Schon dem Amerikareisenden Alexis de Tocqueville fiel die große Frömmigkeit des protestantischen Amerika auf. Im 1835 erschienenen ersten Band seines legendären Klassikers über die amerikanische Demokratie notierte der französische Adlige, die Vereinigten Staaten seien der Ort in der Welt,
""wo die christliche Religion am meisten wirkliche Macht über die Seelen bewahrt"."
Wie zur Illustrierung dieser Beobachtung erklärte Präsident George W. Bush kurz vor Beginn des zweiten Golfkriegs am 28. Januar 2003 in seinem Bericht zur Lage der Nation:
"Wir gehen mit Zuversicht voran, weil dieser Ruf der Geschichte das richtige Land erreicht hat…Die Amerikaner sind ein freies Volk, das weiß, dass die Freiheit das Richtige für jeden Menschen und die Zukunft jeder Nation ist. Die Freiheit, die wir schätzen, ist nicht Amerikas Geschenk an die Welt, sie ist das Geschenk Gottes an die Menschheit. Wir Amerikaner glauben an uns, aber nicht nur an uns. Wir geben nicht vor, alle Wege der Vorsehung zu kennen, aber wir vertrauen in sie, setzen unser Vertrauen in den liebenden Gott, der hinter allem Leben und der gesamten Geschichte steht. Möge Er uns jetzt leiten. Und möge Er weiterhin die Vereinigten Staaten von Amerika segnen."
Wer, so die These Josef Bramls, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, den außenpolitischen Kurs der Bush-Administration verstehen will, muss nicht nur die "harten Faktoren" berücksichtigen, die Einfluss auf die außenpolitischen Entscheidungen der US-Regierung ausüben. Es genügt nicht, z.B. auf das evidente militärische Machtgefälle zwischen den USA und dem Rest der Welt hinzuweisen, wie es kürzlich der neokonservative Autor Robert Kagan in seinem Buch Macht und Ohnmacht getan hat. Vielmehr sei es nötig, auch "weiche Faktoren" – also etwa weltanschauliche und religiöse Einstellungen der Bevölkerung – in den Blick zu nehmen, um beurteilen zu können, unter welchen Voraussetzungen in Washington Außenpolitik formuliert und exekutiert wird. Genau diesen Blick gewährt Bramls Buch.
Seit Ronald Reagans "konservativer Revolution" in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist die Distanz zwischen Religion und Politik geringer geworden. Heute hat man es mit dem scheinbaren Paradox zu tun, dass sich der Anteil der säkular orientierten Bevölkerung seit Mitte der sechziger Jahre zwar verdoppelt hat, dass aber auf der anderen Seite das Potential an glaubensstarken evangelikalen Christen ebenso zugenommen hat. In den USA bilden die Protestanten mit mehr als der Hälfte der Gesamtbevölkerung die größte Religionsgemeinschaft. In dieser Gemeinschaft sind die konservativen (weißen) Evangelikalen mit 25,4 Prozent zur stärksten Gruppe angewachsen, während die liberaleren, die sog. Mainline-Protestanten, mit 22,1 Prozent den zweiten Platz besetzen. Der römisch-katholischen Kirche gehören 21,8 Prozent der US-Amerikaner an.
Von Bedeutung ist, dass die "Rechtgläubigen" sich stark politisiert haben, jene true believers, die traditionelle "amerikanische Werte" hochhalten und sich gegen Säkularismus, Feminismus und Kulturrelativismus engagieren. Machten 1987 die evangelikalen Protestanten noch 19 Prozent der als Wähler registrierten US-Amerikaner aus, so waren es im Jahr 2000 schon 24 Prozent. Diese Wählerschaft optiert mit steigender Tendenz für die Republikanische Partei, was der politischen Führung der Republikaner natürlich nicht entgangen ist. Braml legt detailliert und mit intimer Kenntnis der inneramerikanischen Verhältnisse dar, wie sich die Frömmigkeitseinstellungen des radikalprotestantischen bible belt, verbunden mit ganz spezifischen kulturellen "Werten" und politischen Optionen, auf den außenpolitischen Kurs der US-Regierung auswirken. So ist die Bush-Administration in ihrer Haltung zum Nahostkonflikt keineswegs frei, sondern muss mannigfache Rücksichten auf die einflussreiche Pro-Israel-Lobby der Evangelikalen nehmen, deren Credo mit dem theokonservativen Vordenker Jerry Falwell lautet:
"Wer gegen Israel ist, ist gegen Gott."
