Jochen Spengler: Politischer Journalismus in Deutschland: In Berlin beklagen die Politiker die Verrohung der Sitten. Haben sie Recht? In eigener Sache, darum soll es in den kommenden Minuten im Deutschlandfunk nicht ausschließlich gehen, aber doch schon ein wenig gehen, einfach, weil in gewisser Weise ein Lotse von Bord geht: Rainer Burchardt ist seit 1994 Chefredakteur und er verlässt uns heute nach fast zwölf Jahren in dieser Funktion, um an der Fachhochschule Kiel eine Professur anzutreten. Herr Burchardt, wie hat sich aus Ihrer Sicht der politische Journalismus in diesen zwölf Jahren verändert? Zum Schlechten hin oder zum Guten?
Rainer Burchardt: Das ist sehr schwierig, das jetzt mit gut oder schlecht zu bezeichnen. Auf jeden Fall ist eines geschehen. Der politische Journalismus, wenn man das so allgemein sagen darf, Herr Spengler, ist griffiger, zugriffiger geworden, er ist auch schneller geworden, damit allerdings auch fehleranfälliger, und er ist in gewisser Weise auch stärker unter Druck geraten. Das hat ganz viel zu tun mit der Digitalisierung, also der technologischen Entwicklung auf der einen Seite, mit dem Internet natürlich auch. Wir haben es mittlerweile mit einem sehr aggressiven Internetjournalismus zu tun, mit dem so genannten Blogging. Auf all das waren, ich will mal so sagen, die journalistischen Salons nicht richtig vorbereitet und dann der ökonomische Druck, das heißt also auch der Konzentrationsprozess - und das erleben wir ja insbesondere in der Diskussion in Berlin -, aber auch auf dem Sektor der Medien im elektronischen Bereich, also Fernsehen beispielsweise. Das Kartellamt ist jetzt doch öfter gefordert.
Spengler: Bleiben wir mal bei einem Stichwort schnell. Heißt schneller auch oberflächlicher?
Burchardt: Ja.
Spengler: Weniger Zeit für Recherche?
Burchardt: Ja. Eindeutig, ja.
Spengler: Was tun wir denn dagegen?
Burchardt: Sehr schwierig. Wir müssen da auch ein bisschen unterteilen. Ich denke, bei elektronischen Medien ist es ja zunächst mal gut, schnell und spritzig sein zu können, insbesondere in unserem, wir sind ja mit das schnellste Medium, das Radio. Gleichwohl passen wir natürlich auch auf. Wir beachten das Zwei-Quellen-Prinzip: Eine Quelle wird uns niemals reichen. Und das Prinzip, das habe ich versucht in den vergangenen zwölf Jahren hier in der Redaktion immer wieder hochzuhalten, heißt: Sicherheit vor Schnelligkeit. Es ist immer besser, eine Meldung noch genau zu überprüfen, um sie dann zu versenden, als sie gleich zu versenden und dann wieder der erste mit dem Dementi zu sein. Das ist das eine und das andere ist natürlich der ökonomische Druck, insbesondere auf dem Pressesektor, also über den gedruckten Medien, wo man nicht nur den Konzentrationsprozess hat, sondern eben auch den Wettbewerb, der ganz viel damit zu tun hat, dass die Morgenzeitung eigentlich ja mittlerweile schon Fußballergebnisse, Sportberichterstattung, möglichst auch noch ein Feuilleton, jetzt auch bei den olympischen Spielen über die Ereignisse haben muss, die in der vergangenen Nacht stattgefunden haben. Das ist natürlich dann sozusagen eins zu eins. Da ist nicht mehr viel an Kontrollmechanismen einzusetzen.
Spengler: Selbstkontrolle ist da vielleicht auch das Stichwort. Es gibt das "Netzwerk Recherche", das hat einen Medienkodex erarbeitet. Vielleicht sollten Sie sagen: Was ist dieses "Netzwerk Recherche"?
