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Gratwanderung im Journalismus
Verdachtsberichterstattung und ihre Folgen

Medien berichten oft über Ermittlungen gegen Prominente. Verdachtsberichterstattung ist jedoch immer eine Gratwanderung. Mehrere Faktoren müssen sorgfältig abgewogen werden. Denn die Konsequenzen für die Betroffenen können schwerwiegend sein.

Von Brigitte Baetz | 09.12.2022
Ein Schild steht im Gerichtssaal vor dem Platz des Angeklagten.
Allein die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens sagt erst einmal nichts über die Schuld oder Unschuld eines Betroffenen aus (picture alliance / dpa / Oliver Berg)
„Die Kölner Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen Kardinal Rainer Maria Woelki eingeleitet. Untersucht werde der Vorwurf der falschen eidesstattlichen Versicherung, so Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn.“
Das vermeldete Welt-TV Anfang November. Wenn prominente Personen im Zentrum von Ermittlungen stehen, ist das für Medien allemal ein Thema. Doch allein die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens sagt erst einmal nichts über die Schuld oder Unschuld eines Betroffenen aus. Die Staatsanwaltschaft muss in Aktion treten, wenn eine Anzeige gestellt wird. Bei juristischen Laien kann allerdings der Eindruck aufkommen, dass hier jemand den sprichwörtlichen „Dreck am Stecken“ hat.

In der Berichterstattung wird oft der Konjunktiv gebraucht

Deshalb ist die so genannte „Verdachtsberichterstattung“ ein so schwieriges Feld im Journalismus: Es muss abgewogen werden zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit, der wichtigen Kontrollfunktion der Medien und den Persönlichkeitsrechten der Betroffenen. Und deshalb auch wird in dieser Art Berichterstattung oft der Konjunktiv gebraucht. Damit wird deutlich gemacht, dass es sich um Vorwürfe, nicht um schon verifizierte Tatsachen handelt, wie hier in einem Bericht der Deutschen Welle:
„Seit Wochen wird in Deutschland einer der ranghöchsten katholischen Geistlichen massiv kritisiert. Es geht um den Kölner Erzbischof und Kardinal Rainer Maria Woelki. Ihm wird vorgeworfen, er habe Missbrauchsvorwürfe gegen einen inzwischen verstorbenen Priester nicht nach oben weitergegeben. Er soll zu dem Priester ein enges Verhältnis gehabt haben.“
Woelki wehrt sich – nicht nur gegen die Vorwürfe an sich, sondern auch gegen Presseberichte, vor allem die der Bild-Zeitung – mal mit, mal ohne Erfolg. So urteilte beispielsweise das Landgericht Köln, dass die Bild in einem Artikel das Wort „Vertuschungsmafia“ nicht hätte gebrauchen dürfen. Leserinnen und Leser verstünden darunter ein systematisches Zusammenwirken einer Clique zur Vertuschung sexueller Gewalt von Priestern gegen Minderjährige, zu der auch der Erzbischof gehöre. Den Begriff „Woelki-Skandal“ in einer Überschrift wertete das Gericht hingegen als zulässige Bewertung des Sachverhalts, weil es unstrittig sei, dass es in der katholischen Kirche einen Missbrauchsskandal gebe.