Für die US-amerikanischen Juden bedeutet dies mit anderen Worten, dass sie sich hinfort nicht mehr auf ihre traditionellen Verbündeten – liberale Ostküstenintellektuelle, schwarze Kongressabgeordnete, Gewerkschaften – verlassen können, sondern zunehmend auf die Unterstützung durch die radikalprotestantische moral majority angewiesen sind, die ihnen ihren Schutz anbietet. Für Bushs Republikaner könnte das den Vorteil haben, dass die traditionell eher demokratisch orientierte jüdische Wählerschaft ihr Wahlverhalten ändert, was wiederum die Bush-Regierung im Gegenzug zwingen würde, ihre einseitige Pro-Israel-Politik weiter zu verschärfen.
Gleichfalls mobil macht die religiöse Rechte im Hinblick auf andere Konfliktzonen im Nahen und Mittleren Osten: Syrien und Iran. Im "orientalistischen" Weltbild der evangelikalen Glaubenskrieger, das sich seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 noch einmal radikalisiert hat, ist kein Platz für ein abwägendes und maßvolles Vorgehen. Während gegen Syrien weit reichende wirtschaftliche Sanktionen gefordert und durchgesetzt wurden, wird der Iran unverhohlen mit der Forderung nach einem "Regimewechsel" konfrontiert – durchaus nach dem Muster des Iraq Liberation Act. In zahlreichen Initiativen versucht die christliche Rechte, die Bush-Regierung auf jenen harten Kurs zu verpflichten, den sie auch gegen die Taliban, Al Qaida und Saddam Hussein eingeschlagen hat.
Braml zeigt im Einzelnen, wie die Organisationen der religiösen Rechten aufgebaut sind, wie sie funktionieren, untereinander vernetzt sind und auf welchen Kanälen sie Einfluss auf den Kongress und die Exekutive nehmen. Allein die präzise Aufzählung und Charakterisierung all der Graswurzel-Organisationen, Political Action Committees, Think Tanks und Interessengruppen, mit denen die christliche Rechte das Land in den letzten zwanzig Jahren überzogen – und wie man hinzufügen muss: verändert – hat, macht die Studie von Braml im höchsten Maße instruktiv.
Bemerkenswert an diesem schmalen Buch ist, dass es sozusagen sine ira et studio eine kühle Bestandsaufnahme vornimmt. Es geht dem Autor erkennbar nicht darum, eine spezifische kulturelle Entwicklung in den Vereinigten Staaten zu stigmatisieren, die aus europäischer Perspektive eher befremdlich anmutet. Vielmehr möchte Braml mit seiner Studie darauf hinwirken, dass die deutsche und die europäische Politik einen realistischen Begriff von dem bekommt, was man als den religiösen Faktor in der US-Politik bezeichnen muss. Je weiter sich die europäischen Gesellschaften von religiösen Weltbildern und einer religiös grundierten Politik entfernen, desto dringlicher scheint es, die gegenteilige Entwicklung in den USA samt ihren Konsequenzen für das Feld der Außenpolitik zur Kenntnis zu nehmen.
Für den säkular geprägten Europäer mag es einen Rückfall hinter die historischen Errungenschaften der Aufklärung bedeuten, dass sich ein antiliberaler und antimoderner Evangelikalismus in den USA auf dem Vormarsch befindet – aber er muss mit dieser Tatsache rechnen. Wie er andererseits genauso damit rechnen muss – die jüngsten Ereignisse in Rom scheinen dafür zu sprechen –, dass auch der Katholizismus an politischem Einfluss gewinnt. Die Niederlage John Kerrys bei den letzten Präsidentschaftswahlen geht womöglich auf jene Intervention des vormaligen Kardinals Joseph Ratzinger zurück, mit der er den US-amerikanischen Bischöfen im Wahlkampf nahe legte, jedem katholischen Kandidaten die Kommunion zu verweigern, der "für eine Legalisierung von Abtreibung und Euthanasie eintritt". Dieser katholische Kandidat war bekanntlich niemand anderer als John Kerry, und er verlor die entscheidenden katholischen Stimmen in den umkämpften Bundesstaaten Ohio, Iowa und New Mexico.
Stehen wir auch im alten Europa vor einer Wiederkehr der Götter, wie Friedrich Wilhelm Graf in einem Buch dieses Titels orakelte, das im letzten Jahr erschienen ist?
