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Journalist: Mängel beim Informanten- und Redaktionsschutz

Nach Auffassung von Michael Rediske, freier Journalist und im Vorstand der deutschen Sektion von "Reporter ohne Grenzen", gibt es in Deutschland in Punkto Pressefreiheit vor allem beim Informanten- und Redaktionsschutz Mängel. Für den investigativen Journalismus sei es bedenklich, dass die Strafverfolgung momentan vor die Pressefreiheit trete, meinte Rediske.

    Heuer: .Ist Ihnen das nicht auch schon oft aufgefallen? Kaum gibt es ein Ereignis, das alle aufmerksam verfolgen, kommen ähnliche Ereignisse hinzu. Im Moment erleben wir das mit Meldungen über Verstöße gegen die Pressefreiheit, auch in Deutschland. Mit der "Cicero"-Affäre begann es, jetzt erfahren wir, dass der Bundesnachrichtendienst in den 90er Jahren Journalisten bespitzelt haben soll - und zwar mehrfach. Zufall oder wie es bereits heißt, nur die Spitze eines Eisbergs? Am Telefon ist Michael Rediske, freier Journalist und im Vorstand der deutschen Sektion von "Reporter ohne Grenzen". Ist die Pressefreiheit in Deutschland in Gefahr oder wäre das dann doch ein zu großes Wort?

    Rediske: Nun, "Reporter ohne Grenzen" hat kürzlich wieder seine Rangliste zur Pressefreiheit veröffentlicht. Da ist Deutschland etwas abgerutscht, auf den Platz 18. Aber verglichen mit Ländern wie Nordkorea, Kuba, Turkmenistan, die dann auf Plätzen 160, 180 liegen, ist das natürlich weit unten. Oben liegen immer noch die westeuropäischen, vor allen Dingen auch die nordeuropäischen Länder vor Deutschland. Und Gefährdungen gibt es bei uns vor allen Dingen im Bereich des Informantenschutzes oder auch des Redaktionsschutzes, wie er genannt wird. Und darauf zielen ja auch die Beispiele, die Sie eben genannt haben.

    Heuer: Um noch kurz bei der Rangliste von "Reporter ohne Grenzen" zu bleiben: Deutschland hat da immerhin binnen eines Jahres sieben Plätze verloren. Woran liegt denn das?

    Rediske: Ja, vor allen Dingen daran, dass Sie eben diese Fälle haben, wo Handy-Nummern weitergegeben werden von staatlichen Organisationen oder auch von der Telekom und wo das von den Richtern gebilligt wird. Also wir beobachten generell dass diese Rolle, kontrollierende Rolle von Journalisten in der Demokratie immer weniger als wirklich oberstes Gut auch anerkannt wird, sondern dass da auch im Zuge der Terrorismusbekämpfung die Bereitschaft zugenommen hat auch von Richtern, auch vom Bundesverfassungsgericht mit einem Urteil im Jahr 2003, die Pressefreiheit etwas hintanzustellen und zu sagen: Ja, aber die Strafverfolgung muss vor gehen. Und das ist für uns eine sehr bedenkliche Entwicklung, weil dieser investigative Journalismus ja doch das einzige Mittel ist, auch Skandale aufzudecken. Und uns fällt schon auf, dass in den letzten zehn, 15 Jahren also selbst der allzu mächtige "Spiegel" nicht mehr viele Skandale aufgedeckt hat. Wir glauben, es gibt da wirklich einen Vertrauensverlust auch von anonymen Informanten, auf die ja die Journalisten angewiesen sind.

    Heuer: Gut, wenn wir über investigativen Journalismus reden, dann sollten wir mit der "Cicero"-Affäre beginnen, die ja in der Rangliste 2005 von "Reporter ohne Grenzen" noch gar keine Rolle gespielt hat. Da sind vertrauliche Dienstdokumente veröffentlicht worden und es gab eine Hausdurchsuchung, Bürodurchsuchung, Redaktionsdurchsuchung bei dem Kollegen Bruno Schirra, der den inkriminierten Artikel geschrieben und in "Cicero" veröffentlicht hat. Nach deutschem Recht ist diese Veröffentlichung strafbar. Ist denn die Ermittlung in diesem Fall dann wirklich eine Einschränkung der Pressefreiheit, Herr Rediske? Kann man das wirklich so werten?