Medien müssen klar benennen, dass es sich nur um einen Verdacht handelt

Die Verdachtsberichterstattung ist also eine schwierige Gratwanderung, für die Zeitungen und Sender in der Regel ihre juristischen Abteilungen beschäftigen. Dass Medien überhaupt über Verdachtsfälle berichten dürfen, ist eine Art Privilegierung der Medien, sagt Felix Zimmermann, Rechtsanwalt und Chefredakteur des digitalen Rechtsmagazins Legal Tribune Online. Die Rechtsprechung hat dafür über Jahrzehnte hinweg Regeln entworfen, um die Verdachtsberichterstattung von der Verbreitung von Gerüchten durch einzelne Personen abzugrenzen:
„Dahinter steckt der Gedanke, dass natürlich schon ein Gerücht so tief eingreifen kann in die Privatsphäre und auch das schon dazu geeignet sein kann, Existenzen zu vernichten. Und deswegen ist es eigentlich umgekehrt so, dass ein Gerücht schon auch eine üble Nachrede, den Tatbestand der üblen Nachrede, verwirklichen kann, also, dass man sich dadurch strafbar machen kann, wenn man Gerüchte verbreitet, und hier die Möglichkeit für die Medien, eine Verdachtsberichterstattung zu machen, eine Privilegierung darstellt. Also die dürfen trotzdem über einen Verdacht berichten, obwohl er eben nur ein Gerücht ist, letztlich. Dafür müssen dann aber eben strenge Voraussetzungen erfüllt sein.“
Zum Beispiel müssen Medien immer klar benennen, dass es sich nur um einen Verdacht handelt. Sie müssen darauf achten, dass es mehr als nur eine Quelle für ihre Behauptungen gibt. Sie müssen eine Stellungnahme des Betroffenen einholen. Und: Sie dürfen nicht vorverurteilen. So entschied beispielsweise das Landgericht München, dass die Bild-Zeitung die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung missachtet habe, weil sie einen Zeugen im Wirecard-Skandal als „Schlüsselfigur“ bezeichnet hatte – eine Vorverurteilung.

"Trotz Freispruchs ist Kachelmann nicht mehr der Gleiche“

Die Pranger-Wirkung vorverurteilender Berichterstattung kann für Betroffene schwere Konsequenzen haben – so wie im Fall von Jörg Kachelmann.
„Dieser Mann will eine Lüge aus der Welt schaffen, aber es gelingt ihm nicht. Er war mal ein bekannter ARD-Wettermoderator. Ein echter Liebling der Deutschen, ein lustiger, unbeschwerter Typ. Dann kam er als angeblicher Vergewaltiger vor Gericht. Trotz Freispruchs ist er nicht mehr der Gleiche", berichtete das ARD-Magazin Panorama.
Der Skandal um Jörg Kachelmann, seine Verhaftung und der lange Gerichtsprozess, der mit einem Freispruch endete, war begleitet von einem riesigen Medienecho, das seinem Ruf empfindlich schadete und seiner eigenen Fernsehkarriere einen irreparablen Schaden zufügte. Im Nachgang des Prozesses von 2010 erreichte der Wetterexperte, dass Springer und Burda hohe Summen zahlen mussten, weil sie seine Persönlichkeitsrechte verletzt hatten. Und doch meinte der Medienanwalt Christian Schertz im NDR-Radio:
„Im Zweifel verdienen die Boulevardmedien mehr Geld damit, wenn sie den Rechtsbruch praktisch einkalkulieren im Verhältnis zu dem, was sie später an Schmerzensgeldern zahlen müssen. In Deutschland sind die Geldentschädigungssummen für Betroffene von Medienberichterstattung immer noch so niedrig, dass sich eigentlich jeder Rechtsbruch bei den Boulevardmedien rechnet, also auch der im Fall Kachelmann.“

Verdachtsberichterstattung - Bild-Zeitung besonders häufig in der Kritik

Die Bild-Zeitung steht häufig im Fokus, wenn Verdachtsberichterstattung kritisiert wird. So auch im Fall der Berichterstattung über den ehemaligen Fußballprofi Christoph Metzelder:
„Der Begriff Unschuldsvermutung heißt, jemand ist so lange unschuldig, bis die Schuld durch ein gerichtliches Verfahren nachgewiesen ist. Wenn Sie als Vergewaltiger oder als Kinderschänder gebrandmarkt werden, auch wenn sich hinterher herausstellt, da ist nichts dran: das werden Sie in Ihrem Leben nie wieder los. Herr Metzelder ist fertig nach zwei Tagen, bevor überhaupt etwas rausgekommen ist. Der ist gebrandmarkt für den Rest seines Lebens", sagte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki 2019 in der Talkshow „Anne Will“, nachdem in der Bild-Zeitung Berichte erschienen waren, nach denen Christoph Metzelder möglicherweise kinderpornografisches Material verbreitet hatte.
Innerhalb weniger Tage gab es mehr als ein Dutzend Artikel, darunter zwei Titelgeschichten. Zu diesem Zeitpunkt wurde noch ermittelt, und das, weil auch die Bild-Zeitung die Hamburger Polizei über den Tatverdacht informiert haben soll. Im Gespräch mit der Deutschlandfunksendung „Mediasres“ verteidigte der damalige Bild-Chefredakteur Julian Reichelt das Vorgehen seiner Zeitung:
„Warum sind wir mit dem Namen Christoph Metzelder rausgegangen? Weil die Durchsuchungsmaßnahmen in aller Öffentlichkeit stattgefunden haben, bei einem nicht nur deutschlandweit nationalbekannten, sondern weltbekannten Fußballstar. Weil diese Durchsuchungsmaßnahmen in Anwesenheit von zum Beispiel anderen ehemaligen Bundesliga-Profis stattgefunden haben. Und eine Verkürzung des Namens hätte aus unserer Sicht in diesem Fall keinerlei schützenden Effekt gehabt. Im Gegenteil, das hätte die Spekulationen darüber, ‚Um wen handelt es sich denn da?‘ ‚Warum wird denn über den jetzt abgekürzt berichtet?‘ ‚Wird da vielleicht irgendetwas verborgen?‘ massivst, massivst befeuert und dadurch das, was die große Sorge aller Kritiker ist, nämlich Vorverurteilung, vermutlich eher noch beschleunigt als gedämpft.