Burchardt: "Netzwerk Recherche" ist eine Vereinigung von Journalisten, mittlerweile über 500, die für Qualitätsverbesserung im Journalismus einsteht und diese Vereinigung wächst in einem sehr schnellen Maße in den letzten drei Jahren, das kann man wirklich sagen. Ich gehöre dem Vorstand an und unter meiner Federführung haben wir jetzt auch einen neuen Medienkodex erarbeitet, der nächste Woche offiziell bekannt gegeben wird, und der nimmt all diese Entwicklungen oder Fehlentwicklungen auf, über die wir hier jetzt gerade sprechen, weil wir wirklich der Meinung sind, dass der alte Pressekodex, wie ihn der deutsche Presserat sehr verdienstvoll ja nun seit Jahrzehnten hochgehalten hat und ihn jetzt auch überarbeitet, einfach nicht mehr taugt für alle neuen Medien, mit denen wir es im Augenblick zu tun haben.
Spengler: Man redet oft vom Verfall der politischen Sitten in Berlin. Das heißt, beklagen tun es Politiker, man könne kein Hintergrundgespräch mehr dort in Berlin mit Journalisten führen, ohne dass das am nächsten Tag alles brühwarm in der Zeitung zu lesen war. Stimmt das oder ist das einfach das Ende der Kumpanei zwischen Politik und Journalisten?
Burchardt: Schön wär's.
Spengler: Diese Kumpanei gab es ja in Bonn.
Burchardt: Na klar. Die gab es in Bonn, die gibt es auch in Berlin und die Politiker - ich finde da ist auch sehr viel Heuchelei auf beiden Seiten unterwegs. Die Politiker, die sich jetzt darüber beklagen, sind eigentlich auch genau diejenigen, die genau oft die Hintergrundkreise, Stichwort Kumpanei, benutzen, um eben das zu instrumentalisieren, was sie auf den Weg gebracht sehen wollen. In Bonn hieß es früher immer - ich war Anfang der 80er Jahre Korrespondent in Bonn und auch in verschiedenen Hintergrundkreisen - da wusste man ganz genau, wenn einer sagt: Das dürfen Sie aber nicht schreiben - oder - das ist noch unter drei - "unter drei" heißt also, darf nicht benutzt werden -, dann ist das klar, das ist die Aufforderung, eine Indiskretion zu begehen. In Berlin ist es noch etwas schärfer geworden. Da hat sich auch eingeprägt zu sagen, wir machen hier ein Hintergrundgespräch nach Bonner Regeln. Ich sehe keine allzu großen Unterschiede und ich muss auch wirklich sagen, es ist auch eigentlich nicht angebracht. Oftmals ist es allerdings auch so, hin und wieder bin ich auch in Berlin auf Hintergrundkreisen, dass dieses eher auch verkappte Pressekonferenzen sind. Es sind eigentlich keine Gespräche, wo man mehr erklärt bekommt, Hintergründe erklärt bekommt, damit man dann eben auch kompetenter berichterstatten kann. Es ist eben auch auf der politischen Ebene, genau wie auf der journalistischen Ebene eine Wettbewerbsverschärfung eingetreten. Jetzt durch die große Koalition noch viel mehr. Die Hinterbänkler verschwinden fast ganz und es ist natürlich der Traum eines jeden Hinterbänklers, plötzlich eine Schlagzeile produziert zu haben, und wer da so seinen Journalisten hat, den er damit füttern kann, der wird natürlich dann auch dankbar diese Meldung bringen. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass das immer ein gefährlicher Stoff ist, weil vieles daran dann nicht wahr ist.
Spengler: Eine Entwicklung, die sicher auch in den letzten Jahren sich verstärkt hat, das ist die Tendenz zum Entertainment, zur Unterhaltung. Manche sagen auch Infotainment, eine ganz merkwürdige Wortschöpfung. Auch im Deutschlandfunk haben wir einmal Nachrichten mit der Meldung beginnen lassen, dass sich Barbara und Boris Becker haben scheiden lassen, so habe ich mir jedenfalls sagen lassen. Ich habe die Meldung selber nicht gehört.
