Wer nach "Mesale Tolu" auf Twitter sucht, findet viele Nachrichten – geschrieben von Mesale Tolu selbst. Bis zum 29. April setzte sie regelmäßig Tweets ab, eigene und Retweets. Überwiegend in türkischer Sprache, in denen sie sich kritisch mit der Situation in der Türkei auseinandersetzte. Am 30. April hieß es dann in einer Kurznachricht des Accounts von "Etha", Tolu sei verhaftet worden. "Etha", so heißt die Agentur, für die die 33-jährige deutsche Staatsangehörige arbeitet, als "Übersetzerin und Journalistin", wie sie später selbst zu Protokoll gab.
Die Kunde von Tolus Verhaftung, der "Terrorpropaganda" vorgeworfen wird, verbreitete sich in den darauffolgenden Tagen - aber offenbar eben vor allem in dem sozialen Netzwerk. Dort machten erste Bilder von Solidaritätsadressen die Runde. Doch bis deutsche Medien aufmerksam wurden, vergingen fast zwei Wochen.
Am 11. Mai war Christian Buttkereit, für die ARD in Istanbul, der Erste, der über die Verhaftung einer deutschen Journalistin in der Türkei berichtete. Wenig später folgte die Nachrichtenagentur dpa, unter Berufung auf die ARD, und von nun an griffen Redaktionen landauf und -ab das Thema auf. Tolus Freilassung wurde gefordert und auf das Schicksal von insgesamt rund 150 inhaftierten Journalisten in der Türkei hingewiesen:
Auch in Tolus Heimat war das erste Interesse gewaltig -zumindest das mediale: Christoph Mayer, Lokalredakteur bei der in Ulm erscheinenden Südwest Presse, besuchte die Familie der Inhaftierten und eine Solidaritätsveranstaltung, die bereits am Tag nach der öffentlichen Bekanntgabe in der Ulmer Innenstadt stattfand. Den knapp 100 Teilnehmern der Solidaritätsveranstaltung hätten "fast ebenso viele Journalisten und lokale Politiker" gegenübergestanden, sagte uns Mayer.
Parallelen zum Fall Yücel
Warum er nicht schon früher berichtet hat, wollten wir von Türkei-Korrespondent Christian Buttkereit wissen. Der Fall sei nicht über den "üblichen Weg" bekannt geworden. Die türkischen Behörden hätten die deutschen nicht informiert. Erst über Freunde habe man von der Verhaftung erfahren, erklärte Buttkereit im Deutschlandfunk.
Beim seit vier Monaten in der Türkei inhaftierten deutsch-türkischen Journalisten Deniz Yücel vergingen nicht nur zwei Wochen, sondern fast zwei Monate, bis der Fall öffentlich wurde: Bereits kurz nach Weihnachten 2016 gab es erste Berichte über eine Hausdurchsuchung und einen Haftbefehl gegen den "Welt"-Korrespondenten. Doch Yücel entging einem Zugriff und versteckte sich in den kommenden Wochen in Istanbul. Erst Mitte Februar, nachdem sich Yücel den Behörden stellte und verhaftet wurde, wurde sein Fall einer breiten Öffentlichkeit bekannt.
"Positive Entwicklung"
Aber sind die Schicksale von Yücel und Tolu auch sonst vergleichbar? Für den Politikwissenschaftler und Journalisten Ismail Küpeli ist es ein "deutlicher Unterschied, ob ein 'Welt'-Korrespondent in der Türkei inhaftiert wird oder eine Person, die zu anderen Zeiten gar nicht beachtet worden wäre". Tolu sei aus "idealistischen Gründen in die Türkei gegangen, um dort einen Beitrag zu leisten im Sinne einer linken Demokratiebewegung und war dabei auch journalistisch tätig", sagte Küpeli dem Deutschlandfunk.
Ein ähnlicher Fall hätte noch vor Jahren "deutlich weniger Aufmerksamkeit erzeugt", ist er überzeugt. Der öffentliche Druck im Fall Yücel komme nun auch Tolu zugute. "Insofern sehe ich eine positive Entwicklung."
Einem deutschen Diplomaten wurde Mitte Mai zum zweiten Mal der Besuch von Yücel erlaubt. Im Fall von Mesale Tolu gibt es dem Bundesaußenministerium zufolge dagegen nach wie vor keinen Kontakt. Anfang der Woche durfte ihr Vater sie erstmals im Istanbuler Gefängnis besuchen. Er habe eine knappe Dreiviertelstunde mit ihr sprechen können, sagte er anschließend. Außerdem übergab er Tolu ihren Sohn, der von nun an bei seiner Mutter bleiben soll. Denn: Auch der Vater des Zweieinhalbjährigen sitzt in einem Gefängnis bei Istanbul.
(Michael Borgers)