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Joschka Fischer fordert von Europa, im Nahen Osten zu handeln

Joschka Fischer erinnert sich in seinem jetzt erscheinenden politischen Rückblick "I am not convinced" an den Irak-Krieg. Bei der heutigen Demokratiebewegung im arabischen Raum bedauert der Ex-Außenminister, dass Europa sich im Moment als "wenig handlungsfähig" erweise.

Joschka Fischer im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Was viele wussten, kann man jetzt nachlesen. Ein irakischer Informant hat zugegeben, vor dem Irak-Krieg falsche Aussagen über die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Land gemacht zu haben. Darüber berichtete die britische Tageszeitung "The Guardian" in dieser Woche. Unter anderen dieses Kapitel internationaler und deutsch-amerikanischer Geschichte behandelt Joschka Fischer im zweiten Band seiner Erinnerungen. Das Buch trägt den Titel "I’m not convinced". Das ist ein Zitat, das sollte man in diesen Tagen besonders sorgfältig kennzeichnen. 2003 entgegnete der damalige Außenminister diesen Satz "Ich bin nicht überzeugt" der amerikanischen Delegation auf der Internationalen Sicherheitskonferenz in München.

    "Saddam Hussein ist ein furchtbarer Diktator. Das wissen wir alle seit langem. Er hat Massenvernichtungswaffen gegen den Iran eingesetzt im iranisch-irakischen Krieg, er hat den Iran überfallen. Und weil wir unsere Demokratie ohne ihre Hilfe nicht aufgebaut hätten. Nur meine Generation hat dabei gelernt, you have to make a case, and to make a case … "In einer Demokratie heißt eine Entscheidung treffen, man muss erst mal selbst davon überzeugt sein. Entschuldigung, aber ich bin nicht überzeugt und ich kann mich nicht vor die Öffentlichkeit stellen und sagen, lasst uns in den Krieg ziehen, wenn ich nicht daran glaube."

    Heinemann: Die US-Regierung drängte auf einen Krieg gegen den Irak, den sie mit eben den Massenvernichtungswaffen begründeten, die nie gefunden wurden, weil es sie nicht gab. – Der Einband von Joschka Fischers Buch zeigt ihn mit dem damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld. Rumsfeld hat die Hand erhoben, als wolle er zuschlagen. Und es gibt übrigens genau das passende Gegenfoto, das Joschka Fischer mit erhobener Hand zeigt in Höhe der Rumsfeldschen Ohren. Zu dieser Art deutsch-amerikanischem Schlagabtausch kam es dann nicht, zu anderen schon. – Vor dieser Sendung habe ich Joschka Fischer gefragt, wie sehr die politischen Meinungsunterschiede zwischen der Regierung Schröder-Fischer in Berlin und der Bush-Regierung in Washington damals auch von persönlicher Abneigung bestimmt wurden.

    Joschka Fischer: Überhaupt nicht. Ich glaube, dass sogar der Kanzler Gerhard Schröder und der Präsident George W. Bush eigentlich ursprünglich ein gutes Verhältnis zueinander hatten. Wir hatten die Veränderung in der republikanischen Partei, vor allen Dingen der Durchbruch der Neokonservativen, die eine mehr, ja fast schon religiös anmutende Weltverbesserung mit Gewalt betreiben wollten, hatten wir nicht unterschätzt. Dann kam der 11. September, ein Riesenschock in den USA, und das beides zusammen genommen hat dann zu einer Entwicklung geführt, die leider uns dann auseinandertrieb, weil wir der Meinung waren, Afghanistan muss sein, aber Irak ist an den Haaren herbeigezogen, dafür gibt es keine Gründe.

    Heinemann: Stichwort Irak. Nach dem 11. September – und damit beginnt ja Ihr Buch – erklärt Bundeskanzler Schröder Deutschlands uneingeschränkte Solidarität mit den Vereinigten Staaten. Sie haben das verteidigt, auch jetzt in dem Buch. Aber war dieses Wort "uneingeschränkt" nicht missverständlich und vielleicht die Ursache des späteren Zerwürfnisses dann?