Burchardt: Ich kann mich natürlich nicht daran erinnern.
Spengler: Selbstverständlich. Worauf muss sich ein Programm wie der Deutschandfunk einlassen, was Entertainment angeht, und worauf darf er sich nicht einlassen?
Burchardt: Also sicherlich nicht auf Meldungen dieser Qualität. Das sind dann Ausrutscher, kann mal passieren, aber das ist nicht das, wofür wir eigentlich stehen. Auf der anderen Seite muss ich auch ganz deutlich sagen, Information kann auch unterhaltend sein und darf auch unterhaltend sein. Es ist ja nichts schlimmer, als wenn nun alles nur noch mit Grabesstimme vorgetragen wird. Wir haben ja selbst jetzt auch seit Anfang dieses Jahres unsere Darbietung etwas, ich will mal sagen, gefälliger durch ein neues Audiodesign geboten. Viele Hörerinnen und Hörer goutieren das im Augenblick noch nicht. Das ist dann aber auch eine Gewöhnungsfrage. Man muss hier natürlich ja auch dann tatsächlich sagen: Wir können nicht als einziger Rufer in der Wüste stehen bleiben und dann völlig neben der Kappe sein, auf Dauer gesehen jedenfalls. Das ist immer ein schmaler Grat, den man da gehen muss, zwischen Unterhaltung und seriöser Information. Aber wir haben 80 Prozent Wortanteil pro Tag, pro 24 Stunden, und da darf auch schon mal ein bisschen mehr Unterhaltung, ein bisschen mehr Gefälligkeit reinrutschen. Ich habe und hätte auch niemals etwas dagegen. Allerdings, es muss schon in dem Sinne seriös bleiben, dass man sagt: Das Entscheidende ist, dass der Informationsgehalt in keiner Weise beeinträchtigt wird. Und das versuchen wir natürlich.
Spengler: Sie waren, Sie sind ein Freund pointierter Meinungsäußerung in Ihren zahlreichen Kommentaren. Wir passt das zusammen damit, dass ein Programm, wie der Deutschlandfunk ausgewogen, seriös sein soll.
Burchardt: Ja, "ausgewogen" ist so ein Wort. Bei meiner Verabschiedung hat der Hörfunksratsvorsitzende, ich darf das ruhig sagen, gesagt: Ausgewogenheit muss nicht unbedingt sein. Es kann auch niemals sein, dass ein Kommentar ausgewogen ist. Ein ganzes Programm sicherlich, aber ein "Zwar-aber-Kommentar" ist kein Kommentar und da kann ich nur sagen, an Kommentaren sollen sich auch ruhig mal die Zuhörer etwas reiben, zur einen wie zur anderen Seite. Ich halte es da mit Voltaire: Ich habe meine Meinung, jemand anderes eine andere Meinung. Und ich habe immer gesagt, ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich finde, Sie sollten heute diesen Kommentar machen, denn dieser sollte veröffentlich werden, auch diese Meinung gehört ins Programm. Aber damit nehme ich natürlich für mich auch in Anspruch, dass ich immer ganz meiner Meinung bin.
Spengler: Wohin wird sich der politische Journalismus entwickeln? Haben wir Anlass zur Sorge, angesichts der Entwicklung, die wir in den letzten Wochen im Streit um die Karikaturen beobachten?
Burchardt: Das ist die eine Seite. Da können wir, glaube ich, aus Zeitgründen nicht mehr sehr intensiv drüber sprechen. Ich halte es wirklich für sehr defensiv wie hier gerade in westlichen Demokratien bisher reagiert worden ist. Das sind gezielte Kampagnen, die da unterwegs sind. Die Karikaturen stammen aus dem September. Sicherlich ist nicht vieles sehr glücklich gelaufen, aber wenn wir hier nicht aufpassen, dann gehen wir hier wirklich unter. Da müssen wir aufpassen, aber neben den politischen Aspekten, über die wir gesprochen haben, würde ich gerne noch zwei Dinge hier platzieren. Das eine ist, dass wir es immer mehr mit einem PR-Journalismus zu tun haben. Es gibt mittlerweile Hochschulen, die auch tatsächlich schon diese Mischform bringen.