"Um da reißerische Berichterstattung sehen zu wollen, muss man die schon sehr, sehr, sehr dringend sehen wollen"

Eine der Überschriften der Bild lautete: „Hier holen Fahnder Metzelder aus der Sportschule“. Auf den Vorwurf, dass damit eine Abführung Metzelders suggeriert wurde, obwohl keine Verhaftung stattgefunden hat, reagierte Reichelt damals defensiv:
„Also, um da reißerische Berichterstattung sehen zu wollen, muss man die schon sehr, sehr, sehr dringend und energisch sehen wollen. Die Überschrift bei uns war der Sachverhalt hier holt die Polizei Christoph Metzelder in der Sportschule Hennef ab. Das ist tatsächlich genau das, was dort geschehen ist.“
Felix Zimmermann, Chefredakteur der Legal Tribune Online, war zu dem Zeitpunkt journalistischer Rechtsexperte beim ZDF und an der Entscheidung über die Berichterstattung des Zweiten Deutschen Fernsehens zu diesem Fall beteiligt:
„Wir haben uns da auch sehr sorgsam überlegt, ob man das jetzt tun sollte oder nicht. Weil man darf ja gerade da die wirklich herausragende Verantwortung der Medien nicht vergessen. Denn gerade hier, was diesen Deliktsbereich angeht, gibt es eben dann gesellschaftlich keinerlei Erbarmen mehr danach. Und es bleibt immer was hängen. Also, wenn man hier einen Totschlag begeht, dann kann man immer noch später im Dschungelcamp landen und Dschungelkönigin werden. Aber wenn man irgendwie im Bereich der Kinderpornografie was Berührung hatte und dazu auch noch den Verdacht, pädophil zu sein, bedeutet es eben das gesellschaftliche Aus. Und zwar für immer. Da ist es nun wirklich so, dass diese Kriterien besonders streng geprüft werden müssen.“
Aber auch das ZDF entschied sich nach langem Abwägen dafür, zu berichten – nicht allein wegen der Prominenz des Betroffenen.
„Bedeutung hatte allerdings schon, dass er sich hier gerade im Bereich der Kinderhilfe engagiert hat, sodass hier auch so eine gewisse Warn- und Kontrollfunktion aktiviert wurde. Entscheidend war aber dann doch auch, dass wir eben damals mehr Informationen hatten, die darauf hindeuten, dass es eben über den bloßen Anfangsverdacht hinausgeht. Deswegen haben wir damals auch die geforderte Unterlassungserklärung der Berichterstattung nicht abgegeben.“