    Fischer: Nein. Schauen Sie, nach dem 11. September – man darf ja nicht vergessen und ich erwähne das im Buch – entdeckte man ja, dass die wichtigsten Attentäter, die für dieses große Verbrechen verantwortlich waren, Mohammed Atta und andere, lange in Hamburg-Harburg zu Hause waren, nicht entdeckt worden waren von den deutschen Sicherheitsbehörden, und der Druck auf Deutschland und die Bundesregierung angesichts dieser Tatsache war erheblich. Jedes Zaudern, jedes Zögern, jedes Flackern wäre in den ersten Tagen danach völlig missverstanden worden, wir hätten einen hohen politischen Preis in unseren Beziehungen zu unserem wichtigsten Alliierten Europas zu bezahlen gehabt. Das galt es zu bedenken, und insofern: da führte kein Weg dran vorbei. Es war ja auch dann von der NATO der Bündnisfall erklärt worden nach Artikel 5 NATO-Vertrag. Also das sehe ich nun wirklich nicht so, dass das ursächlich für das Zerwürfnis gewesen ist.

    Heinemann: Herr Fischer, Sie sagen, der Krieg in Afghanistan war und ist richtig. Seit Clausewitz wissen wir, wenn man reingeht muss man auch wissen, wie man und wann man wieder rauskommt. Wie und wann denn?

    Fischer: Auseinandersetzungen modernen Typs können sie so nicht beschreiben. 1946 begann die Debatte in den USA, "bring the boys home", was sollen die noch da drüben, der Krieg ist zu Ende, Hitler ist besiegt, die haben da drüben in Europa nichts mehr verloren. Diese Debatte ging durch den ganzen Kalten Krieg hindurch. Wir haben dort auf der einen Seite eine Situation, wo geschossen, wo gestorben wird, wo Soldaten verletzt werden und Nicht-Kombatanten, wo es unschuldige Zivilisten betrifft, auf der anderen Seite aber ist auch klar, wenn wir denselben Fehler noch mal machen – zumindest mir ist das klar -, abzuziehen wie 1989/90, als die USA, nachdem die Rote Armee abgezogen ist, ebenfalls das Interesse verloren, dann führt das zu Entwicklungen, die uns mit hoher Wahrscheinlichkeit nach schweren Opfern dort wieder hin zurückzwingen werden. Wir brauchen eine regionale, ein Minimum an regionalem Ausgleich, und solange das nicht erreicht wird, wird der Preis eines Abzuges sehr, sehr hoch sein. Und das, meine ich, das Risiko sollten wir nicht eingehen.

    Heinemann: Und wann wird das so weit sein?

    Fischer: Afghanistan ist das erste Opfer des Irak-Kriegs gewesen. Ich denke, wir werden weiter - - Zudem haben wir den Fehler gemacht, nach den Vereinbarungen von Bonn, nachdem die abgearbeitet waren, nicht sozusagen die nächsten fünf Jahre dann in einen Zeitplan umzusetzen und die politischen Ziele zu definieren. Ich meine, es besteht eine Chance, wobei die offene Frage, was wird mit dem Iran, natürlich da mit hineinspielt, aber ein Minimum an Konsens zu erreichen, so dass man graduell abbauen kann, das halte ich nicht für unmöglich. Aber Afghanistan einfach dranzugeben, das wird nicht gehen.

    Heinemann: Herr Fischer, der 11. September 2001, so schreiben Sie, habe neue Gestaltungschancen im Nahen Osten eröffnet. Jetzt, 10 Jahre später, wanken die Throne einiger arabischer Machthaber, zwei sind schon gestürzt. Ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um die Karten in der Region neu zu mischen?

