Schulz: 54 Stunden hat es gedauert, das Geiseldrama von Gladbeck, aber die Ereignisse wirken fort bis heute. Gladbeck gilt als Chiffre für ein Versagen der Sicherheitsbehörden. Der Polizei unterliefen gleich mehrere Fehler. Aber Gladbeck steht auch als Synonym für journalistisches Totalversagen. Die Geiselnahme wurde stundenlang live im Fernsehen übertragen. Journalisten schalteten sich in die Verhandlungen ein, behinderten sogar die Arbeit der Polizei. Zwei Geiseln starben und ein Polizist. Einen makaberen Höhepunkt fanden die Geschehnisse heute vor 20 Jahren in der Kölner Innenstadt. Die Szene war dieser Tage noch mal in vielen Zeitungen und Dokumentationen zu sehen. In der Fußgängerzone machen Geiselnehmer Dieter Degowski und Hans-Jürgen Rösner einen Zwischenstopp. Auf der Rückbank des Entführungsfahrzeugs sitzen die beiden Geiseln Silke Bischoff und Ines Voitle. Das Auto ist umringt von Reportern und Schaulustigen.
O-Ton Reportage:
Reporter: Können Sie mir mal sagen für den WDR: wie wird's jetzt weitergehen?
Geiselnehmer: Wir werden so lange jetzt fahren, bis wir uns in Sicherheit fühlen, und dann werden die beiden Mädchen entlassen hier aus dem Auto.
Reporter: Sind Sie nicht total übermüdet jetzt?
Geiselnehmer: Nö. Wir haben erst mal Medikamente dagegen und wir wechseln uns ab mit Schlafen und so weiter.
Reporter: Haben Sie das Gefühl, Sie werden weiter verfolgt?
Geiselnehmer: Ja. Wir sehen sie an jeder Ecke.
Reporter: Sie wechseln sich ab. Hat irgendjemand von Ihnen schlafen können?
Geisel: Stundenweise.
Geiselnehmer: Ja, also etappenweise immer so.
Reporter: Darf ich mal Ihren Namen wissen?
Geisel: Silke Bischoff.
Reporter: Wie fühlen Sie sich?
Geisel: Ja, ein bisschen geschafft, aber sonst ganz gut.
Reporter: Haben Sie Angst?
Geisel: Ein bisschen.
Reporter: Wie werden Sie behandelt von den Geiselnehmern?
Geisel: Gut.
Reporter: Was ist Ihr Wunsch? Sollte die Polizei auf die Wünsche, Maßnahmen der Geiselgangster eingehen?
Geisel: Ja, weil ich eben doch Angst habe.
Schulz: Das Interview eines WDR-Kollegen, eines von mehreren, das Reporter in der Kölner Fußgängerzone geführt haben, genau heute vor 20 Jahren. - Für den Deutschlandfunk war an diesem 18. August 1988 Klaus Prömpers dabei, heute ZDF-Korrespondent in Wien und mir jetzt telefonisch zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Prömpers.
Prömpers: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Herr Prömpers, was bedrückt Sie am meisten im Blick zurück?
Prömpers: Lassen Sie mich eine kleine Korrektur anbringen, beispielsweise in der Präzisierung dessen, was Sie einleitend sagten. Sie sagten, auf der Rückbank die Geiseln. - Zwischen den beiden Damen, zwischen den beiden Mädchen natürlich einer der Täter, der die beiden Geiseln mit einer Pistole in Schach hielt.
Was mich am meisten bedrückt ist, dass man damals relativ unreflektiert gehandelt hat, und vor allem naturgemäß nach der Reflektion nach 20 Jahren, dass man sowohl in Köln als auch an vorherigen Stationen im Grunde als Journalist der Polizei hinderlich im Wege stand. Ich glaube, in der Form wäre das heute nicht mehr möglich. Andere Formen des Journalismus, der Grenzen überschreitet, sind meines Erachtens heute immer noch möglich.
Schulz: Wann sind Ihnen denn die ersten Zweifel gekommen?
Prömpers: Ich kam da relativ spät hin, wenn ich mich richtig erinnere, und sah da eine große Menschentraube um das Auto und dachte, das kann doch gar nicht sein, nachdem ich morgens im Radio gehört hatte, dass die unterwegs waren nach Köln rein, aus den Niederlanden kommend, die beiden Täter mit den beiden Geiseln, das kann doch eigentlich gar nicht sein, dass da so Massen von Menschen darum herum stehen. Es handelt sich hier um eine Geiselnahme und die sind bewaffnet.
