palästina-Flüchtlinge in den Lagern zu finden.
Das Mandat der UNRWA wird alle drei Jahre von der UN-Generalversammlung verlängert. Finanziert werden die Leistungen der Hilfsorganisation durch Spenden der Mitgliedsstaaten. Zieht ein wichtiges Geberland wie jetzt die USA die politischen Daumenschrauben an und kürzt seine Zuwendungen deutlich, dann trifft das alle fünf Millionen palästinensischen Flüchtlinge im Nahen Osten in ihrem täglichen Leben hart.
In Jordanien versucht UN-Direktor Roger Davis mit seinen Mitarbeitern trotz der schlechten finanziellen Lage, kreative Lösungen für die Versorgung der Palästina-Flüchtlinge in den Lagern zu finden.
Bei denen, die die Hilfe am Nötigsten haben, bei den schon erwähnten aus Gaza Geflohenen, ist selbst der erfahrene Davis mit seinem Latein bald am Ende.
"Wir betreuen 158.000 der so genannten Gaza-Flüchtlinge. Sie kamen 1967 nach Jordanien, als Gaza unter ägyptischem Mandat stand. Die Jordanier haben sie aufgenommen und sie mit vorläufigen Pässen ausgestattet. Sie haben aber keine jordanische Identitätskarte wie die anderen Palästinenser. Deswegen fordern viele bessere Leistungen für die Gaza-Flüchtlinge. Heute hat der Ministerrat in Amman entschieden, dass allen Flüchtlingen, die an Krebs erkrankt sind, eine kostenlose Behandlung gewährt wird.
"Wir betreuen 158.000 der so genannten Gaza-Flüchtlinge. Sie kamen 1967 nach Jordanien, als Gaza unter ägyptischem Mandat stand. Die Jordanier haben sie aufgenommen und sie mit vorläufigen Pässen ausgestattet. Sie haben aber keine jordanische Identitätskarte wie die anderen Palästinenser. Deswegen fordern viele bessere Leistungen für die Gaza-Flüchtlinge. Heute hat der Ministerrat in Amman entschieden, dass allen Flüchtlingen, die an Krebs erkrankt sind, eine kostenlose Behandlung gewährt wird.
Es bleiben aber Restriktionen für die Leute aus Gaza: sie dürfen nicht überall arbeiten, und auch der Besitz von Immobilien ist ihnen nicht erlaubt. Nahe der Stadt Jerash liegt das so genannte Gaza Camp. 99,9 Prozent der Einwohner kommen aus dem Küstenstreifen am Mittelmeer. Es ist das bei weitem ärmste Lager, mit der höchsten Arbeitslosen- und Geburtenrate."
40 bis 60 Prozent der jordanischen Bevölkerung sind palästinensischen Ursprungs
Seit 70 Jahren kommen palästinische Flüchtlinge in mehreren Wellen nach Jordanien. Das Land hat sie jeweils bereitwillig aufgenommen. Und natürlich haben die neuen Einwohner – Jordanier palästinischen Ursprungs - das kleine Wüstenreich auch verändert. In allen Bereichen. Lange Jahre war es ein politisches Problem in der Gesellschaft, ob man nun echter Jordanier oder einer mit palästinensischen Wurzeln war.
Deshalb wurde die Zahl dieser Flüchtlingsnachfahren auch Teil einer gesellschaftspolitischen Auseinandersetzung. Je nachdem, welche Positionen man vertrat, schwankten die Angaben über die Stärke dieses Bevölkerungsanteils. Das bestätigt auch Wassef Jouharieh, ein erfolgreicher jordanischer Geschäftsmann, dessen Familie ursprünglich aus Jerusalem stammt:
"Die Zahlen differieren sehr. Ich denke, irgendwas zwischen 40 und 60 Prozent der Bevölkerung sind palästinensischen Ursprungs. Es ist eine sehr delikate Sache. Bis wann willst du denn deine Herkunft zurückverfolgen? Bin ich nun Jordanier oder Jordanier mit palästinensischen Wurzeln?