    Fischer: Ich hoffe es, aber ich weiß es nicht. Es ist völlig unklar: Bedeutet die Veränderung in Ägypten nur eine Veränderung des Militärs, des Manns an der Spitze, einen Pharaonenwechsel, wenn Sie so wollen? Wird das in Tunesien bedeuten, dass ein neuer starker Mann entsteht, oder – und das muss unser Interesse sein -, dass es zu einer wirklichen Demokratisierung kommt? Das setzt aber voraus, dass die Europäer und dass die Amerikaner begreifen, erstens, dass es eine langfristige Investition sein muss, und zweitens eine große Investition. Das heißt, dort müssen jetzt auch die Taschen geöffnet werden. Und wenn ich mir anschaue, es wird ja zurecht meines Erachtens diese Entwicklung mit dem 9. November 1989 verglichen, was am 11. Februar diesen Jahres in Kairo stattgefunden hat. Auch damals, erinnern Sie sich zurück, war es ja so, dass dann sehr viele Menschen kamen. Man ist da anders mit umgegangen. Es sind ja auch viele wieder gegangen. Es ist ja nicht so, dass sie dauerhaft geblieben sind. So wie wir uns gegenwärtig gegenüber Italien verhalten und denen, die aus Tunesien jetzt die neuen Möglichkeiten genutzt haben und nach Lampedusa gekommen sind, das beängstigt mich etwas. Das zeigt doch sehr viel Kurzsichtigkeit und Engstirnigkeit. Ich denke, wir sollten jetzt alles tun, um den Menschen auf der anderen Seite des Mittelmeers das Gefühl zu geben, ja, es gibt auch legale Möglichkeiten, wir sind bereit zu helfen, verzweifelt nicht, ihr müsst nicht gehen. Das alles müsste jetzt in schnelle Hilfe umgesetzt werden, aber was ich sehe ist, die Italiener sind verzweifelt, wir sagen, es ist euer Problem mehr oder weniger, und Europa erweist sich nicht gerade als sehr handlungsfähig. Das stimmt mich etwas skeptisch.

    Heinemann: Der Bundesinnenminister macht folgende Rechnung auf: Deutschland hat im letzten Jahr 40.000 Flüchtlinge aufgenommen, Italien gerade mal 4.000.

    Fischer: Ja. Die Bedingungen sind wie sie sind. Dennoch, man kann es drehen und wenden wie man will, haben wir ein Interesse daran, dass die Botschaft ist, Festung Europa, ihr könnt euch verändern wie ihr wollt, oder haben wir ein Interesse an der Botschaft, wir sind bereit, euch wirklich zu helfen und wir sind an euerer Seite. Denn wenn die Entwicklungen auf der südlichen Seite des Mittelmeeres oder im Nahen und Mittleren Osten, wenn aus diesen ganzen Veränderungen am Ende eine Radikalisierung kommt – und das wird die Konsequenz sein, wenn die Demokratisierung scheitert -, dann werden wir neben der betroffenen Region die Hauptbetroffenen sein, dann wird es richtig teuer und gefährlich.

    Heinemann: Das sind aber jetzt zwei Themen. Das eine ist die Hilfe vor Ort und das andere ist die Frage der Flüchtlinge.

    Fischer: Nein!

    Heinemann: Helfen heißt doch nicht, kommt alle her.

    Fischer: Das habe ich mit keinem Wort gesagt. Aber jetzt sind welche da, und wie man mit denen umgeht und wie man sich verhält, das spielt schon eine Rolle. Ich darf nur noch mal erinnern an den Herbst-Winter _89/_90, wo wir vor ähnlichen Problemen standen, nicht nur wir, die Österreicher, andere, und wo das mit einer anderen Mentalität angegangen wurde. Da wurden nicht Rechnungen aufgemacht, sondern wurden Lösungen gesucht.

    Heinemann: …, wobei vielleicht doch noch mal ein Unterschied darin bestand, es kamen Mitteleuropäer und jetzt Nordafrikaner.

    Fischer: Ich sage ja auch nicht, bringt alle hier her, aber die Art und Weise, wie man das Italien zuschiebt, Rechnungen aufmacht und Ähnliches, das, glaube ich, wird uns gemeinsam nicht weiterbringen. Das ist mein Argument.

    Heinemann: Herr Fischer, zur Innenpolitik noch mal. Sie schreiben aus diesen 5 Jahren als Außenminister, die Grünen bereiteten Ihnen mehr Last als Lust. Einige Parteifreunde bekommen auch ihr Fett weg, Antje Vollmer, der damalige Bundesgeschäftsführer. Hat Sie die Regierungszeit von Ihrer Partei auch entfremdet?

