Christoph Heinemann: Der Name Erdogan kann zurzeit kaum genannt werden, ohne dass die Variationen Erdowie und Erdowo mitschwingen, und das hat natürlich mit dem Lied zu tun.
Auszug "extra 3":
Heinemann: Über Satire kann man streiten. Dem einen gefällt sie, anderen nicht. Die Fernsehsendung "extra 3" hatte jüngst den türkischen Staatspräsidenten zum Mitarbeiter des Monats befördert. Erdogans Wutausbruch nach der Satire hatte der Sendung unerwartete Zuschauerzahlen geliefert.
Das Lied ist das eine, ein anderes ein Schmähgedicht von Jan Böhmernann. Darin wird mit dem Namen Erdogan auch gespielt. Recep, verlaust, pervers, zoophil wird da genannt, jemand, der Kinderpornos schaue. Nun hat sich Angela Merkel dazu zu Wort gemeldet. In einem Telefongespräch mit dem türkischen Ministerpräsidenten Davutoglu bezeichnete sie dieses als "bewusst verletzend". Zuvor hatten sich Politikerinnen und Politiker noch mal bewusst vor die Presse gestellt und darauf hingewiesen, dass Pressefreiheit auch Satire beinhalte.
Im Studio ist jetzt Frank Überall, Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes. Guten Tag.
Frank Überall: Guten Tag!
Heinemann: Herr Überall, wie bewerten Sie Angela Merkels Bewertung dieses Satire-Gedichts?
Überall: Na ja. Angela Merkel hat sich vorher nicht geäußert zu dieser Satire von "extra 3", wo wir auch gerade den Ausschnitt noch mal gehört haben. Dann allerdings zu dieser Satire sah sie dann doch den Anlass, sich öffentlich zu äußern, denn das Ganze ist ja auch öffentlich gemacht worden, dass sie entsprechend mit der türkischen Regierung telefoniert hat. Das wundert mich etwas, denn auf der einen Seite zu schweigen und nicht die Pressefreiheit deutlich zu verteidigen, das kann man machen.
Ich habe das ja auch zu einem früheren Zeitpunkt schon gesagt, auch hier in den "Informationen am Mittag". Das macht durchaus Sinn, dem nicht zu breiten Raum zu geben. Die Pressefreiheit allgemein zu verteidigen, nicht am Beispiel dieser einen Satire, das ist angesagt. Aber auf der anderen Seite muss man jetzt auch nicht auf jeden Zug aufspringen als Bundesregierung. Auf der anderen Seite bei der zweiten Satire, die ich persönlich auch für instinktlos halte.
Heinemann: Das Gedicht meinen Sie?
Überall: Das Gedicht von Böhmermann. - An der Stelle dann zu sagen, okay, jetzt greife ich zum Telefon, jetzt schalte ich mich ein, jetzt suche ich auch die Öffentlichkeit und ordne das Ganze ein, das hat mich schon gewundert.
Heinemann: Wie wirkt das auf Sie? Warum tut sie das?
Überall: Ich glaube, sie tut das, um die Wogen etwas zu glätten, um auf der einen Seite auch deutlich zu machen, es gibt Dinge, die sind durch Presse-, durch Meinungs-, durch Kunstfreiheit gedeckt, und es gibt Dinge, die gehen in den Bereich der Schmähkritik, und die sind so nicht mehr zu vertreten. Jetzt muss man sich natürlich angucken, was hat Böhmermann genau gemacht. Böhmermann hat gesagt, das was "extra 3" gemacht hat, das war nicht schlimm, das muss man ertragen.
Schlimmer wäre es, wenn ich sage, und dann kam diese ganze Litanei mit den wirklichen Dingen, die auch unter die Gürtellinie gehen und die schon nicht mehr reine Satire sind. Das sehe ich persönlich auch so. Das kann man sehr unterschiedlich bewerten, aber an der Stelle ist es dann auch relativ schwierig, und ich glaube, dass Angela Merkel da meinte, sie müsste sich einschalten, um das Verhältnis, ich habe ein bisschen Schwierigkeiten zu sagen, das gute Verhältnis zu diesem Partnerland Türkei zu retten, zu bewahren.
Ich habe ein bisschen Schwierigkeiten deswegen zu sagen, dass es ein gutes Verhältnis ist, weil unter guten Partnern muss es auch möglich sein, Grundrechte anzusprechen, das Grundrecht auf Pressefreiheit, und da ist viel, viel mehr zu tun und viel, viel Dramatischeres, als die Diskussion über irgendwelche Satiren.
"Das fehlt mir ein bisschen an der deutschen Bundesregierung, dass sie hier nicht klar Stellung bezieht"
Heinemann: Aber ist es nicht gerechtfertigt, sich gegen solche Satire auch öffentlich zu positionieren, selbst wenn auf der anderen Seite die andere Seite, die Sie erwähnt haben, nämlich das Eintreten für Pressefreiheit, was man ja bei Angela Merkel vermuten darf, dass sie es vielleicht nicht laut macht, aber doch immerhin unter vier Augen dann vielleicht doch ansprechen wird, dass sie auf den einen Teil verzichtet und den anderen laut bekundet, nämlich die Kritik an diesem Gedicht.