Hans-Martin Lohmann war das über Josef Braml: Amerika, Gott und die Welt, erschienen bei Matthes und Seitz. 160 Seiten hat das Buch und kostet 14.90 Euro.
""wo die christliche Religion am meisten wirkliche Macht über die Seelen bewahrt"."
Wie zur Illustrierung dieser Beobachtung erklärte Präsident George W. Bush kurz vor Beginn des zweiten Golfkriegs am 28. Januar 2003 in seinem Bericht zur Lage der Nation:
"Wir gehen mit Zuversicht voran, weil dieser Ruf der Geschichte das richtige Land erreicht hat…Die Amerikaner sind ein freies Volk, das weiß, dass die Freiheit das Richtige für jeden Menschen und die Zukunft jeder Nation ist. Die Freiheit, die wir schätzen, ist nicht Amerikas Geschenk an die Welt, sie ist das Geschenk Gottes an die Menschheit. Wir Amerikaner glauben an uns, aber nicht nur an uns. Wir geben nicht vor, alle Wege der Vorsehung zu kennen, aber wir vertrauen in sie, setzen unser Vertrauen in den liebenden Gott, der hinter allem Leben und der gesamten Geschichte steht. Möge Er uns jetzt leiten. Und möge Er weiterhin die Vereinigten Staaten von Amerika segnen."
Wer, so die These Josef Bramls, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, den außenpolitischen Kurs der Bush-Administration verstehen will, muss nicht nur die "harten Faktoren" berücksichtigen, die Einfluss auf die außenpolitischen Entscheidungen der US-Regierung ausüben. Es genügt nicht, z.B. auf das evidente militärische Machtgefälle zwischen den USA und dem Rest der Welt hinzuweisen, wie es kürzlich der neokonservative Autor Robert Kagan in seinem Buch Macht und Ohnmacht getan hat. Vielmehr sei es nötig, auch "weiche Faktoren" – also etwa weltanschauliche und religiöse Einstellungen der Bevölkerung – in den Blick zu nehmen, um beurteilen zu können, unter welchen Voraussetzungen in Washington Außenpolitik formuliert und exekutiert wird. Genau diesen Blick gewährt Bramls Buch.
Seit Ronald Reagans "konservativer Revolution" in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts ist die Distanz zwischen Religion und Politik geringer geworden. Heute hat man es mit dem scheinbaren Paradox zu tun, dass sich der Anteil der säkular orientierten Bevölkerung seit Mitte der sechziger Jahre zwar verdoppelt hat, dass aber auf der anderen Seite das Potential an glaubensstarken evangelikalen Christen ebenso zugenommen hat. In den USA bilden die Protestanten mit mehr als der Hälfte der Gesamtbevölkerung die größte Religionsgemeinschaft. In dieser Gemeinschaft sind die konservativen (weißen) Evangelikalen mit 25,4 Prozent zur stärksten Gruppe angewachsen, während die liberaleren, die sog. Mainline-Protestanten, mit 22,1 Prozent den zweiten Platz besetzen. Der römisch-katholischen Kirche gehören 21,8 Prozent der US-Amerikaner an.
Von Bedeutung ist, dass die "Rechtgläubigen" sich stark politisiert haben, jene true believers, die traditionelle "amerikanische Werte" hochhalten und sich gegen Säkularismus, Feminismus und Kulturrelativismus engagieren. Machten 1987 die evangelikalen Protestanten noch 19 Prozent der als Wähler registrierten US-Amerikaner aus, so waren es im Jahr 2000 schon 24 Prozent. Diese Wählerschaft optiert mit steigender Tendenz für die Republikanische Partei, was der politischen Führung der Republikaner natürlich nicht entgangen ist. Braml legt detailliert und mit intimer Kenntnis der inneramerikanischen Verhältnisse dar, wie sich die Frömmigkeitseinstellungen des radikalprotestantischen bible belt, verbunden mit ganz spezifischen kulturellen "Werten" und politischen Optionen, auf den außenpolitischen Kurs der US-Regierung auswirken. So ist die Bush-Administration in ihrer Haltung zum Nahostkonflikt keineswegs frei, sondern muss mannigfache Rücksichten auf die einflussreiche Pro-Israel-Lobby der Evangelikalen nehmen, deren Credo mit dem theokonservativen Vordenker Jerry Falwell lautet:
"Wer gegen Israel ist, ist gegen Gott."