"Die Zahlen differieren sehr. Ich denke, irgendwas zwischen 40 und 60 Prozent der Bevölkerung sind palästinensischen Ursprungs. Es ist eine sehr delikate Sache. Bis wann willst du denn deine Herkunft zurückverfolgen? Bin ich nun Jordanier oder Jordanier mit palästinensischen Wurzeln?
Mein Sohn ist in Amman geboren. Sein Sohn wird auch in Jordanien geboren werden. Wo willst du mit dieser Suche nach deinen Wurzeln aufhören? Für die richtigen Palästinenser ist es eine wichtige Sache, weil es das Interesse für ihr Schicksal wachhält. Die Israelis können nicht verstehen, dass Generationen, die in der Diaspora geboren wurden und alle möglichen Staatsbürgerschaften haben, dass diese Menschen sich immer noch als Palästinenser fühlen. Das ist ein großes Problem für Israel. Solange Menschen sich als Palästinenser bezeichnen, wie sollen die Israelis dann ihre Besatzungsgeschichte loswerden."
Radikale Palästinensergruppen versuchten Jordanien als Kampf-Basis zu etablieren
Ernsthafte Probleme mit den Palästinensern in ihrem Land hatten auch die Jordanier für lange Zeit. Es begann alles Ende der 60er Jahre nach dem Ende des Sechs-Tage-Krieges. Radikale Palästinensergruppen, unter ihnen die Fatah von Yassir Arafat, versuchten Jordanien als Basis für ihren Kampf gegen Israel zu etablieren.
In etwa 50 Ministaaten auf dem Gebiet des Königreiches regierten die Palästinenser. Sie wollten König Hussein, der mehrere Attentatsversuche überlebte, die Macht aus den Händen reißen. Am 17. September 1970 brachte der Monarch dann seine Truppen gegen die radikalen Palästinensergruppen in Stellung.
Beide Bevölkerungsgruppen misstrauten sich zutiefst
Wolfgang Hauptmann, der damalige ARD-Korrespondent, war eine der Geiseln der extremen PFLP-Gruppierung. Aus seinem Zimmer im Hotel Philadelphia in Amman berichtete er über die jordanisch-palästinensischen Kämpfe auf dem gegenüber liegenden Hügel.
Fast ein Jahr dauerten die Kämpfe, dann waren die extremen Palästinenser aus Jordanien vertrieben. Dieses Ereignis ging als "schwarzer September" in die Geschichte ein und wirkte in der jordanischen Gesellschaft noch lange nach. Beide Bevölkerungsgruppen misstrauten sich zutiefst. Und das ist noch vorsichtig ausgedrückt.
Mit den heranwachsenden neuen Generationen hat sich das Verhältnis aber merklich entspannt. Die Kluft zwischen echten Jordaniern und denen mit palästinensischen Wurzeln existiert nicht mehr. Jawad Anani, stammt selbst aus dem Westjordanland. Lange Jahre war er unter anderem der politische Chef des jordanischen Königshauses. Er hat die Gründe für die Normalität im Verhältnis zwischen Jordaniern und Palästinensern im Königreich analysiert.
"Der erste Grund sind die Ehen, die zwischen allen Bevölkerungsgruppen geschlossen werden. Junge Leute interessieren sich nicht für die alten Geschichten. Sie besuchen dieselbe Schule, sie treffen sich, sie arbeiten in derselben Firma. Zweitens: Sie machen mit ihren Bekannten gemeinsame Geschäfte. Früher war das anders.
Fast ein Jahr dauerten die Kämpfe, dann waren die extremen Palästinenser aus Jordanien vertrieben. Dieses Ereignis ging als "schwarzer September" in die Geschichte ein und wirkte in der jordanischen Gesellschaft noch lange nach. Beide Bevölkerungsgruppen misstrauten sich zutiefst. Und das ist noch vorsichtig ausgedrückt.
Mit den heranwachsenden neuen Generationen hat sich das Verhältnis aber merklich entspannt. Die Kluft zwischen echten Jordaniern und denen mit palästinensischen Wurzeln existiert nicht mehr. Jawad Anani, stammt selbst aus dem Westjordanland. Lange Jahre war er unter anderem der politische Chef des jordanischen Königshauses. Er hat die Gründe für die Normalität im Verhältnis zwischen Jordaniern und Palästinensern im Königreich analysiert.