Dann ging ich näher heran und hatte ein kleines Bandgerät mit und habe dann auch versucht, da mal ein bisschen O-Töne zu machen, was mir aber dann sehr gespenstisch vorkam nach einer gewissen Zeit, weil der eine der beiden Täter Rösner dann zwischendurch immer mal wieder aus dem Auto ausstieg und mit der Pistole in der Gegend rumfuchtelte, so dass ich mich dann ein bisschen in Richtung Schweizer Ladenstadt zurückzog und ich dachte, ich muss jetzt nicht zur Berichterstattung für solch eine Geiselnahme mein Leben aufs Spiel setzen.
Schulz: Wenn Sie heute den Auftrag aus der Redaktion bekommen würden, würden Sie wieder hinfahren?
Prömpers: Ich würde in die Nähe des Tatortes fahren - sicherlich. Der Tatort wäre im Zweifel heute besser abgesperrt und es würde wahrscheinlich Pressekonferenzen der Polizei geben, die das, was sie in dem Zeitpunkt, wo sie die Pressekonferenz gibt, ermittlungstaktisch verantwortet, sagen würde. Wahrscheinlich eher weniger als das, was sie sagen könnte.
Schulz: Würden Sie wieder das Mikro hinhalten?
Prömpers: Bei der Pressekonferenz selbstverständlich.
Schulz: Bei der Pressekonferenz, genau. - Wir haben ein Interview gehört des ARD-Moderators Frank Plasberg. Der war auch unter den Reportern und dem SWR sagte er jetzt:
O-Ton Plasberg: Ich sage mal auch heute noch mit dem Abstand sind mir Reporter lieber, die alles versuchen, um so nahe wie möglich an das Geschehen ranzukommen. Ich bin für eine Kombination. Der Reporter sollte alles versuchen mit heißem Herzen, was möglich ist, und der Redakteur sollte mit coolem Abstand entscheiden, was nötig ist. Und das habe ich damals so organisiert. Insofern habe ich da funktioniert.
Schulz: Sehen Sie das auch so, dass die Reporter da funktioniert haben?
Prömpers: Teilweise ja, teilweise nein. Selbst der jetzt viel gescholtene Udo Röbel, der dann schließlich ins Auto stieg, um die vier in Richtung Autobahn zu lotsen, ist ja eine zwiespältige Geschichte. Die vier, insbesondere die beiden Täter hatten keinerlei Ahnung, wo sie sich genau in Köln befanden, geschweige denn wie sie da wieder heraus kommen sollten.
Schulz: Was meinen Sie, inwiefern die Reporter funktioniert haben?
Prömpers: Der hat zumindest versucht, denen einen Weg zu weisen, so dass sie heraus kamen, so dass sie aus dieser Gefährdung auch der übrigen Menschen, die dort herum standen, der Menschen in der Innenstadt, Fußgängerzone, heraus kamen, und möglicherweise dann auch den Weg mit geebnet hat dafür, dass schließlich auf der Autobahn die Täter festgenommen wurden. Bedauerlicherweise starb ja dabei die vorhin noch gehörte Silvia Bischoff.
Schulz: Besagter Udo Röbel hat hinterher auch von einem "kollektiven Durchgeknalltsein" gesprochen, was eher nicht dafür spricht, dass die Reporter funktioniert haben. Trifft es das aus Ihrer Sicht?
Prömpers: Teilweise ja. Was heißt "Reporter funktioniert haben"? Ich würde Plasberg zustimmen, dass man mit heißem Herzen an die Sache heran gehen muss, aber andererseits natürlich auch besonnen handeln muss. Manch einer von uns hat in der Situation damals sicherlich die Besonnenheit über den Haufen geworfen und hat gehandelt, ohne groß zu reflektieren was tut er da, mit wem spricht er da eigentlich. In welche Situation bringt er Frau Bischoff, wenn er sie fragt, wie geht es ihnen. Dass es der dreckig geht in der Situation als Geisel, ist ganz klar. Aber unreflektiert und weil man so nah heran kam, hält man das Mikrofon hin und fragt.
Da sind sicherlich Grenzen überschritten worden. Die werden heute an anderen Stellen auch immer wieder überschritten. Aber man muss immer wieder reflektieren: Wo geht man zu weit? Wo macht man sich beispielsweise zum Kumpanen der Täter? Das haben da einige möglicherweise um ein Haar gemacht, manche vielleicht richtig gemacht.