Spengler: Das müssen Sie übersetzten, PR.
Burchardt: Das ist Public Relations, das heißt also Werbejournalismus, dass also Journalisten fit gemacht werden zu Pressesprechern für Unternehmungen, weil - und das ist das Zweite natürlich -, weil viele auch erkannt haben im Mediensektor, mit journalistischer Ausbildung alleine kann man heute möglicherweise auf Dauer nicht mehr überleben, sondern man muss sehen, dass man vielleicht noch ein zweites Standbein bekommt und darin sehe ich eine ganz große Gefahr, dass Leute auf der einen Seite Pressesprecher sind, auf der anderen Seite aber auch journalistisch tätig sind. Und unser Medienkodex vom "Netzwerk Recherche" zielt auch genau in diese Richtung, dass wir einfach ganz apodiktisch sagen: Journalisten machen keine PR. Das ist so ähnlich wie mit der roten Ampel. Ganz klar, es wird immer Journalisten geben, die das machen, es wird immer Zeitungen geben, die das machen. Mehr und mehr lagern auch Zeitungen ganze Redaktionen aus und sagen dann, ihr könnt ja bitte sehr, eine Privatfirma gründen und dann macht doch bitte weiter für uns. Das heißt, sie entlasten sich, was Planstellen angeht, was Rentenansprüche angeht und dergleichen Dinge mehr. Also das Berufsbild des Journalismus ist im Augenblick erheblich ins Rutschen geraten und da denke ich, müssen alle Seiten, ob in der Wissenschaft, ob im Journalismus selber, aber auch bei den Rezipienten, also bei den Lesern, bei den Hörerinnen und Hörern, bei den Zuschauern, da müssen alle gemeinsam aufpassen.
Spengler: Da passen wir auf.
Burchardt: Das hoffe ich.
Spengler: Das war ein Gespräch mit Rainer Burchardt, dem scheidenden Chefredakteur des Deutschlandfunks. Herr Burchardt, auf Wiedersehen und auf Wiederhören.
Burchardt: Auf Wiederhören.
Rainer Burchardt: Das ist sehr schwierig, das jetzt mit gut oder schlecht zu bezeichnen. Auf jeden Fall ist eines geschehen. Der politische Journalismus, wenn man das so allgemein sagen darf, Herr Spengler, ist griffiger, zugriffiger geworden, er ist auch schneller geworden, damit allerdings auch fehleranfälliger, und er ist in gewisser Weise auch stärker unter Druck geraten. Das hat ganz viel zu tun mit der Digitalisierung, also der technologischen Entwicklung auf der einen Seite, mit dem Internet natürlich auch. Wir haben es mittlerweile mit einem sehr aggressiven Internetjournalismus zu tun, mit dem so genannten Blogging. Auf all das waren, ich will mal so sagen, die journalistischen Salons nicht richtig vorbereitet und dann der ökonomische Druck, das heißt also auch der Konzentrationsprozess - und das erleben wir ja insbesondere in der Diskussion in Berlin -, aber auch auf dem Sektor der Medien im elektronischen Bereich, also Fernsehen beispielsweise. Das Kartellamt ist jetzt doch öfter gefordert.
Spengler: Bleiben wir mal bei einem Stichwort schnell. Heißt schneller auch oberflächlicher?
Burchardt: Ja.
Spengler: Weniger Zeit für Recherche?
Burchardt: Ja. Eindeutig, ja.
Spengler: Was tun wir denn dagegen?