"Der erste Grund sind die Ehen, die zwischen allen Bevölkerungsgruppen geschlossen werden. Junge Leute interessieren sich nicht für die alten Geschichten. Sie besuchen dieselbe Schule, sie treffen sich, sie arbeiten in derselben Firma. Zweitens: Sie machen mit ihren Bekannten gemeinsame Geschäfte. Früher war das anders.
Da suchte man sich aus Annehmlichkeit den Partner aus, der gute Kontakte etwa zu Behörden hatte. Heute suchst du nach jemandem mit Geld und mit Erfahrung als Geschäftsmann. Und der letzte Grund liegt in der Nachbarschaft. Man lebt zusammen im selben Viertel. Man profitiert voneinander. Wenn du so viel Vertrauen in jemanden hast, dass er dein Nachbar, dein Geschäfts- und Lebenspartner sein kann, was willst du mehr?"
Unterschiede für junge Generation kaum noch von Bedeutung
Tala, George und Amer gehören zu der von Anani angesprochenen jungen Generation. Sie sind Anfang, Mitte dreißig. Und sie gehören zur christlichen Minderheit in Jordanien. Tala, die mit Amer verheiratet ist, hat palästinensische Wurzeln. Genau wie ihr Bruder George, der schon lange im Ausland lebt. Für die junge, zweifache Mutter ist die alte Trennung der Gesellschaft längst passe‘.
"Für mich als Person, was ich so alles mache, die Kultur und die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen, die Zeit, die ich mit Familien und Freunden verbringe – ich fühle überhaupt keinen Unterschied zwischen Jordaniern und Palästinensern. Ich bin mit einem Jordanier aus Salt verheiratet. Meine Schwiegermutter möchte, dass ihre Söhne Palästinenserinnen heiraten, weil die ihre Ehemänner besser behandelten als Jordanierinnen."
Das muss ihr Mann Amer kurz lachen. Aber, er bekräftigt die Sichtweise seiner Frau.
"1992 konntest du hier von 500 Dinar exzellent leben. Damals hatten wir – also Jordanier und solche mit palästinensischen Wurzeln - Zeit und Muße, uns über unsere Herkunft zu streiten. Uns ging es einfach richtig gut. Heute musst du dich um deine Sicherheit kümmern und darum, dass du die Kinder ernähren und ausbilden kannst.
"Für mich als Person, was ich so alles mache, die Kultur und die Zusammenarbeit mit meinen Kolleginnen und Kollegen, die Zeit, die ich mit Familien und Freunden verbringe – ich fühle überhaupt keinen Unterschied zwischen Jordaniern und Palästinensern. Ich bin mit einem Jordanier aus Salt verheiratet. Meine Schwiegermutter möchte, dass ihre Söhne Palästinenserinnen heiraten, weil die ihre Ehemänner besser behandelten als Jordanierinnen."
Das muss ihr Mann Amer kurz lachen. Aber, er bekräftigt die Sichtweise seiner Frau.
"1992 konntest du hier von 500 Dinar exzellent leben. Damals hatten wir – also Jordanier und solche mit palästinensischen Wurzeln - Zeit und Muße, uns über unsere Herkunft zu streiten. Uns ging es einfach richtig gut. Heute musst du dich um deine Sicherheit kümmern und darum, dass du die Kinder ernähren und ausbilden kannst.
Und wir kämpfen hart, um diese Bedürfnisse zu erfüllen. Das ist einer der Hauptgründe, warum die alten Geschichten keine Rolle mehr spielen. Wir haben weder Zeit noch Energie und Geld, um uns mit so etwas zu beschäftigen. Wir leben in einem gemeinsamen Land. Unterschiede gibt es nicht."
Neue Trennlinie in der Gesellschaft: arm und reich
Bei der Diskussion der drei im elterlichen Wohnzimmer bringt George seine Erfahrungen mit ausländischen Gesellschaftsformen mit ein. Er hat einen kanadischen Pass und lebt und arbeitet im Augenblick in London.