Schulz: Was ist Ihre Erklärung dafür, dass die Grenzen da überschritten wurden, ohne dass jemand aus der Gruppe gesagt hat Leute, das geht so nicht?
Prömpers: Schon damals war die Konkurrenz sehr stark zwischen dem beginnenden Privatfernsehen und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die Konkurrenz untereinander stark. Da war gar kein Raum zu reflektieren, so geht das nicht. Sondern jeder war mit dem Druck seiner jeweiligen Redaktionsschlusszeit und unter dem, wie Röbel auch sagt, Adrenalinschub am Tatort und dachte, wie mache ich jetzt das beste für meinen Sender, meine Zeitung etc. daraus. Da wurde nicht groß reflektiert, in dem Moment gehe ich zu weit. Der eine oder andere dachte auch darüber nach, möglicherweise kann ich in irgendeiner Form jetzt etwas tun, was den Geiseln hilft.
Dann gab es mal kurz Gespräche darüber. Beispielsweise war zu hören, dass die Täter nach Vermittlern fragten, nach einem Weihbischof, so dass dann andere sagten, der ist nicht derjenige, den sie meinen, sondern der heißt so und so und wir können versuchen, den zu erreichen. Da schien es möglicherweise im Bereich des Möglichen zu sein, dass man Entspannung herbeiführt. Das ist dann schließlich nicht gelungen, wie man heute weiß.
Schulz: Ines Voitle, die überlebende Geisel, hat später gesagt, sie habe sich wie Schlachtvieh gefühlt - bedingt vor allem durch diese Reportersituation, dass sozusagen die Meute dort an dem Auto gehangen habe. Haben Sie später Schuldgefühle verspürt?
Prömpers: Schuldgefühle nicht unbedingt, aber das Gefühl, dass man vielleicht nicht vollkommen richtig gehandelt hat oder sicher nicht vollkommen richtig gehandelt hat, wenn man da zu sehr und zu nah dran war und zu sehr mitgemacht hat. Das war sicherlich nicht der richtige Umgang mit Tätern. Der hat ja schließlich auch dazu geführt - das muss ja auch mal gesagt werden -, dass der Presserat dann im Pressekodex verankert hat "Interviews mit Tätern nicht". Ob das immer beachtet wird oder beachtet worden ist in den vergangenen 20 Jahren, ist eine andere Geschichte. Es gibt sicherlich Beispiele auch aus jüngster Zeit, wo man an manchen Orten auch außerhalb Deutschlands sieht, dass die Journalisten nicht immer sehr reflektiert handeln.
Schulz: Herr Prömpers, Sie sind jetzt ja ZDF-Korrespondent in Wien und mussten jüngst berichten über den Inzestfall in Amstetten, auf den Sie auch gerade angespielt haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe.
Prömpers: Ja.
Schulz: Was hätten Sie jetzt bei der Berichterstattung anders gemacht, wenn Sie damals beim Gladbecker Geiselfall nicht dabei gewesen wären?
Prömpers: Die Frage lässt sich so nicht beantworten. Was ich ja vorhin ansprach war im Grunde die Tatsache, dass nachdem die Opfer von Amstetten in die Landesklinik Mauer gefahren worden, dort untergebracht worden waren, es für Polizei und Sicherheitsdienst der Landesklinik ungewöhnlich schwierig war, Fotografen davon abzuhalten, die Opfer zu fotografieren. Junge Menschen, Kinder teilweise ja noch von 6 Jahren, 12 Jahren, 17 Jahren, die ein Leben noch vor sich haben und die gebrandmarkt würden, wenn sie jetzt als Foto in Zeitungen, in Zeitschriften erscheinen würden. Von daher verständlich der Wunsch sowohl der Angehörigen als auch der Polizei, die sie schützt, und der Sicherheitskräfte, von diesen Menschen jetzt keine Fotos in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichen zu lassen, um ihnen ein Leben abseits dessen, was bisher vorgefallen war, zumindest zu ermöglichen. Da kann man, glaube ich, keine direkten Rückschlüsse ziehen auf das, was ich anders gemacht hätte, wenn. Wir haben uns, glaube ich, bei der Geschichte jetzt in Amstetten relativ zurückgehalten. Man kann nicht jedem Nachbarn mit der Kamera ins Haus fallen und sagen, wie haben sie denn damals den Täter gesehen, den mutmaßlichen, sondern man muss schon etwas vorsichtig vorgehen, auch abwarten letzten Endes bis ein Täter verurteilt ist und ihn solange er nicht verurteilt worden ist als mutmaßlichen Täter bezeichnen, denn nur Gerichte können feststellen, ob jemand schuldig geworden ist oder nicht - nicht Journalisten.