Burchardt: Sehr schwierig. Wir müssen da auch ein bisschen unterteilen. Ich denke, bei elektronischen Medien ist es ja zunächst mal gut, schnell und spritzig sein zu können, insbesondere in unserem, wir sind ja mit das schnellste Medium, das Radio. Gleichwohl passen wir natürlich auch auf. Wir beachten das Zwei-Quellen-Prinzip: Eine Quelle wird uns niemals reichen. Und das Prinzip, das habe ich versucht in den vergangenen zwölf Jahren hier in der Redaktion immer wieder hochzuhalten, heißt: Sicherheit vor Schnelligkeit. Es ist immer besser, eine Meldung noch genau zu überprüfen, um sie dann zu versenden, als sie gleich zu versenden und dann wieder der erste mit dem Dementi zu sein. Das ist das eine und das andere ist natürlich der ökonomische Druck, insbesondere auf dem Pressesektor, also über den gedruckten Medien, wo man nicht nur den Konzentrationsprozess hat, sondern eben auch den Wettbewerb, der ganz viel damit zu tun hat, dass die Morgenzeitung eigentlich ja mittlerweile schon Fußballergebnisse, Sportberichterstattung, möglichst auch noch ein Feuilleton, jetzt auch bei den olympischen Spielen über die Ereignisse haben muss, die in der vergangenen Nacht stattgefunden haben. Das ist natürlich dann sozusagen eins zu eins. Da ist nicht mehr viel an Kontrollmechanismen einzusetzen.
Spengler: Selbstkontrolle ist da vielleicht auch das Stichwort. Es gibt das "Netzwerk Recherche", das hat einen Medienkodex erarbeitet. Vielleicht sollten Sie sagen: Was ist dieses "Netzwerk Recherche"?
Burchardt: "Netzwerk Recherche" ist eine Vereinigung von Journalisten, mittlerweile über 500, die für Qualitätsverbesserung im Journalismus einsteht und diese Vereinigung wächst in einem sehr schnellen Maße in den letzten drei Jahren, das kann man wirklich sagen. Ich gehöre dem Vorstand an und unter meiner Federführung haben wir jetzt auch einen neuen Medienkodex erarbeitet, der nächste Woche offiziell bekannt gegeben wird, und der nimmt all diese Entwicklungen oder Fehlentwicklungen auf, über die wir hier jetzt gerade sprechen, weil wir wirklich der Meinung sind, dass der alte Pressekodex, wie ihn der deutsche Presserat sehr verdienstvoll ja nun seit Jahrzehnten hochgehalten hat und ihn jetzt auch überarbeitet, einfach nicht mehr taugt für alle neuen Medien, mit denen wir es im Augenblick zu tun haben.
Spengler: Man redet oft vom Verfall der politischen Sitten in Berlin. Das heißt, beklagen tun es Politiker, man könne kein Hintergrundgespräch mehr dort in Berlin mit Journalisten führen, ohne dass das am nächsten Tag alles brühwarm in der Zeitung zu lesen war. Stimmt das oder ist das einfach das Ende der Kumpanei zwischen Politik und Journalisten?
Burchardt: Schön wär's.
Spengler: Diese Kumpanei gab es ja in Bonn.