    Rediske: Also das Problem liegt darin, dass hier ganz offensichtlich die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt wurde. Grundsätzlich sollten Durchsuchungen – und wie gesagt – diese Verletzung des Berufsgeheimnisses nur erfolgen bei schweren Verbrechen oder zum Beispiel zur unmittelbaren Abwehr der Bedrohung von Menschenleben. Hier ist aber eine Hilfskonstruktion gewählt worden, nämlich der Journalist ist der "Beihilfe zum Geheimnisverrat" verdächtigt worden, und deswegen durfte ermittelt werden. Man kann sich darüber streiten – und das tun auch im Moment die Journalisten und die Journalistenorganisationen –, ob in diesem Fall bei der Veröffentlichung von Bruno Schirra wirklich diese Details aus dem BKA-Bericht, die er da, also Telefonnummern beispielsweise, ob das irgendeine Funktion gehabt hätte. Ich tendiere dazu, zu sagen: Das war tatsächlich überflüssig.

    Heuer: Da muss man sagen, vielleicht zur Erklärung, da ging es um Handy-Nummern von mutmaßlichen Terroristen, die er mit in seinen Artikel reingeschrieben hat.

    Rediske: Ja. Von denen er sagt, dass sie nicht mehr aktuell waren, also keine Gefahr dargestellt hätten. Aber ich würde auch kritisch anmerken, dass tatsächlich diese Freiheit oder dieses Privileg der Journalisten ja nicht ihnen dient, sondern sozusagen der Aufdeckung von Skandalen. Darum ging es jetzt hier in diesem Fall eigentlich nicht, sondern er hat sozusagen dargestellt, was er an Material hatte. Insofern kann man über den Fall durchaus streiten. Aber auf jeden Fall ist es völlig unverhältnismäßig, Durchsuchungen zu machen und sozusagen generell das Vertrauen von möglichen Informanten in die Presse, in die Journalisten dadurch zu erschüttern, dass man bei relativ geringem Anlass Durchsuchungen vornimmt.

    Heuer: Gibt es denn Forderungen, die Sie stellen, im Zusammenhang mit der "Cicero"-Affäre, auf Veränderung dieser Praxis?

    Rediske: Ja auf jeden Fall. Sozusagen dass das beschränkt wird. Sozusagen das Aufheben des Informantenschutzes auf schwere Verbrechen, ja? Und das, was ich eben schon nannte, unmittelbar drohende Gefahr. Und dass man vielleicht auch einsieht, dass all, ja die Durchsuchungen eigentlich verfolgungsmäßig fast nichts gebracht haben in den letzten 15, 20 Jahren, verglichen mit der wirklich starken Einschränkung der Möglichkeiten, da an Informanten heranzukommen. Also wenn da, da kommen ja noch die Zufallsfunde, die so genannten Zufallsfunde hinzu. Also jeder muss ja damit rechnen, dass bei einem Journalisten aus irgendeinem anderen Anlass, die Keller durchwühlt werden, und dass möglicherweise irgendwelche Dokumente, die ihn betreffen, dann auch mal auftauchen. Also wer gibt dann schon noch ein Dokument aus der Hand?

    Heuer: Von einem anderen Kaliber scheint zu sein, was wir gerade über den BND erfahren. Der Bundesnachrichtendienst hat offenbar in den 90er Jahren nicht nur einmal, sondern mehrfach Journalisten nicht alleine mitobserviert, sondern gezielt ausspioniert. Ist Deutschland auf dem Weg zum Spitzelstaat?

    Rediske: Also, bisher ist dieser Fall ja nicht aufgeklärt. Bisher können wir nur wirklich fordern, dass auch aufgeklärt wird: Wie lange hat das wirklich gedauert?, Ist danach noch irgendwas gewesen? Der Fall selber liegt ja über zehn Jahre zurück. Es wird uns versichert – aber da müssen wir sehen, wie glaubwürdig das ist –, dass so etwas sich nicht wiederholen kann. Aber es ist natürlich eine ganz harte Angelegenheit, weil es in Richtung auf Geheimdienst und auch noch im Inland Bespitzlung durch einen Auslandsgeheimdienst zielt. Also wenn irgendetwas so noch in jüngerer Zeit auftauchen würde, das wäre ein Riesenskandal.

    Heuer: Was heißt "in jüngerer Zeit"? Geht es da um die Jahre, zum Beispiel, 97/98, von denen bereits die Rede ist?

    Rediske: Gut, da muss man sehen, wie lange das überhaupt angedauert hat und wer davon gewusst hat. Ich sage nur: Wenn also irgendein Verantwortlicher heute noch in irgendwelchen Positionen wäre, dann müsste der sofort von der Bildfläche verschwinden.