Schulz: Klaus Prömpers berichtete vor 20 Jahren für den Deutschlandfunk aus der Kölner Fußgängerzone über das Gladbecker Geiseldrama und jüngst aus Amstetten. Haben Sie vielen Dank!
O-Ton Reportage:
Reporter: Können Sie mir mal sagen für den WDR: wie wird's jetzt weitergehen?
Geiselnehmer: Wir werden so lange jetzt fahren, bis wir uns in Sicherheit fühlen, und dann werden die beiden Mädchen entlassen hier aus dem Auto.
Reporter: Sind Sie nicht total übermüdet jetzt?
Geiselnehmer: Nö. Wir haben erst mal Medikamente dagegen und wir wechseln uns ab mit Schlafen und so weiter.
Reporter: Haben Sie das Gefühl, Sie werden weiter verfolgt?
Geiselnehmer: Ja. Wir sehen sie an jeder Ecke.
Reporter: Sie wechseln sich ab. Hat irgendjemand von Ihnen schlafen können?
Geisel: Stundenweise.
Geiselnehmer: Ja, also etappenweise immer so.
Reporter: Darf ich mal Ihren Namen wissen?
Geisel: Silke Bischoff.
Reporter: Wie fühlen Sie sich?
Geisel: Ja, ein bisschen geschafft, aber sonst ganz gut.
Reporter: Haben Sie Angst?
Geisel: Ein bisschen.
Reporter: Wie werden Sie behandelt von den Geiselnehmern?
Geisel: Gut.
Reporter: Was ist Ihr Wunsch? Sollte die Polizei auf die Wünsche, Maßnahmen der Geiselgangster eingehen?
Geisel: Ja, weil ich eben doch Angst habe.
Schulz: Das Interview eines WDR-Kollegen, eines von mehreren, das Reporter in der Kölner Fußgängerzone geführt haben, genau heute vor 20 Jahren. - Für den Deutschlandfunk war an diesem 18. August 1988 Klaus Prömpers dabei, heute ZDF-Korrespondent in Wien und mir jetzt telefonisch zugeschaltet. Guten Morgen, Herr Prömpers.
Prömpers: Guten Morgen, Frau Schulz.
Schulz: Herr Prömpers, was bedrückt Sie am meisten im Blick zurück?
Prömpers: Lassen Sie mich eine kleine Korrektur anbringen, beispielsweise in der Präzisierung dessen, was Sie einleitend sagten. Sie sagten, auf der Rückbank die Geiseln. - Zwischen den beiden Damen, zwischen den beiden Mädchen natürlich einer der Täter, der die beiden Geiseln mit einer Pistole in Schach hielt.
Was mich am meisten bedrückt ist, dass man damals relativ unreflektiert gehandelt hat, und vor allem naturgemäß nach der Reflektion nach 20 Jahren, dass man sowohl in Köln als auch an vorherigen Stationen im Grunde als Journalist der Polizei hinderlich im Wege stand. Ich glaube, in der Form wäre das heute nicht mehr möglich. Andere Formen des Journalismus, der Grenzen überschreitet, sind meines Erachtens heute immer noch möglich.
Schulz: Wann sind Ihnen denn die ersten Zweifel gekommen?
Prömpers: Ich kam da relativ spät hin, wenn ich mich richtig erinnere, und sah da eine große Menschentraube um das Auto und dachte, das kann doch gar nicht sein, nachdem ich morgens im Radio gehört hatte, dass die unterwegs waren nach Köln rein, aus den Niederlanden kommend, die beiden Täter mit den beiden Geiseln, das kann doch eigentlich gar nicht sein, dass da so Massen von Menschen darum herum stehen. Es handelt sich hier um eine Geiselnahme und die sind bewaffnet.
Dann ging ich näher heran und hatte ein kleines Bandgerät mit und habe dann auch versucht, da mal ein bisschen O-Töne zu machen, was mir aber dann sehr gespenstisch vorkam nach einer gewissen Zeit, weil der eine der beiden Täter Rösner dann zwischendurch immer mal wieder aus dem Auto ausstieg und mit der Pistole in der Gegend rumfuchtelte, so dass ich mich dann ein bisschen in Richtung Schweizer Ladenstadt zurückzog und ich dachte, ich muss jetzt nicht zur Berichterstattung für solch eine Geiselnahme mein Leben aufs Spiel setzen.