Burchardt: Na klar. Die gab es in Bonn, die gibt es auch in Berlin und die Politiker - ich finde da ist auch sehr viel Heuchelei auf beiden Seiten unterwegs. Die Politiker, die sich jetzt darüber beklagen, sind eigentlich auch genau diejenigen, die genau oft die Hintergrundkreise, Stichwort Kumpanei, benutzen, um eben das zu instrumentalisieren, was sie auf den Weg gebracht sehen wollen. In Bonn hieß es früher immer - ich war Anfang der 80er Jahre Korrespondent in Bonn und auch in verschiedenen Hintergrundkreisen - da wusste man ganz genau, wenn einer sagt: Das dürfen Sie aber nicht schreiben - oder - das ist noch unter drei - "unter drei" heißt also, darf nicht benutzt werden -, dann ist das klar, das ist die Aufforderung, eine Indiskretion zu begehen. In Berlin ist es noch etwas schärfer geworden. Da hat sich auch eingeprägt zu sagen, wir machen hier ein Hintergrundgespräch nach Bonner Regeln. Ich sehe keine allzu großen Unterschiede und ich muss auch wirklich sagen, es ist auch eigentlich nicht angebracht. Oftmals ist es allerdings auch so, hin und wieder bin ich auch in Berlin auf Hintergrundkreisen, dass dieses eher auch verkappte Pressekonferenzen sind. Es sind eigentlich keine Gespräche, wo man mehr erklärt bekommt, Hintergründe erklärt bekommt, damit man dann eben auch kompetenter berichterstatten kann. Es ist eben auch auf der politischen Ebene, genau wie auf der journalistischen Ebene eine Wettbewerbsverschärfung eingetreten. Jetzt durch die große Koalition noch viel mehr. Die Hinterbänkler verschwinden fast ganz und es ist natürlich der Traum eines jeden Hinterbänklers, plötzlich eine Schlagzeile produziert zu haben, und wer da so seinen Journalisten hat, den er damit füttern kann, der wird natürlich dann auch dankbar diese Meldung bringen. Allerdings muss man auch dazu sagen, dass das immer ein gefährlicher Stoff ist, weil vieles daran dann nicht wahr ist.
Spengler: Eine Entwicklung, die sicher auch in den letzten Jahren sich verstärkt hat, das ist die Tendenz zum Entertainment, zur Unterhaltung. Manche sagen auch Infotainment, eine ganz merkwürdige Wortschöpfung. Auch im Deutschlandfunk haben wir einmal Nachrichten mit der Meldung beginnen lassen, dass sich Barbara und Boris Becker haben scheiden lassen, so habe ich mir jedenfalls sagen lassen. Ich habe die Meldung selber nicht gehört.
Burchardt: Ich kann mich natürlich nicht daran erinnern.
Spengler: Selbstverständlich. Worauf muss sich ein Programm wie der Deutschandfunk einlassen, was Entertainment angeht, und worauf darf er sich nicht einlassen?
Burchardt: Also sicherlich nicht auf Meldungen dieser Qualität. Das sind dann Ausrutscher, kann mal passieren, aber das ist nicht das, wofür wir eigentlich stehen. Auf der anderen Seite muss ich auch ganz deutlich sagen, Information kann auch unterhaltend sein und darf auch unterhaltend sein. Es ist ja nichts schlimmer, als wenn nun alles nur noch mit Grabesstimme vorgetragen wird. Wir haben ja selbst jetzt auch seit Anfang dieses Jahres unsere Darbietung etwas, ich will mal sagen, gefälliger durch ein neues Audiodesign geboten. Viele Hörerinnen und Hörer goutieren das im Augenblick noch nicht. Das ist dann aber auch eine Gewöhnungsfrage. Man muss hier natürlich ja auch dann tatsächlich sagen: Wir können nicht als einziger Rufer in der Wüste stehen bleiben und dann völlig neben der Kappe sein, auf Dauer gesehen jedenfalls. Das ist immer ein schmaler Grat, den man da gehen muss, zwischen Unterhaltung und seriöser Information. Aber wir haben 80 Prozent Wortanteil pro Tag, pro 24 Stunden, und da darf auch schon mal ein bisschen mehr Unterhaltung, ein bisschen mehr Gefälligkeit reinrutschen. Ich habe und hätte auch niemals etwas dagegen. Allerdings, es muss schon in dem Sinne seriös bleiben, dass man sagt: Das Entscheidende ist, dass der Informationsgehalt in keiner Weise beeinträchtigt wird. Und das versuchen wir natürlich.
Spengler: Sie waren, Sie sind ein Freund pointierter Meinungsäußerung in Ihren zahlreichen Kommentaren. Wir passt das zusammen damit, dass ein Programm, wie der Deutschlandfunk ausgewogen, seriös sein soll.
