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Joschka Fischer fordert klare Perspektiven für Afghanistan

Kapérn: Mit schwerem Gepäck ist Bundesaußenminister Joschka Fischer zur UNO-Vollversammlung gereist. Im Koffer hat er die Sorge um den Bestand der Bundesregierung und das Überleben seiner Partei. Meine Kollegin Margarete Limberg begleitet den Bundesaußenminister und hat ihn gefragt, welche Schwerpunkte er heute in seiner Rede vor der UN-Vollversammlung setzen will:

    Fischer: Die Konsequenzen müssen auch langfristiger Natur sein. Das heißt vor allen Dingen, dass eine präventive Politik, präventive Diplomatie eine Chance hat in der ganzen Bandbreite, dass wir nicht akzeptieren, der Terrorismus in Afghanistan ist nicht innerhalb kürzester Zeit entstanden, sondern es war die Tatsache, dass vor allen Dingen die großen, bedeutenden Nationen nach dem Ende des Kalten Krieges diesen Konflikt als vergessenen Konflikt haben liegen lassen, dass man sich nicht mehr darum gekümmert hat, wie es auch andere Konflikte gibt. Ich denke das muss eine der Lehren sein, dass wir mit regionalen Partnern hier präventive Politik betreiben und einen solchen Zustand der Ordnungslosigkeit, zusammengebrochene Staaten, in denen sich dann terroristische Kräfte festsetzen können oder in Verbindung mit Machthabern, die auf Gewalt setzen, dann eine Rückzugsbasis haben, dass dieses nicht mehr der Fall sein darf. Die Bevölkerung leidet furchtbar darunter, wie ja die Erfahrung zeigt. Ich denke das ist die große Herausforderung, vor der wir stehen und wo die Vereinten Nationen, wo regionale Organisationen natürlich dann eine bedeutende Rolle zu spielen haben.

    Limberg: Die Vereinten Nationen haben gerade jetzt viel Anerkennung erfahren. Es werden Erwartungen an sie gerichtet. Aber die Vereinten Nationen können im Grunde nur so handlungsfähig und so gut sein, wie ihre Mitglieder es wollen, vor allem der Sicherheitsrat. Wird das langfristig zu erwarten sein?

    Fischer: Der Sicherheitsrat ist eine Ebene, aber unterschätzen Sie die anderen Ebenen nicht. Auch viele Dritte-Welt-Staaten schauen sehr, sehr genau hin und da gibt es einflussreiche Kommissionen, aber selbstverständlich auch der Sicherheitsrat. Nur es zeigt sich jetzt, dass es gerade auch im Sicherheitsrat eine beeindruckende Geschlossenheit gibt. Die Resolutionen 1368 und 1373 sind sehr klar und auch sehr zupackend. Insofern denke ich, dass dies, natürlich getrieben durch die Tatsache, dass es sich um einen Angriff auf die USA gehandelt hat, der mächtigsten Macht auch im Sicherheitsrat, eine Rolle gespielt hat. Aber es bietet sich jetzt gleichzeitig eine Chance, auch der Reformdiskussion der Vereinten Nationen auf dem Hintergrund der neuen Erfordernisse eine wirkliche Dynamik zu geben. Alle sind sich einig, dass ein langfristiger Wiederaufbau Afghanistans ohne die Vereinten Nationen gar nicht denkbar ist. Das heißt sie werden dort eine starke assistierende Rolle zu spielen haben.

    Limberg: Die Nordallianz hat in den letzten Tagen strategische Erfolge erzielt. Die Stadt Masar-i-Scharif ist in ihre Hände geraten. Wird sich durch diesen militärischen Vormarsch die humanitäre Hilfe leichter als bisher bewerkstelligen lassen?

    Fischer: Die drängendste Not war gerade im Norden. Das bietet Möglichkeiten, die bisher nicht da waren. Aber wir sind natürlich auch von Sorge erfüllt, dass es jetzt nicht zu neuen Grausamkeiten kommt, zu Exzessen der Rache. Es wird wichtig sein, dass hier die UN möglichst schnell vor Ort ist, dass aber auch die USA darauf drängen und dafür Sorge tragen, dass es dazu nicht kommt. Ich denke dennoch, die Veränderung der militärischen Lage bietet jetzt der humanitären Hilfsaktion neue Möglichkeiten, die unbedingt genutzt werden müssen, denn die Zeit drängt.

    Limberg: Könnte dies die Argumente der Kritiker des militärischen Vorgehens entkräften?

    Fischer: Das weiß ich nicht. Das kann ich von hieraus nicht beurteilen. Darüber kann ich mir erst am Mittwoch einen Eindruck verschaffen.