Schulz: Wenn Sie heute den Auftrag aus der Redaktion bekommen würden, würden Sie wieder hinfahren?
Prömpers: Ich würde in die Nähe des Tatortes fahren - sicherlich. Der Tatort wäre im Zweifel heute besser abgesperrt und es würde wahrscheinlich Pressekonferenzen der Polizei geben, die das, was sie in dem Zeitpunkt, wo sie die Pressekonferenz gibt, ermittlungstaktisch verantwortet, sagen würde. Wahrscheinlich eher weniger als das, was sie sagen könnte.
Schulz: Würden Sie wieder das Mikro hinhalten?
Prömpers: Bei der Pressekonferenz selbstverständlich.
Schulz: Bei der Pressekonferenz, genau. - Wir haben ein Interview gehört des ARD-Moderators Frank Plasberg. Der war auch unter den Reportern und dem SWR sagte er jetzt:
O-Ton Plasberg: Ich sage mal auch heute noch mit dem Abstand sind mir Reporter lieber, die alles versuchen, um so nahe wie möglich an das Geschehen ranzukommen. Ich bin für eine Kombination. Der Reporter sollte alles versuchen mit heißem Herzen, was möglich ist, und der Redakteur sollte mit coolem Abstand entscheiden, was nötig ist. Und das habe ich damals so organisiert. Insofern habe ich da funktioniert.
Schulz: Sehen Sie das auch so, dass die Reporter da funktioniert haben?
Prömpers: Teilweise ja, teilweise nein. Selbst der jetzt viel gescholtene Udo Röbel, der dann schließlich ins Auto stieg, um die vier in Richtung Autobahn zu lotsen, ist ja eine zwiespältige Geschichte. Die vier, insbesondere die beiden Täter hatten keinerlei Ahnung, wo sie sich genau in Köln befanden, geschweige denn wie sie da wieder heraus kommen sollten.
Schulz: Was meinen Sie, inwiefern die Reporter funktioniert haben?
Prömpers: Der hat zumindest versucht, denen einen Weg zu weisen, so dass sie heraus kamen, so dass sie aus dieser Gefährdung auch der übrigen Menschen, die dort herum standen, der Menschen in der Innenstadt, Fußgängerzone, heraus kamen, und möglicherweise dann auch den Weg mit geebnet hat dafür, dass schließlich auf der Autobahn die Täter festgenommen wurden. Bedauerlicherweise starb ja dabei die vorhin noch gehörte Silvia Bischoff.
Schulz: Besagter Udo Röbel hat hinterher auch von einem "kollektiven Durchgeknalltsein" gesprochen, was eher nicht dafür spricht, dass die Reporter funktioniert haben. Trifft es das aus Ihrer Sicht?
Prömpers: Teilweise ja. Was heißt "Reporter funktioniert haben"? Ich würde Plasberg zustimmen, dass man mit heißem Herzen an die Sache heran gehen muss, aber andererseits natürlich auch besonnen handeln muss. Manch einer von uns hat in der Situation damals sicherlich die Besonnenheit über den Haufen geworfen und hat gehandelt, ohne groß zu reflektieren was tut er da, mit wem spricht er da eigentlich. In welche Situation bringt er Frau Bischoff, wenn er sie fragt, wie geht es ihnen. Dass es der dreckig geht in der Situation als Geisel, ist ganz klar. Aber unreflektiert und weil man so nah heran kam, hält man das Mikrofon hin und fragt.
Da sind sicherlich Grenzen überschritten worden. Die werden heute an anderen Stellen auch immer wieder überschritten. Aber man muss immer wieder reflektieren: Wo geht man zu weit? Wo macht man sich beispielsweise zum Kumpanen der Täter? Das haben da einige möglicherweise um ein Haar gemacht, manche vielleicht richtig gemacht.
Schulz: Was ist Ihre Erklärung dafür, dass die Grenzen da überschritten wurden, ohne dass jemand aus der Gruppe gesagt hat Leute, das geht so nicht?