    Heuer: Max Stadler von der FDP fordert bereits – immer vorausgesetzt, die Vorwürfe an den BND stimmen –, dass Gesetze geändert werden müssten. Schließen Sie sich an?

    Rediske: Kann ich Ihnen jetzt ganz im Detail auch nicht sagen. Da bin ich jetzt auch kein Rechtsexperte. Vermutlich geht es sicherlich darum, die Überwachungsfunktionen zu verstärken. Auch die Überwachungsfunktion des Parlaments. Das ist auch, wenn in diesen Fällen sozusagen das Parlament, auch die Geheimdienstkommission des Bundestages, umgangen worden ist, dann muss da auf jeden Fall eine starke Kontrolle her.

    Heuer: Und die Forderung, ein unabhängiges Gremium zu gründen, einzurichten, um diese Kontrolle künftig unabhängig, ganz unabhängig zu gewährleisten, würden Sie diese Forderung unterstützen?

    Rediske: Müsste man diskutieren, wer einem solchen Gremium angehört. Zunächst mal denke ich, dass Parlamentarier schon die richtigen Personen sind, um das zu kontrollieren.

    Heuer: Gerade ist bekannt geworden, Herr Rediske, dass die Berichterstatter bei der anstehenden Fußballweltmeisterschaft sich vom Verfassungsschutz checken lassen sollen bei der Akkreditierung. Was ist denn von so was zu halten?

    Rediske: Also das finde ich nun ziemlich unmöglich. Also das bedeutet eigentlich, dass Journalisten zum Sicherheitsrisiko erklärt werden. Und das zerstört doch schon im Vorfeld der WM das Vertrauensverhältnis bei der Zusammenarbeit. Ich glaube, da wird es noch einige Proteste geben.

    Heuer: Jetzt haben wir über die Pressefreiheit in Deutschland gesprochen. Lassen Sie uns noch kurz einen Ausblick machen auf den Internet-Gipfel, der in Tunis morgen beginnt. Die Europäische Union will dort dafür sorgen, dass die Internetkontrolle der USA – die diese innehat – durchbrochen wird. Sind Sie dafür?

    Rediske: Da müssten natürlich sozusagen in dem Fall tatsächlich unabhängige Gremien eingerichtet werden. Das Problem sicherlich, wenn man neue Gremien auf staatlicher Ebene einrichtet, ist immer, dass dann beispielsweise bei der UNO Staaten ins Spiel kommen, die ja viel weniger als die USA die Pressefreiheit achten. Also "Reporter ohne Grenzen" hat besonders als Beobachter bei der UN-Menschenrechtskommission da Probleme mit Ländern wie Kuba, wie Tunesien auch gehabt, die dann dafür sorgen, dass bestimmte Probleme ja nicht angesprochen werden, weil sie selber versuchen, in dem Fall beispielsweise das Internet zu zensieren. Also da muss man sehr darauf achten: Wer bekommt dann die Dinge in die Hand?

    Heuer: Also im Zweifel lassen wir es lieber so, wie es jetzt ist?

    Rediske: Im Zweifel lassen wir es so, wie es jetzt ist.

    Heuer: Herr Rediske, ganz zum Schluss noch eine Frage, was Ihre Rangliste von "Reporter ohne Grenzen" angeht. Wir haben schon gesagt, Deutschland ist dort zwischen 2004 und 2005 vom Platz 11 auf 18 abgerutscht. Ihr Tipp: Wo stehen wir denn 2006, nach den Erfahrungen zum Beispiel mit der "Cicero"-Affäre?

    Rediske: Ach Gott, jetzt wollen Sie von mir eine Zuspitzung hören, dass wir auf 25 stehen?

    Heuer: Nicht unbedingt.

    Rediske: Es kann schon sein, dass auch westliche Länder weiter abrutschen. Beispielsweise in Italien haben wir das unter Berlusconi gesehen. Und die USA mit der viel stärkeren Verletzung noch der Informationsrechte und der Berufsfreiheit der Journalisten. Das bewegt sich aber bei den westlichen Ländern sicherlich immer gegeneinander. Also wenn ein Land ein gutes Gesetz verabschiedet, dann gibt das auch wieder Pluspunkte. Also positiv würde ich durchaus nennen das gerade verabschiedete Informationsfreiheitsgesetz, was durchaus den, nicht nur den Journalisten, auch den anderen Bürgern, erweiterte Zugangsrechte auf Bundesebene zu Informationen schafft. Aber ich würde schon sagen: Es wird ein kleines Abrutschen geben noch einmal.