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Vor 100 Jahren geboren
Horst Stern - TV-Anwalt der Tierwelt und der Natur

Der 1922 geborene Wissenschaftsjournalist Horst Stern schrieb bundesdeutsche TV-Geschichte. Seine Filme über Massentierhaltung und Tierversuche führten wiederholt zu Schockwellen. Später wurde er einer der bekanntesten Umweltschutz-Aktivisten.

Von Irene Meichsner |
Der streitbare Umwelt-Journalist und Naturfilmer Horst Stern am 18. November 1997 bei"Spiegel TV" in Hamburg. Er machte 1987 seiner TV-Reportage "Sterns Bemerkungen über einen sterbenden Wald" auf das Problem des Waldsterbens aufmerksam.
Der 2019 gestorbene Wissenschaftsjournalist und Naturfilmer Horst Stern hier 1997 bei"Spiegel TV". (picture-alliance / dpa / Markus Beck)
„Jahrelang war ich ja die ökologische Klagemauer der Nation. Es klingt ungeheuer eingebildet, wenn man das sagt, aber es ist so. Wo immer Leute meinten, es müsste ein Atomkraftwerk verschwinden, oder es müsste ein Stück Wald gerettet werden, oder es müsste eine Pappel-Allee bestehen bleiben, die man für eine Straßenbahn umsägen wollte, und dergleichen mehr - da fiel den Leuten immer gleich der Horst Stern ein, und dann schrieben sie mir ihre Briefe. Sie schickten mir also ganze Akten ins Haus, ich konnte das Zeugs überhaupt nicht mehr lesen, geschweige denn, darauf noch antworten.“

Legendäre Fernsehserie und BUND-Mitbegründer

Am Ende war Horst Stern das alles leid - den hohen Erwartungsdruck, die Attacken seiner Widersacher und das Gefühl, ständig im Rampenlicht zu stehen. Dafür hatte er einfach schon zu viele Kämpfe ausgefochten. Horst Stern, der am 24. Oktober 1922 in Stettin geboren wurde, war einer der passioniertesten Journalisten seiner Zeit und einer der klügsten Köpfe unter den deutschen Umwelt- und Naturschutzaktivisten.
1975 gründete er mit Gleichgesinnten den „BUND“, den Bund für Umwelt und Naturschutz, später rief er die Deutsche Umweltstiftung mit ins Leben. Stern schrieb Bücher, er hielt Vorträge - und er machte Fernsehen. „Sterns Stunde“ hieß die legendäre Fernsehserie, der er seine kolossale Breitenwirkung verdankte. 24 Folgen dieser oft aufwühlenden Tierdokumentationen sendete die ARD in den70er-Jahren. Und Horst Stern wusste:
„Ich war der erste meines Wissens, der mit Kameras in diese Hühnerbatterien hineinging, und ich war auch wohl der Erste, der diese Mastschweinerei zeigte, in ziemlich schockierenden Bildern. Das war zwar der Fachwelt bekannt, aber die Öffentlichkeit wusste überhaupt nichts davon. Sie glaubte nach wie vor daran, dass ihr Frühstücksei von Mistkratzern produziert würde, und als sie dann sahen, wie diese Tiere zu Hunderten und zu Tausenden, ja zu Zehntausenden unter dem Dach in Käfigen vegetierten - das war wie ein Schock.“

Als Horst Stern die Jägerschaft rotsehen ließ

Schon Sterns eindringliche Stimme ließ spüren, wie ernst er die Dinge meinte. Auf die Beiträge über das Hausschwein, das Haushuhn und den Igel folgte Ende 1971 die mit Abstand provokanteste Ausgabe von „Sterns Stunde“ - ein Beitrag über den Rothirsch, den Horst Jaedicke, der Fernsehdirektor des Süddeutschen Rundfunks, ausgerechnet auf den Heiligen Abend hatte terminieren lassen. Stern warf den deutschen Jägern darin vor, das Rotwild aus reiner Gier nach Trophäen in einem für den Wald absolut unerträglichen Maße herangemästet zu haben:

„Sie hören richtig, meine Damen und Herren, es ist nicht dringlich zurzeit, den Hirsch zu schonen. Es ist dringlich zurzeit, ihn zu schießen.“

Der Film endete mit den Worten: „Man rettet den deutschen Wald ja nicht, indem man 'Oh, Tannenbaum' singt.“
Es hagelte Proteste. Stern bekam Morddrohungen und brachte sich auf Rat der Kriminalpolizei in Frankreich in Sicherheit. Aber an seinem hohen journalistischen Anspruch hielt er fest. In einem Vortrag über Wissenschaft und Journalismus sagte er 1974:
„Wer eine soziale, ökonomische oder ökologische Leidenschaft, die sich an gesellschaftlichen Missständen entzündet, nicht verspürt, der lasse die Finger von unserem Beruf, wenn ich ihm raten darf.“

Kontroversen um Stern beim Thema Tierversuche

1978 brachte Stern die Emotionen noch einmal in Wallung. In drei Folgen von „Sterns Stunde“ beschäftigte er sich mit Tierversuchen, mit Bildern, wie man sie im Fernsehen noch nie gesehen hatte. Dass er sich im Hinblick auf den Sinn und Zweck von Tierversuchen um eine differenzierte Position bemühte, konnten ihm auch viele Anhänger nicht verzeihen. Stern sah sich als „Knecht der Pharmaindustrie“ beschimpft. Und erkannte:
„Das ist die Gefahr, die in diesem Medium steckt, wenn man es richtig bedient, das heißt, wenn man ihm starke Bilder gibt, da kannste vergessen, was Du dazu selber zu sagen hast. Das kommt nicht an“,

Rückzug nach Irland und ins Schreiben

lautete seine ernüchterte Bilanz, die ihn schließlich dazu bewog, unter seine Fernsehkarriere einen Schlussstrich zu sehen. 1980 gründete Stern die Zeitschrift „natur“, vier Jahre später ließ er auch den Beruf des Journalisten hinter sich – wieder so ein radikaler Schritt, der für ihn aber auch typisch war. Stern wanderte nach Irland aus, um dort Romane und Kurzgeschichten zu schreiben. Nach 16 Jahren im freiwilligen Exil kehrte er nach Deutschland zurück, lehnte Interview-Wünsche aber weiter ab - auch darin wieder konsequent. Seinen Lebensabend verbrachte Horst Stern bei Passau, wo er am 17. Januar 2019 im Alter von 96 Jahren starb.