Archiv

Jordanien
Flüchtlinge wollen nach Europa weiterreisen

Unter Lebensgefahr und größten Strapazen schlagen sich die Menschen aus Syrien bis an die Grenze zum Nachbarland Jordanien durch. Doch bleiben wollen sie nicht. Die meisten wollen nach Europa, vor allem nach Deutschland weiterziehen.

    Großer Andrang an den Wachtürmen mitten in der Wüste. Völlig erschöpfte Kinder, Menschen, denen der Schrecken noch im Gesicht steht. Der Gruppe von 30, 40 Flüchtlingen aus Syrien ist es gelungen, sich bis hierhin, bis an die Grenze zum Nachbarland Jordanien durchzuschlagen, unter größten Strapazen und in ständiger Lebensgefahr, wie ein Mann aus Aleppo berichtet.
    Sie seien einfach nicht mehr auszuhalten gewesen, diese ständigen Luftangriffe, Bomben bei Tag und Nacht, so schildert der Mann, warum er sich mit seiner Frau und seinen Kindern auf den Weg gemacht durch halb Syrien bis zur jordanischen Grenze, zuletzt auch durch ein Gebiet, in dem die Terrormiliz wütet, die sich Islamischer Staat nennt.
    "Die meisten Flüchtlinge, die es in diesen Tagen noch bis nach Jordanien schaffen, die kommen nicht aus Aleppo oder dem Norden Syriens", so sagt der Kommandeur der Soldaten, die sich jetzt um die hilfsbedürftige Gruppe kümmern, "die meisten kommen aus dem Osten Syriens, aus Raqqa oder Deir Ezzor, aus Regionen, die vom IslamischenStaat beherrscht werden. Wir nehmen hier an der Grenze die Personalien der Flüchtlinge auf. Wir machen Sicherheitsüberprüfungen und haben, so Gott will, alles unter Kontrolle".
    "Hoch lebe König Abdullah"
    Die von der Flucht gezeichneten Familien sind so erleichtert, endlich in Sicherheit zu sein, dass sie den jordanischen König Abdullah hochleben lassen. Sie küssen den Soldaten die Hände, die sie ins Land gelassen haben, die ihnen Wasser und Essen gegeben haben und die ihnen nun auf Pritschenwagen hinaufhelfen, die sie in das Flüchtlingslager Zatari bringen, in eine ungewisse Zukunft.
    "Wir wollen die arabischen Länder doch gar nicht verlassen. Wir wollen unseren Lebensunterhalt hier verdienen, unsere Kinder ernähren. Wenn wir hier arbeiten könnten, dann würden wir nicht weggehen, niemand würde auswandern."
    Der 27-jährige Abu Abdelmalek ist einer von mehr als 80.000 Flüchtlingen, die im UNO-Lager Zatari nahe der Grenze zu Syrien untergebracht sind. Die UNO hat knapp 630.000 syrische Flüchtlinge in Jordanien registriert. Die Regierung in Amman geht von 1,4 Millionen Syrern aus. Jeder fünfte Einwohner wäre das, eine Zahl, die das kleine Königreich überfordert.
    Staatliche Unterstützung gibt es nicht für die Syrer. Auch keine Jobs – die Flüchtlinge müssen sich für Hungerlöhne auf dem Schwarzmarkt verdingen. Und ihre Lebensbedingungen haben sich noch weiter verschlechtert, seit ihnen Essensgutscheine gestrichen und die Hilfen der UNO gekürzt wurden, auf jetzt nur noch 50 Cent am Tag.
    Viele Flüchtlinge hungern
    Das Flüchtlingshilfswerk UNHCR könne die Syrer nicht mehr genug unterstützen, so dessen Vertreterin in Amman, Helen Daubelcourt. Mittelknappheit, die darauf zurückzuführen ist, dass die Geberländer nicht einmal mehr die Hälfte der benötigten Summe überwiesen haben. Fast neun von zehn Syrern leben in Jordanien mittlerweile unter der Armutsgrenze. Viele Flüchtlinge hungern. Ihre Kinder können nicht mehr zur Schule gehen, sondern müssen arbeiten oder betteln. Immer mehr brechen deshalb nach Europa auf – so die UNHCR-Vertreterin – und das, "obwohl die Flüchtlinge hier auch Leute gekannt haben, die dabei gestorben sind".
    Auch der Syrer Abu Abdelmalek und sein Freund Yousef im Flüchtlingslager Zatari kennen die Bilder von ertrunkenen Flüchtlingen. Aber in Jordanien, sagen sie, sehen sie keine Perspektive. Ihre Ersparnisse seien aufgebraucht, und angesichts der Kämpfe in Syrien hätten sie die Hoffnung verloren, bald wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können.
    "Wir wissen, dass wir im Meer sterben können auf dem Weg nach Europa. Aber das Risiko gehen wir ein", so Abu Abdelmalek, und Yousef pflichtet ihm bei: "Das ist sehr gefährlich, aber wenn Du es schaffst, dann steht Dir die Welt offen."
    Und so wie die beiden jungen Syrer denken viele der Flüchtlinge in Jordanien. Nach einer Umfrage der UNO hegt inzwischen jeder zweite von ihnen Abwanderungsgedanken in Richtung Europa, was sich auch an den langen Schlangen vor dem Konsulat der syrischen Botschaft in Amman ablesen lässt. Die Flüchtlinge stehen an, um sich Pässe ausstellen zu lassen, mit denen sie dann vor allem in die Türkei weiterreisen wollen. Neue Pässe, die, so heißt es, recht problemlos zu bekommen sind, die aber 350 Dollar kosten. So wird in Jordanien spekuliert, ob das syrische Regime sich an den Flüchtlingen bereichern will. Oder ob das Regime in Damaskus die Flucht in Länder wie Deutschland ganz bewusst fördert, um den Druck zu erhöhen, möglichst schnell über eine Lösung in Syrien zu verhandeln, natürlich mit Präsident Baschar Al-Assad.