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Journalismus in der Corona-Krise
Bitte keine Appelle!

In den Medien scheint es momentan nur ein Thema zu geben: Die Corona-Krise. Diese Fokussierung ist verständlich. Doch einige Journalistinnen und Journalisten lassen in diesen Zeiten jede kritische Distanz vermissen, meint der Medienjournalist Christoph Sterz.

Von Christoph Sterz |
Zeitungen mit Anzeigen zur Corona-Ausbreitung unter dem Motto "Wir bleiben zuhause"
Zeitungen beteiligen sich am Appell "#WirBleibenZuhause" (dpa/ Paul Zinken)
Keine Frage: Die Lage ist ernst. Dass weltweit Tausende Corona-Erkankte gestorben sind und vermutlich noch viel mehr sterben werden. Das ist Fakt und das ist auch unbedingt berichtenswert - um allen klar zu machen, worum es im Moment geht: dass das Corona-Virus eine ernstzunehmende Bedrohung ist.
Trotzdem macht mich als Journalist fassungslos, wie manche Kolleginnen und Kollegen aus der Rolle fallen. Wie sie sich darauf beschränken, einfach nur die Statements der führenden Politikerinnen und Politiker eins zu eins wiederzugeben - ohne Einordnung, ohne kritische Fragen, ohne ihr journalistisches Handwerk einzusetzen.
Viele ungestellte Fragen
Die jeweils aktuelle Anordnung wird verkündet - und nicht weiter problematisiert. Dabei gibt es wirklich etliche Fragen: Ist ein Kontaktverbot oder ein De-Facto-Shutdown wirklich die richtige Antwort? Was ist mit den mittelfristigen und langfristigen Folgen der beschlossenen Maßnahmen? Was ist mit älteren Menschen, die jetzt kaum noch gepflegt werden können, mit den Leuten, die jetzt einsam sind, die ihren Job verlieren werden oder schon verloren haben, die psychisch krank sind oder es gerade werden? Wie lange sollten Spielplätze, Schulen und Kitas geschlossen bleiben, ohne dass das Kindern, Eltern und der Gesellschaft schadet? Was wären hilfreiche Sofortmaßnahmen für unser Gesundheitssystem - und müsste in diesem Bereich dauerhaft verändert werden?
Medienmacher als Mahner
All das wird zwar diskutiert in den Medien, aber längst nicht in der nötigen Breite. Stattdessen übernehmen einige Medienmacher sogar selbst die Rolle des Mahners und Handlungs-Empfehlers. Ein aus meiner medienjournalistischen Perspektive ganz besonders bitteres Beispiel ist ein Video vom öffentlich-rechtlichen Radiosender WDR2. In dem Video kommen mehrere Moderatorinnen und Moderatoren zu Wort unter dem Slogan "Eine Bitte von WDR2: Haltet Euch an die Regeln". "Wenn wir unseren Alltag nicht sofort komplett ändern, dann wird das Gesundheitssystem zusammenbrechen" heißt es da etwa, oder auch "Wir haben nur diese eine Chance!"
Solche Aussagen lassen mich ratlos zurück. Weil ich darin keinen Journalismus erkenne, keine Zurückhaltung, keine Neutralität. Außerdem verunsichern solche fatalistischen Aussagen doch nur.
Der Fairness halber sei dazugesagt, dass Ähnliches auch an anderer Stelle zu hören und zu lesen ist. Viele Zeitungen haben am Wochenende zum Beispiel eine ganzseitige Anzeige abgedruckt. In großen Buchstaben steht da "Wir bleiben zuhause". Dabei ist sehr fraglich, ob das strikte Zuhause-Bleiben für die psychische und physische Gesundheit wirklich so gut ist.
Information und fachkundige Einordnung
Und aus meiner Sicht fraglich ist auch, ob Medien an dieser Stelle wirklich selbst zum Akteur werden sollten. Denn selbst in Kriegen und Konflikten sollten sich Journalistinnen und Journalisten nicht vereinnahmen lassen. Und auch bei Corona ist Embedded Journalism nicht angebracht – zumal ich mich nicht von Medien belehren lassen möchte.
Was ich dagegen möchte - und was zum Glück auch jetzt schon an vielen Stellen zu finden ist: nüchterne Informationen, fachkundige Einordnung, das Stellen kritischer Fragen, auch mal das Artikulieren von Zweifeln - oder von dem, was wir bis jetzt einfach noch nicht wissen. Journalistinnen und Journalisten sollten sich also keiner Corona-Kampagne anschließen, sondern einfach ihren Job machen.