Ein bloßer Anfangsverdacht reicht nicht aus

Wenig später stellte das Landgericht Köln fest, die Berichterstattung der Bild sei „mindestens unausgewogen, in Teilen deutlich vorverurteilend“ gewesen, und untersagte dem Blatt per einstweiliger Verfügung, mit Foto und Namen über die Ermittlungen gegen Metzelder zu berichten. Ein bloßer Anfangsverdacht reiche eben nicht aus, wie Felix Zimmermann betont:
„Und Letztlich wurde dann nach Ansicht dieser Gerichte die Berichterstattung erst dann zulässig, als tatsächlich Anklage erhoben wurde. Denn wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt, dann liegt eben nicht mehr bloß ein Anfangsverdacht vor, sondern schon ein gesteigerter Verdacht, Juristen sagen da: ein hinreichender Tatverdacht.“
Im Fall von Christoph Metzelder kam es auch zu einer Verurteilung – wegen des Besitzes und der Verbreitung von Kinderpornografie. Doch von einer Verurteilung dürfen Medien vorab nicht ausgehen – für jedermann gilt die Unschuldsvermutung, solange ein Gericht noch nicht entschieden hat. Um juristische Schuld oder Unschuld geht es aber bei der Verdachtsberichterstattung ohnehin nicht immer. Die Regeln für diese setzen bereits viel früher an: Sie sollen Menschen in der Berichterstattung vor – wie Juristen es nennen – „ungerechtfertigter gesellschaftlicher Ächtung“ schützen.

"Die Presse hat nicht dieselbe Aufgabe wie die Justiz"

Wo diese Ächtung beginnt, ist nicht immer so einfach zu sagen. So ging Gerhard Schröder juristisch bis zum Bundesverfassungsgericht gegen eine Agenturmeldung aus dem Jahr 2002 vor, in der per Zitat verbreitet worden war, der damalige Bundeskanzler färbe sich die Haare. Eine Behauptung, die für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Politikers von Relevanz sein könnte. Schröder war deshalb juristisch erfolgreich, weil die Agentur versäumt hatte, eine Stellungnahme bei ihm einzuholen – wie es bei der Verdachtsberichterstattung gefordert wird. Gleichzeitig aber hatte der Kanzler gerade wegen seines juristischen Vorgehens dafür gesorgt, dass seine Haarfarbe über Jahre hinweg zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen wurde.
„Also ich finde es ganz wichtig zu sagen, dass die Presse nicht dieselbe Aufgabe hat wie die Justiz. Sonst könnten wir uns alle in die Gerichtssäle setzen und abschreiben, was dort passiert", sagte die investigative Reporterin Juliane Löffler dem NDR-Magazin Zapp.
Gemeinsam mit anderen Journalisten hatte sie öffentlich gemacht, dass Mitarbeiterinnen der Bild ihrem Chefredakteur Julian Reichelt Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung vorwarfen. Die Recherche hatte Monate in Anspruch genommen.
„Es gibt viele Gründe, dass Personen manchmal nicht einen juristischen Weg gehen, sondern einen anderen Weg wählen, um Missstände öffentlich zu machen oder dafür zu sorgen, dass Missstände oder Fehlverhalten Konsequenzen hat. Ich finde es auch wichtig zu sagen, dass nicht nur, weil etwas justiziabel ist, dass das nicht bedeutet, dass man nicht darüber berichten darf. Natürlich gibt es Missstände, die nicht justiziabel sind, die an die Öffentlichkeit gehören und für diese auch Konsequenzen geben muss. Und ich glaube, dass die Funktion der Presse da ganz zentral ist.“
Die Presse arbeitete im Reichelt-Skandal, wie auch in anderen Fällen, in denen es um potenzielle sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch geht, wie eine Art Schutzschild. Die Betroffenen hätten vermutlich nicht alleine an die Öffentlichkeit gehen können, ohne sich in Rechtsstreitigkeiten zu verwickeln, deren Ende kaum überschaubar gewesen wäre. Aber auch für Medien ist hier die Berichterstattung besonders heikel, sagt Rechtsexperte Felix Zimmermann:
„Also schwierig wird es in der Tat dann, wenn quasi wirklich Aussage gegen Aussage steht und man quasi von dem Mindestbestand an Beweistatsachen dann quasi nur eine Aussage hat. Dann ist es wirklich so, dass Zurückhaltung geboten ist in der Berichterstattung, wenn es nicht weitergehende Indizien gibt. Man darf sich eben als Medium nicht nur auf eine Aussage verlassen. Im Fall Reichelt, wo es ja nicht um strafrechtliche Vorwürfe, sondern teilweise auch so ein bisschen diffus um Vorwurf Machtmissbrauch geht, gab es nun mehrere Frauen, die entsprechend ausgesagt haben, so dass sich dann natürlich schon ein anderes Bild kennzeichnet, als wenn wir jetzt nur einer Aussage hätten.“