    Fischer: Nein! Sie zitieren jetzt selektiv. Insgesamt haben die Grünen eine große Leistung vollbracht, etwa die Tatsache, dass eine pazifistische Partei wie die Grünen in der Lage war, in der Regierung zu bleiben und vor der Verantwortung nicht davon zu laufen, als es darum ging, sich an Militäraktionen, an einem Krieg zu beteiligen auf dem Balkan und später dann in Afghanistan. Das war eine gewaltige Herausforderung für meine Partei, für das ganze Land, aber ganz besonders für meine Partei. Andererseits waren diese Auseinandersetzungen natürlich – und das ist in jeder Partei – manchmal auch vom persönlichen Gesichtspunkt her sehr kräfteraubend und ätzend. So ist das im Leben. Und dass man irgendwann müde wird, ja, das ist auch so, das gehört ebenfalls zu so einer kräfteraubenden politischen Regierungszeit. Entfremdet? – Nein! Ich war nie wirklich ein Parteimensch. Ich komme aus einer Bewegungstradition, nicht aus einer Parteitradition. Aber entfremdet jetzt im Sinne, dass da zwei unterschiedliche Bereiche da waren, da lebte Fischer und da lebte die grüne Partei, nein, das kann man wirklich nicht sagen. Aber es war manchmal ganz schön nervend, und das bringe ich auch zum Ausdruck.

    Heinemann: Aus aktuellem Anlass blicken wir noch auf Seite 100 Ihres Buches. Sie sprechen in dem Buch von dem ungeschriebenen Gesetz der bundesrepublikanischen Verfassung, nach dem niemals ein Altbayer ins Kanzleramt gelangt, und dann öffnet sich eine interessante Klammer: (gilt nicht für Franken und Schwaben). Ein möglicher fränkischer Kanzleramtskandidat hat gerade ein Problem. Kann ein Politiker, der Teile seiner Promotion abgeschrieben hat oder möglicherweise abschreiben ließ, Minister bleiben?

    Fischer: Also erstens weiß ich nicht, ob das der Fall ist. Ich meine, die ganze Republik liest das mit mehr oder weniger Vergnügen oder Häme. Aber ich bin nicht derjenige, der das beurteilen kann. Dazu sind andere berufen. Ich glaube, das Hauptproblem ist in solchen Fällen nie die Vergangenheit, sondern mehr der Umgang mit der Vergangenheit. Da kann ich nur davor warnen. Wenn man dabei erwischt wird, dass man beim Umgang mit der Vergangenheit in der Gegenwart sich nicht an die Wahrheit gehalten hat, dann wird es ernst. Aber zur Stunde sehe ich da nichts, was in diese Richtung geht.

    Heinemann: Herr zu Guttenberg sollte sagen, ich habe abgeschrieben, dann wäre alles okay?

    Fischer: Die Frage ist ja, hat er zitiert oder was auch immer. Ich bin kein Experte für Doktorarbeiten, ich habe nie eine geschrieben, Sie kennen meine Biografie. Ich bin da weit davon entfernt, ich bin durch die Schule des Lebens gegangen und schreibe auch gerne. Aber ob ich dann wörtlich zitiere, oder mal nicht, das ist bei mir egal. Insofern ich verstehe davon nichts.

    Heinemann: Hauptsache Sie haben Ihr Buch vollständig selbst geschrieben.

    Fischer: Auch wenn ich es nicht selbst geschrieben hätte, würde das nicht weiter von Interesse sein. Aber ich kann Ihnen versichern, vom ersten bis zum letzten Anschlag habe ich das alles selber gemacht. Beim Lektorat waren dann natürlich Mitarbeiter des Verlags dran, vor allen Dingen beim Überprüfen der Fakten, ein hervorragend kompetenter Mitarbeiter, der da auch aufgeführt wird. Aber ich habe das alles selbst geschrieben, oh ja!

    Heinemann: Der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Fischer: Vielen Dank, auf Wiederhören.

    Heinemann: Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet und Joschka Fischers Buch trägt den Titel "I am not convinced".