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Journalismus in der Ukraine
Der Fall Babtschenko und die Folgen

Vor sechs Monaten hat der von ukrainischen Behörden vorgetäuschte Tod des russischen Journalisten Arkadij Babtschenko für Wirbel gesorgt - und medienethische Diskussionen. Auch Monate später bleibt die Frage: Wie sollen Journalisten mit Meldungen von Behörden umgehen, die sie nicht überprüfen können?

Von Gesine Dornblüth |
    In Kiew wurde schon an vielen Orten öffentlich um Arkadij Babtschenko getrauert - ehe bekannt wurde, dass seine Ermordung inszeniert wurde.
    In Kiew wurde schon an vielen Orten öffentlich um Arkadij Babtschenko getrauert - ehe bekannt wurde, dass seine Ermordung inszeniert wurde. (Imago / Itar-Tass)
    Auch Monate nach dem inszenierten Mord von Arkadij Babtschenko sind in der Ukraine viele Fragen offen. Angelina Kariakina ist Chefredakteurin des unabhängigen ukrainischen Internetsenders Hromadske. "Das Hauptproblem ist, rauszukriegen, was wirklich passiert ist. Im Fall Babtschenko wird weiterhin ermittelt. Aber die meisten Akten sind nicht öffentlich."
    Sie könne immer noch nicht sagen, ob es gerechtfertigt war, die Weltöffentlichkeit mit dem angeblichen Mord an dem Journalisten Arkadij Babtschenko zu belügen. Sie wisse einfach zu wenig.
    Bei der Pressekonferenz am Tag nach der falschen Todesnachricht hatte der ukrainische Geheimdienst, SBU, erklärt, Babtschenko sei tatsächlich Ziel eines Anschlags gewesen, hinter dem Russland stehe. Die Inszenierung sei nötig gewesen, um Babtschenko zu retten und um die Hintermänner dingfest zu machen. Babtschenko ist russischer Staatsbürger und ein scharfer Kritiker der russischen Aggression in der Ostukraine. 2017 war er aus Sicherheitsgründen in die Ukraine geflohen. Der SBU brüstete sich außerdem, er habe mit der Operation weitere geplante Attentate verhindert. Es gäbe eine Liste mit den Namen von mehr als vierzig weiteren Personen, größtenteils Journalisten, die der russische Geheimdienst in der Ukraine ins Visier genommen habe.
    "Müssen mehr Belege sehen, denen man trauen kann"
    Serhiy Rakhmanin ist stellvertretender Chefredakteur der einflussreichen ukrainischen Wochenzeitung Dzerkalo Tyzhnia, und er soll auf dieser Liste stehen.
    "Ich weiß immer noch nicht, worum es wirklich ging. Ich weiß nicht mal, ob es diese sogenannte 'Erschießungsliste' gab oder nicht. Sie haben mir keine Liste gezeigt. Ich wurde nur gefragt, ob ich Leibwächter haben will. Ich habe abgelehnt."
    Ende August verurteilte ein ukrainisches Gericht den Auftraggeber des mutmaßlich geplanten Attentats auf Babtschenko. Es handelt sich um einen Ukrainer. Er bekam viereinhalb Jahre Haft und soll die Tat, so der SBU, gestanden haben. Babtschenko selbst hat vor einigen Wochen einen Blogeintrag veröffentlicht. Darin nennt er zahlreiche Hinweise auf eine russische Beteiligung. Angelina Kariakina von Hromadske TV reichen sie nicht aus.
    "Russland könnte ein Interesse daran haben, ein Gefühl von Chaos und Unsicherheit in der Ukraine zu verbreiten. Wir können es aber nicht beweisen. Wenn ein Mord Babtschenkos und möglicherweise weitere Morde in Russland geplant wurden, dann müssen wir mehr Belege sehen, denen man trauen kann."
    So aber bleibt Misstrauen gegenüber den ukrainischen Sicherheitsbehörden. Misstrauen, das vorher schon groß war, betonen die Journalisten. Denn in der Ukraine wurden in den vergangenen Jahren zwei Kollegen tatsächlich umgebracht. 2015 wurde Oles Busina in Kiew erschossen, 2016 brachte eine Autobombe den russischen Journalisten Pavel Scheremet um. Beide Fälle sind bis heute nicht aufgeklärt. Angelina Kariakina kritisiert die Behörden scharf.
    Intensivere Überprüfung von Behördeninformationen
    "Im Fall Babtschenko wollten sie nun zeigen, dass sie einen Journalistenmord verhindert haben. Wir leben aber in einem Land, in dem Journalisten getötet werden und nichts passiert. Das ist zynisch."
    Bei Hromadske prüften sie nun jede Information, die von den Behörden komme, drei, vier, fünf Mal, erzählt Kariakina. Oft hätten sie sich gefragt, ob sie die Falschmeldung von Babtschenkos Tod hätten entlarven können. Sie verneint. Auch Serhiy Rakhmanin meint:
    "Den Journalisten ist nichts vorzuwerfen. Sie haben versucht, die Nachricht zu überprüfen. Aber das war unmöglich. Denn ins Leichenschauhaus wurde niemand hineingelassen, seine Frau ging nicht ans Telefon, und alle offiziellen Stellen haben die Nachricht bestätigt."
    Auch Babtschenko selbst wurde kritisiert. Einige, die ihn gut kannten, fühlten sich von ihm persönlich hintergangen. Er habe, indem er sich auf die Kooperation mit dem Geheimdienst einließ, gegen journalistische Standards verstoßen, hieß es. Angelina Kariakina nimmt Babtschenko in Schutz.
    "Ich denke, er hatte keine Wahl. Er ist ein Ausländer in der Ukraine. Ihm wurde gesagt: Der Staat, den du kritisierst, ist hier, um dich umzubringen. Ich weiß nicht, wie ich da reagieren würde."