Prömpers: Schon damals war die Konkurrenz sehr stark zwischen dem beginnenden Privatfernsehen und dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, die Konkurrenz untereinander stark. Da war gar kein Raum zu reflektieren, so geht das nicht. Sondern jeder war mit dem Druck seiner jeweiligen Redaktionsschlusszeit und unter dem, wie Röbel auch sagt, Adrenalinschub am Tatort und dachte, wie mache ich jetzt das beste für meinen Sender, meine Zeitung etc. daraus. Da wurde nicht groß reflektiert, in dem Moment gehe ich zu weit. Der eine oder andere dachte auch darüber nach, möglicherweise kann ich in irgendeiner Form jetzt etwas tun, was den Geiseln hilft.
Dann gab es mal kurz Gespräche darüber. Beispielsweise war zu hören, dass die Täter nach Vermittlern fragten, nach einem Weihbischof, so dass dann andere sagten, der ist nicht derjenige, den sie meinen, sondern der heißt so und so und wir können versuchen, den zu erreichen. Da schien es möglicherweise im Bereich des Möglichen zu sein, dass man Entspannung herbeiführt. Das ist dann schließlich nicht gelungen, wie man heute weiß.
Schulz: Ines Voitle, die überlebende Geisel, hat später gesagt, sie habe sich wie Schlachtvieh gefühlt - bedingt vor allem durch diese Reportersituation, dass sozusagen die Meute dort an dem Auto gehangen habe. Haben Sie später Schuldgefühle verspürt?
Prömpers: Schuldgefühle nicht unbedingt, aber das Gefühl, dass man vielleicht nicht vollkommen richtig gehandelt hat oder sicher nicht vollkommen richtig gehandelt hat, wenn man da zu sehr und zu nah dran war und zu sehr mitgemacht hat. Das war sicherlich nicht der richtige Umgang mit Tätern. Der hat ja schließlich auch dazu geführt - das muss ja auch mal gesagt werden -, dass der Presserat dann im Pressekodex verankert hat "Interviews mit Tätern nicht". Ob das immer beachtet wird oder beachtet worden ist in den vergangenen 20 Jahren, ist eine andere Geschichte. Es gibt sicherlich Beispiele auch aus jüngster Zeit, wo man an manchen Orten auch außerhalb Deutschlands sieht, dass die Journalisten nicht immer sehr reflektiert handeln.
Schulz: Herr Prömpers, Sie sind jetzt ja ZDF-Korrespondent in Wien und mussten jüngst berichten über den Inzestfall in Amstetten, auf den Sie auch gerade angespielt haben, wenn ich Sie richtig verstanden habe.
Prömpers: Ja.
Schulz: Was hätten Sie jetzt bei der Berichterstattung anders gemacht, wenn Sie damals beim Gladbecker Geiselfall nicht dabei gewesen wären?
Prömpers: Die Frage lässt sich so nicht beantworten. Was ich ja vorhin ansprach war im Grunde die Tatsache, dass nachdem die Opfer von Amstetten in die Landesklinik Mauer gefahren worden, dort untergebracht worden waren, es für Polizei und Sicherheitsdienst der Landesklinik ungewöhnlich schwierig war, Fotografen davon abzuhalten, die Opfer zu fotografieren. Junge Menschen, Kinder teilweise ja noch von 6 Jahren, 12 Jahren, 17 Jahren, die ein Leben noch vor sich haben und die gebrandmarkt würden, wenn sie jetzt als Foto in Zeitungen, in Zeitschriften erscheinen würden. Von daher verständlich der Wunsch sowohl der Angehörigen als auch der Polizei, die sie schützt, und der Sicherheitskräfte, von diesen Menschen jetzt keine Fotos in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlichen zu lassen, um ihnen ein Leben abseits dessen, was bisher vorgefallen war, zumindest zu ermöglichen. Da kann man, glaube ich, keine direkten Rückschlüsse ziehen auf das, was ich anders gemacht hätte, wenn. Wir haben uns, glaube ich, bei der Geschichte jetzt in Amstetten relativ zurückgehalten. Man kann nicht jedem Nachbarn mit der Kamera ins Haus fallen und sagen, wie haben sie denn damals den Täter gesehen, den mutmaßlichen, sondern man muss schon etwas vorsichtig vorgehen, auch abwarten letzten Endes bis ein Täter verurteilt ist und ihn solange er nicht verurteilt worden ist als mutmaßlichen Täter bezeichnen, denn nur Gerichte können feststellen, ob jemand schuldig geworden ist oder nicht - nicht Journalisten.
Schulz: Klaus Prömpers berichtete vor 20 Jahren für den Deutschlandfunk aus der Kölner Fußgängerzone über das Gladbecker Geiseldrama und jüngst aus Amstetten. Haben Sie vielen Dank!