Überall: Das ist dann wieder eine Frage des politischen Instinkts. Warum macht man das nicht laut? Bundespräsident Gauck hat es laut gemacht in China hat, hat die Menschenrechte angesprochen.
Heinemann: Ist das unbedingt besser?
Überall: Darüber kann man sich trefflich streiten. Ich persönlich frage mich, warum man diesen einen Punkt so in den Mittelpunkt stellt. Das wird politische Beweggründe haben. Aber diesen anderen Punkt, wir müssen uns bewusst machen, dass dort Journalistinnen und Journalisten schlicht und einfach, weil sie ihren Job machen nach unserem Verständnis, in das Gefängnis kommen, dass Redaktionen geschlossen werden, das ist nicht tragbar.
Und dass man dieses Thema nicht laut anspricht, wie Obama es zum Beispiel auch getan hat, der US-amerikanische Präsident, das fehlt mir ein bisschen an der deutschen Bundesregierung, dass sie hier nicht klar Stellung bezieht. Jetzt kann man sich auf den Standpunkt stellen, nein, wir beziehen zu so was grundsätzlich nicht Stellung. Aber dann frage ich mich, warum musste man jetzt bei der Böhmermann-Satire unbedingt zum Telefon greifen.
"Man muss auch mal aushalten, dass man unterschiedlicher Meinung ist"
Heinemann: Lesen Sie das auch als Zeichen politischer Abhängigkeit?
Überall: Es ist die Frage, ob es eine Abhängigkeit ist. Es ist eine Partnerschaft, ob uns das jetzt gefällt oder nicht. Aber wenn es eine Partnerschaft gibt, dann ist das wie im privaten Leben. Man muss auch mal aushalten, dass man unterschiedlicher Meinung ist. Man muss das aber auch klar formulieren. Wenn man sich da versteckt, gerade bei so etwas ganz Grundsätzlichem - wenn es darum geht, was wird jetzt im Supermarkt eingekauft, dann ist das in der privaten Partnerschaft nicht das allergrößte Problem.
Wenn es aber darum geht, wie bauen wir unser Haus gemeinsam und wie wollen wir gemeinsam miteinander umgehen, wie reden wir bei Freunden miteinander beziehungsweise übereinander, dann ist das was, was man deutlich zur Kenntnis nehmen muss, was man aushandeln muss. Diese Aushandlung, die wünsche ich mir. Wenn die unter vier Augen stattfinden sollte, dann wäre das gut. Ich habe aber den Eindruck, so wie sich Erdogan verhält, den Botschafter mehrfach einbestellen für eine "extra 3" harmlose Satire aus meiner Sicht.
Heinemann: Das Lied.
Überall: Das Lied, das durch die Pressefreiheit, durch die Meinungsfreiheit, durch die Kunstfreiheit nun definitiv gedeckt ist, das ist ein Vorgehen, das hat mit einer guten Partnerschaft wenig zu tun.
"Böhmermann hat es dann aus meiner Sicht übertrieben mit einer noch instinktloseren Provokation"
Heinemann: Wo sind die Grenzen der Satire?
Überall: Die Grenzen sind sicherlich hier im Fall Böhmermann überschritten, wo er mit einer instinktlosen bewussten Provokation auf eine instinktlose bewusste Provokation von Erdogan reagiert hat. Letzten Endes war das Verlangen von Zensur, das Erdogan an den Tag gelegt hat, nämlich diese "extra 3"-Satire, dieses Lied zu verbieten, es nicht mehr weiter zu veröffentlichen, das war eine bewusste Provokation, die vor allem auch sicherlich nach innen in die Türkei strahlen sollte. Aber Böhmermann hat es dann aus meiner Sicht übertrieben mit einer noch instinktloseren Provokation, weil Sie sprachen es an, Zoophilie, Dinge, die wirklich unter die Gürtellinie gehen, das ist Schmähkritik und ist durch irgendwelche Verdachtsmomente, die es tatsächlich gibt, nicht gedeckt. Bei den anderen Dingen, Menschen ins Gefängnis bringen, Journalisten ins Gefängnis bringen, das ist ja nun mal Fakt.
Heinemann: Verbirgt die Forderung nach Pressefreiheit manchmal auch Flegelhaftigkeit?
Überall: Natürlich gibt es solche und solche Presse. Natürlich sind auch wir nicht alles nur Engel als Journalistinnen und Journalisten und manchmal zielen oder gehen wir auch ein bisschen über das Ziel hinaus. Darum kann man sich dann jedes Mal und das ist auch gesellschaftlich wichtig, sich darüber zu streiten, was ist erlaubt und was nicht.
Es gibt den Presse-Codex, es gibt Selbstverpflichtungen, wo man jedes Mal spiegeln muss, wie weit können wir gehen in Satire. "Titanic" zum Beispiel, das Satire-Magazin, hat Bilder vom Papst gehabt, das hat unglaubliche Diskussionen ausgelöst. Oft ist es auch verletzend, was Satire da macht. Das heißt, deswegen stelle ich auch immer wieder darauf ab, dass es nicht alleine die Pressefreiheit ist, sondern auch Meinungs- und Kunstfreiheit. Satire darf dann auch letzten Endes noch etwas mehr als reine Pressefreiheit im Sinne von Berichterstattung, Einordnung und Kommentierung.
Heinemann: Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes. Danke schön für Ihren Besuch.
Überall: Danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.