"Die jordanische Gesellschaft kann aufgeteilt werden zwischen zwei verschiedenen Trennlinien. Jordanier und Palästinenser sind das eine, Muslime und Christen das andere Merkmal. Das war schon immer so. Was aber immer deutlicher dazu kommt, ist die Trennung zwischen reich und arm. Diese wirtschaftliche Spaltung, egal ob du Muslim oder Christ, Palästinenser oder Jordanier bist, diese Spaltung führt dazu, dass alle ein ähnliches Leben führen. Das ist die neue Trennlinie in der Gesellschaft. Vielleicht etwas weniger sichtbar. Es wird aber mehr und mehr problematisch, wenn das so weitergeht."
Diese immer weiter auseinandergehende Schere zwischen arm und reich treibt vor allem die jungen Menschen aus dem Land. Gleichgültig, ob sie jordanischen oder palästinensischen Ursprungs sind. Sie sehen für sich und ihre Kinder keine Zukunft mehr in Jordanien. Europa, die USA und Kanada sind die Ziele ihrer Träume.
"Die jordanische Gesellschaft kann aufgeteilt werden zwischen zwei verschiedenen Trennlinien. Jordanier und Palästinenser sind das eine, Muslime und Christen das andere Merkmal. Das war schon immer so. Was aber immer deutlicher dazu kommt, ist die Trennung zwischen reich und arm. Diese wirtschaftliche Spaltung, egal ob du Muslim oder Christ, Palästinenser oder Jordanier bist, diese Spaltung führt dazu, dass alle ein ähnliches Leben führen. Das ist die neue Trennlinie in der Gesellschaft. Vielleicht etwas weniger sichtbar. Es wird aber mehr und mehr problematisch, wenn das so weitergeht."
Diese immer weiter auseinandergehende Schere zwischen arm und reich treibt vor allem die jungen Menschen aus dem Land. Gleichgültig, ob sie jordanischen oder palästinensischen Ursprungs sind. Sie sehen für sich und ihre Kinder keine Zukunft mehr in Jordanien. Europa, die USA und Kanada sind die Ziele ihrer Träume.
Die palästinensischen Flüchtlinge im Hussein Camp haben ganz andere Sorgen. Sie müssen im harten, täglichen Kampf ums Überleben bestehen. Ihre Träume beschäftigen sich mit dem eigenen, palästinensischen Staat, den es vielleicht irgendwann doch geben wird. Aber, würden sie dann auch zurückkehren nach Palästina, wenn sie dieses Recht bekämen?
Samir Kopti schaut aus dem Fenster seines Schmuckladens hinaus auf die Straße und schüttelt mit dem Kopf: "Ich bin hier geboren. Das ist meine Heimat. Zurückkehren nach Palästina würde ich nicht. Zum Besuch rüberfahren, das schon. Aber, ich lebe und arbeite hier in Jordanien. Ich bin Jordanier. Was soll ich denn in Palästina machen?"
Maher Jarrar, dessen Familie aus Jenin stammt, reagiert in seinem Stoffgeschäft auf die gleiche Frage eher belustigt.
"Natürlich würde ich nicht nach Jenin ziehen. Was soll ich dort machen? Meine Familie ist hier, meine Kinder und ich sind hier geboren. Soll ich etwa ein wieder Kind werden und dort leben. Das geht nicht."
Die meisten der 2,3 Millionen palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien denken so. Sie stehen zu ihren Wurzeln und sind auch stolz darauf. Das heißt aber nicht, dass sie nach Palästina zurückkehren würden. Aber, das Recht dazu zu haben, ist und bleibt ein wichtiger Teil ihres politischen Bewusstseins.
"Natürlich würde ich nicht nach Jenin ziehen. Was soll ich dort machen? Meine Familie ist hier, meine Kinder und ich sind hier geboren. Soll ich etwa ein wieder Kind werden und dort leben. Das geht nicht."
Die meisten der 2,3 Millionen palästinensischen Flüchtlinge in Jordanien denken so. Sie stehen zu ihren Wurzeln und sind auch stolz darauf. Das heißt aber nicht, dass sie nach Palästina zurückkehren würden. Aber, das Recht dazu zu haben, ist und bleibt ein wichtiger Teil ihres politischen Bewusstseins.