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Josephs Lebensweg auf der Bühne

Thomas Manns Tetralogie "Joseph und seine Brüder" widmet sich ausführlich dem Lebensweg der biblischen Figur Joseph, des Lieblingssohnes von Jaakob. 1400 Seiten für die Bühne einzurichten, ist kein leichtes Unterfangen. Am Deutschen Theater in Berlin hat es Alize Zandwijk versucht.

Von Hartmut Krug |
    Eigentlich lese ich stets die Vorlagen zu den von mir besuchten Theaterinszenierungen, seien es Gedichte oder Romane, - oder auch mal Theaterstücke, und die Zahl der Filme, die ich mir im Zuge meiner sorgfältigen Vorbereitungen auf die theaterkritische Arbeit auf Video angeschaut habe, übersteigt die der im Kino gesehenen bei weitem. Doch bei Thomas Manns Tetralogie "Joseph und seine Brüder", die in meiner dreibändigen Taschenbuchausgabe 1400 leseunfreundlich eng beschriebene Seiten umfasst, habe ich es bei einem Durchblättern belassen müssen. Immerhin habe ich in der Vorlage gelesen, also in der Genesis, dem ersten Buch der Bibel.

    So kann ich nur sagen: Die Berliner Inszenierung beginnt und endet nicht wie Manns Roman. Sie spannt sich also nicht von der Höllenfahrt bis zum Gewaltigen Zug. Und: Und, sie ist in der Bühneneinrichtung John von Düffels, dem Spezialisten für Dramatisierungen dickleibiger Romane, kein Inhaltskonzentrat des Romans. Dauerte sie in ihrer Erstaufführung durch Wolfgang Engel vor drei Jahren am Düsseldorfer Schauspielhaus noch sechs Stunden, so belässt es die Regisseurin Alize Zandwijk bei ihrer bilderbuchartigen Schnittmuster-Inszenierung bei dreieinviertel Stunden. Die allerdings nur äußerst langsam vergehen. Auch in Rückblicken wird die Geschichte vom reichen Jaakob dabei zur Geschichte seines Sohnes Joseph. Jaakob ist Vater von zwölf Söhnen, zwischen denen es zum Kampf um des Vaters Segen kommt, worauf Joseph als tot in einem ausgetrockneten Brunnen zurück gelassen wird. Händler finden ihn, verkaufen ihn nach Ägypten, wo er vom Sklaven zum Statthalter des Pharaos wird und sich zum wohl ersten Wirtschaftsminister der Welt entwickelt.

    Es beginnt vor zwei weißen Vorhängen, vor denen sich die Figuren in weißen Hemden über den schwarzen Hosen, zu erzählenden Stehrunden für das Publikum zusammenfinden. Zu Beginn referiert der Darsteller eines der Söhne von Joseph, beginnend bei Adam und Eva, mit vielen Kunst- und Bedeutungspausen die Genealogie seiner Familie. Er schreibt und zeichnet ihren Stammbaum auf den dafür völlig unbrauchbaren, weil beweglichen kleinen Vorhang, und indem er immer unleserlicher krakelt, wird uns überdeutlich, wie schwer zu behalten diese Zusammenhänge sind. Solch szenisch-darstellerisch sorgfältig ausgemalte Einfälle, die effektvoll, aber nicht sonderlich sinnstiftend oder gar notwendig wirken, durchziehen die Inszenierung. Etliche Szenen werden als Schattenspiele hinter dem großen Vorhang gespielt: die Gewalttat durch seine Brüder an Joseph als eine durch das Schattenspiel verharmlost wirkende brutale Schlag- und Trittorgie, oder die gezoomte Geburt von Joseph, bei der sein Vater Jaakob dessen Kopf zwischen den hochragenden Beinen Rahels hervorzieht und, die Nabelschnur um die Hand gewickelt, diese mit großer Schere kappt. So was kam beim schmunzelnden Publikum an: als netter Effekt. Meist bebildert die Regisseurin die Situationen äußerlich, statt ihren inneren Kern tiefer heraus zu schälen. Ihre Inszenierung liefert Effekte statt Emotionen, sie zeigt Stand- und Schreithaltungen statt dramatischer Handlungen. Alize Zandwijk liebt effektvolle, aber wenig belebte Standbilder, während der Texteinrichter John von Düffel auf die Sprache setzt, die nicht immer von Thomas Mann zu sein scheint. Mal wird, wenn ein Mann eine Frau begehrt, von "der brutalen Gier nach ihren reifen Reizen" gesprochen, später fordert Potiphars Frau Joseph mit einem "lasst ihn uns doch kaltmachen" auf, ihren Mann zu töten. Während in Düsseldorf, bei Wolfgang Engel, die imaginative Kraft von Manns Sprache in Dialogen und Chören aufschien, setzt Alize Zandwijk mehr auf szenische Atmosphäre und unterlegt das Spiel ihrer Schauspieler mit einem Ton-Teppich aus dunkel dräuender oder schlicht lebhafter Musik. Eine Farben- und Tüchersymbolik prägt die Inszenierung: In Ägypten wird es nicht nur farblich bunt, eine Schauspielerin darf auf den Knien rutschen und einen bärtigen Zwerg mimen, und ein fahrender Händler überflutet die Bühne mit seinem billig-bunten Handelsschrott. Die letzte Szene ist in Schwarz gehalten, und die die gesamte Bühne gelbblühend bedeckenden Pflanzen, die wohl Getreide sein sollen, verdorren unter sich schwärzenden Schäfchenwolken.

    Es sind teils sehr gute Schauspieler auf der Bühne, die ihr Handwerk ordentlich verrichten. Aber auch sie können uns mit ihrem Spiel nicht erklären, warum die Regisseurin dieses Textkonvolut fast im Stile eines braven Krippenspiels inszeniert hat, ja warum sie es überhaupt inszeniert hat. Natürlich gibt es dazu, wie immer unter dem bisher eher glücklosen Intendant Ulrich Khuon, im Programmheft die nötigen Erklärungen oder besser, Thesen, die Inszenierung aber bleibt uns jede sinnliche Andeutung oder Verdeutlichung schuldig. So haben wir im Deutschen Theater wieder einmal nur erlebt, wie uns der Kulturbetrieb bedient, ohne zu erfahren, warum er das tut. Nur dass er das so nicht tun sollte, scheint mir klar.