Die Regeln für die Verdachtsberichterstattung sind aus guten Gründen streng

Die Investigativ-Journalistin Löffler betont in einem solchen Fall die Bedeutung von juristischen Vorgängen:
„Wenn Quellen zu mir kommen und was über Missstände oder auch MeToo-Fälle berichten, dann ist natürlich eine meiner ersten Fragen auch: Gibt es dazu schon juristische Vorgänge, weil das natürlich die Beleglage so einer Berichterstattung extrem stärkt. Und da macht es natürlich einen großen Unterschied: Gibt es eine Anzeige, gibt es vielleicht sogar eine Anklage. Das sind natürlich total relevante Faktoren, die auch extrem beeinflussen, ob man über etwas berichten kann oder nicht. Ich finde es aber total wichtig zu sagen, dass nur, weil es keine juristischen, justiziablen Vorgänge zu etwas gibt, das auf keinen Fall bedeutet, dass man nicht darüber berichten kann.“
Die Abwägung in solchen Fällen sei immer schwierig und beziehe viele Faktoren ein:
„Wie hoch ist das öffentliche Interesse? Wie gut kann man die Vorgänge belegen? Das ist oft ein Problem, weil natürlich gerade im Bereich Missbrauch viel in Zweier-Situationen stattfindet. Da gibt es aber auch Möglichkeiten, sich mit der Recherche anzunähern, um zu überprüfen, ob etwas stimmt mit Indizien. Und dann muss man natürlich gucken: handelt es sich um einen Fall oder mehrere. Und das sind extrem komplexe Abwägungen, die lange dauern, um am Ende zu entscheiden: Glauben wir, dass das etwas ist, was wir veröffentlichen können?“
Als Ergebnis der Recherchen von Juliane Löffler und anderen wurde Julian Reichelt von seinen Aufgaben als Bild-Chefredakteur entbunden. Wie es aus dem Springer-Verlag hieß: weil er Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt habe. Für das Karriereende von Julian Reichelt spielte allerdings auch eine Rolle, dass nicht nur deutsche Journalistinnen und Journalisten berichteten.
Unter Druck wurde der Springer-Verlag auch durch die Berichterstattung der New York Times und der Financial Times gesetzt. Die Tatsache, dass andere Medien über einen Missstand berichten, heißt im Übrigen nicht, dass Journalistinnen und Journalisten ihre Sorgfaltspflicht deshalb vernachlässigen können und die Meldungen einfach weiterverbreiten, erläutert der Jurist Felix Zimmermann.
„Prinzipiell kann man sich jetzt nicht als Journalistin damit rausreden und sagen: ja, wurde doch schon veröffentlicht. Man muss selbst prüfen, ob unter persönlichkeitsrechtlichen Belangen eine Berichterstattung zulässig ist. Und andere Medien sind eben auch keine privilegierte Quelle im Sinne des Presserechts. Privilegierte Quelle: was bedeutet das? Journalisten haben die Möglichkeit, Tatsachenbehauptungen, die von anerkannten Nachrichtenagenturen wie zum Beispiel der Deutschen Presse-Agentur stammen, oder eben auch von Behörden. Dann müssen sie nicht weiter prüfen, ob diese Tatsachenbehauptungen wahr sind. Das können Sie erst mal unterstellen.“
Die Regeln für die Verdachtsberichterstattung sind aus guten Gründen streng. Denn selbst wenn vor Gericht alle Vorwürfe gegen Betroffene ausgeräumt worden sind, wenn Verdächtigungen sich als haltlos, als unbegründet oder nicht beweisbar herausgestellt haben: Es bleibt immer etwas hängen, sagt der Volksmund. Und Richtigstellungen in Zeitungen, auf Online-Portalen oder in Sendungen werden nie im gleichen Umfang von der Öffentlichkeit wahrgenommen wie die ursprüngliche Berichterstattung.