Für die US-amerikanischen Juden bedeutet dies mit anderen Worten, dass sie sich hinfort nicht mehr auf ihre traditionellen Verbündeten – liberale Ostküstenintellektuelle, schwarze Kongressabgeordnete, Gewerkschaften – verlassen können, sondern zunehmend auf die Unterstützung durch die radikalprotestantische moral majority angewiesen sind, die ihnen ihren Schutz anbietet. Für Bushs Republikaner könnte das den Vorteil haben, dass die traditionell eher demokratisch orientierte jüdische Wählerschaft ihr Wahlverhalten ändert, was wiederum die Bush-Regierung im Gegenzug zwingen würde, ihre einseitige Pro-Israel-Politik weiter zu verschärfen.
Gleichfalls mobil macht die religiöse Rechte im Hinblick auf andere Konfliktzonen im Nahen und Mittleren Osten: Syrien und Iran. Im "orientalistischen" Weltbild der evangelikalen Glaubenskrieger, das sich seit den Terroranschlägen des 11. September 2001 noch einmal radikalisiert hat, ist kein Platz für ein abwägendes und maßvolles Vorgehen. Während gegen Syrien weit reichende wirtschaftliche Sanktionen gefordert und durchgesetzt wurden, wird der Iran unverhohlen mit der Forderung nach einem "Regimewechsel" konfrontiert – durchaus nach dem Muster des Iraq Liberation Act. In zahlreichen Initiativen versucht die christliche Rechte, die Bush-Regierung auf jenen harten Kurs zu verpflichten, den sie auch gegen die Taliban, Al Qaida und Saddam Hussein eingeschlagen hat.
Braml zeigt im Einzelnen, wie die Organisationen der religiösen Rechten aufgebaut sind, wie sie funktionieren, untereinander vernetzt sind und auf welchen Kanälen sie Einfluss auf den Kongress und die Exekutive nehmen. Allein die präzise Aufzählung und Charakterisierung all der Graswurzel-Organisationen, Political Action Committees, Think Tanks und Interessengruppen, mit denen die christliche Rechte das Land in den letzten zwanzig Jahren überzogen – und wie man hinzufügen muss: verändert – hat, macht die Studie von Braml im höchsten Maße instruktiv.
Bemerkenswert an diesem schmalen Buch ist, dass es sozusagen sine ira et studio eine kühle Bestandsaufnahme vornimmt. Es geht dem Autor erkennbar nicht darum, eine spezifische kulturelle Entwicklung in den Vereinigten Staaten zu stigmatisieren, die aus europäischer Perspektive eher befremdlich anmutet. Vielmehr möchte Braml mit seiner Studie darauf hinwirken, dass die deutsche und die europäische Politik einen realistischen Begriff von dem bekommt, was man als den religiösen Faktor in der US-Politik bezeichnen muss. Je weiter sich die europäischen Gesellschaften von religiösen Weltbildern und einer religiös grundierten Politik entfernen, desto dringlicher scheint es, die gegenteilige Entwicklung in den USA samt ihren Konsequenzen für das Feld der Außenpolitik zur Kenntnis zu nehmen.
Für den säkular geprägten Europäer mag es einen Rückfall hinter die historischen Errungenschaften der Aufklärung bedeuten, dass sich ein antiliberaler und antimoderner Evangelikalismus in den USA auf dem Vormarsch befindet – aber er muss mit dieser Tatsache rechnen. Wie er andererseits genauso damit rechnen muss – die jüngsten Ereignisse in Rom scheinen dafür zu sprechen –, dass auch der Katholizismus an politischem Einfluss gewinnt. Die Niederlage John Kerrys bei den letzten Präsidentschaftswahlen geht womöglich auf jene Intervention des vormaligen Kardinals Joseph Ratzinger zurück, mit der er den US-amerikanischen Bischöfen im Wahlkampf nahe legte, jedem katholischen Kandidaten die Kommunion zu verweigern, der "für eine Legalisierung von Abtreibung und Euthanasie eintritt". Dieser katholische Kandidat war bekanntlich niemand anderer als John Kerry, und er verlor die entscheidenden katholischen Stimmen in den umkämpften Bundesstaaten Ohio, Iowa und New Mexico.
Stehen wir auch im alten Europa vor einer Wiederkehr der Götter, wie Friedrich Wilhelm Graf in einem Buch dieses Titels orakelte, das im letzten Jahr erschienen ist?
Hans-Martin Lohmann war das über Josef Braml: Amerika, Gott und die Welt, erschienen bei Matthes und Seitz. 160 Seiten hat das Buch und kostet 14.90 Euro.