Burchardt: Ja, "ausgewogen" ist so ein Wort. Bei meiner Verabschiedung hat der Hörfunksratsvorsitzende, ich darf das ruhig sagen, gesagt: Ausgewogenheit muss nicht unbedingt sein. Es kann auch niemals sein, dass ein Kommentar ausgewogen ist. Ein ganzes Programm sicherlich, aber ein "Zwar-aber-Kommentar" ist kein Kommentar und da kann ich nur sagen, an Kommentaren sollen sich auch ruhig mal die Zuhörer etwas reiben, zur einen wie zur anderen Seite. Ich halte es da mit Voltaire: Ich habe meine Meinung, jemand anderes eine andere Meinung. Und ich habe immer gesagt, ich bin zwar nicht Ihrer Meinung, aber ich finde, Sie sollten heute diesen Kommentar machen, denn dieser sollte veröffentlich werden, auch diese Meinung gehört ins Programm. Aber damit nehme ich natürlich für mich auch in Anspruch, dass ich immer ganz meiner Meinung bin.
Spengler: Wohin wird sich der politische Journalismus entwickeln? Haben wir Anlass zur Sorge, angesichts der Entwicklung, die wir in den letzten Wochen im Streit um die Karikaturen beobachten?
Burchardt: Das ist die eine Seite. Da können wir, glaube ich, aus Zeitgründen nicht mehr sehr intensiv drüber sprechen. Ich halte es wirklich für sehr defensiv wie hier gerade in westlichen Demokratien bisher reagiert worden ist. Das sind gezielte Kampagnen, die da unterwegs sind. Die Karikaturen stammen aus dem September. Sicherlich ist nicht vieles sehr glücklich gelaufen, aber wenn wir hier nicht aufpassen, dann gehen wir hier wirklich unter. Da müssen wir aufpassen, aber neben den politischen Aspekten, über die wir gesprochen haben, würde ich gerne noch zwei Dinge hier platzieren. Das eine ist, dass wir es immer mehr mit einem PR-Journalismus zu tun haben. Es gibt mittlerweile Hochschulen, die auch tatsächlich schon diese Mischform bringen.
Spengler: Das müssen Sie übersetzten, PR.
Burchardt: Das ist Public Relations, das heißt also Werbejournalismus, dass also Journalisten fit gemacht werden zu Pressesprechern für Unternehmungen, weil - und das ist das Zweite natürlich -, weil viele auch erkannt haben im Mediensektor, mit journalistischer Ausbildung alleine kann man heute möglicherweise auf Dauer nicht mehr überleben, sondern man muss sehen, dass man vielleicht noch ein zweites Standbein bekommt und darin sehe ich eine ganz große Gefahr, dass Leute auf der einen Seite Pressesprecher sind, auf der anderen Seite aber auch journalistisch tätig sind. Und unser Medienkodex vom "Netzwerk Recherche" zielt auch genau in diese Richtung, dass wir einfach ganz apodiktisch sagen: Journalisten machen keine PR. Das ist so ähnlich wie mit der roten Ampel. Ganz klar, es wird immer Journalisten geben, die das machen, es wird immer Zeitungen geben, die das machen. Mehr und mehr lagern auch Zeitungen ganze Redaktionen aus und sagen dann, ihr könnt ja bitte sehr, eine Privatfirma gründen und dann macht doch bitte weiter für uns. Das heißt, sie entlasten sich, was Planstellen angeht, was Rentenansprüche angeht und dergleichen Dinge mehr. Also das Berufsbild des Journalismus ist im Augenblick erheblich ins Rutschen geraten und da denke ich, müssen alle Seiten, ob in der Wissenschaft, ob im Journalismus selber, aber auch bei den Rezipienten, also bei den Lesern, bei den Hörerinnen und Hörern, bei den Zuschauern, da müssen alle gemeinsam aufpassen.
Spengler: Da passen wir auf.
Burchardt: Das hoffe ich.
Spengler: Das war ein Gespräch mit Rainer Burchardt, dem scheidenden Chefredakteur des Deutschlandfunks. Herr Burchardt, auf Wiedersehen und auf Wiederhören.
Burchardt: Auf Wiederhören.