    Limberg: Wie weit ist eigentlich der politische Klärungsprozess im Blick auf die Zeit nach dem Sturz der Taliban? Es scheint ja im Augenblick nur darüber Einigkeit zu bestehen, dass die Taliban weg müssen, um eine langfristige friedliche Entwicklung dieses Landes zu ermöglichen, aber die Nordallianz will ja auch niemand an der Macht sehen.

    Fischer: Es ist nicht ganz richtig, was Sie sagen, dass nur über das Negative Einigkeit besteht. Es soll eine Regierung geben, die auf breiter Grundlage in Afghanistan steht. Hier gibt es interessante wichtige Gespräche zwischen dem Iran und Pakistan. Das Treffen der beiden Staatspräsidenten hier in New York ist ein Versuch, hier eine Überwindung der Gegensätze zu erreichen. Ich habe aber aus meinem Gespräch auch mit dem russischen Gespräch den Eindruck, dass sich hier gerade die USA und Russland - und Russland ist kein unwichtiger Spieler in dieser Frage - zunehmend einig sind, so dass ich denke, die Frage der Ordnung nach den Taliban, die Frage der Regierung mittlerweile doch Gestalt annimmt. Es ist auch der Vorschlag von Colin Powell, den ich sehr gut finde, Kabul zur offenen Stadt zu machen, dass die Nordallianz die Stadt nicht erobert. Auch Vorstellungen, die Nordallianz könnte sozusagen eine Regierung einsetzen und dann Verhandlungen führen, würden Entwicklungen nach sich ziehen, die alles andere als positiv wären. Insofern zeichnen sich hier zwischen den wichtigen Akteuren doch in hohem Maße Konsense ab: breite Grundlage für eine solche Regierung, eine innerafghanische Lösung, starke assistierende Rolle der UN, kein Protektorat, auf allen Sektoren humanitär, Sicherheitsfrage wie auch administrative Frage und Wiederaufbaufrage. Ich denke das sind die wesentlichen Elemente und gleichzeitig eben eine Wiederaufbauperspektive mit einem langfristigen Hilfspaket. Allen - und das hat das Gespräch gerade zwischen der EU und Colin Powell auch klar gemacht, aus dem ich komme - ist dies auch klar. Powell wurde nach der Exit-Strategie gefragt und er hat gesagt, es gibt diesmal keine, wir ziehen uns dort nicht mehr zurück, sondern wir wollen, dass Afghanistan, dieser Konflikt politisch so weit gelöst ist, dass tatsächlich dort nicht mehr Terrorismus unterstützt wird und dass das Leiden des afghanischen Volkes, 22 Jahre Krieg und Bürgerkrieg und furchtbare Katastrophen, ein Ende findet. Das wird schwer, das muss langfristig angelegt werden, aber er hat sich hier für die USA verpflichtet und ich finde, das ist eine gute Sache.

    Limberg: Sie haben ja eine sichtbare Rolle der EU als EU angemahnt. Welch eine Rolle kann dies sein? Im Augenblick zeichnen sich die Mitglieder ja doch eher durch nationale Ambitionen aus, gerade auch in dieser Krise.

    Fischer: Nationale Ambitionen sehe ich nicht, sondern die EU ist selbstverständlich für die große Frage von Krieg und Frieden noch nicht gebaut. Da sind wir an den Anfängen. Das kann man der EU nicht vorwerfen. Ich bin nur der Meinung, dass diese Krise gerade zeigt, dass die Europäer gemeinsam handeln müssen. Insofern wird das für die innereuropäische Diskussion sicher zielführend sein. Wir haben zwei ständige Sicherheitsratsmitglieder, die natürlich darauf bedacht sind, ihren Einfluss und ihre Interessen zu wahren. Dafür muss man Verständnis haben. Wir sind heute aber im beginnenden 21. Jahrhundert. Ich habe das Gespräch schon erwähnt zwischen Colin Powell und den EU-Außenministern. Dort haben die USA noch einmal nachdrücklich unterstrichen, welche bedeutende Rolle die EU beim Wiederaufbau zu spielen hat. Das heißt im Klartext, dass hier auch erhebliche Finanzmittel seitens der EU erwartet werden. Dann muss sie aber auch bei der politischen Gestaltung eine Rolle spielen. Das scheint uns klar zu sein. Das hat der Bundeskanzler bei dem informellen Treffen in London auch klar gemacht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass einzelne Mitgliedsstaaten ein Interesse haben, diese Last alleine zu übernehmen.

    Kapérn: Ein Interview mit Bundesaußenminister Joschka Fischer.

    Link: Interview als RealAudio