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Journalistinnen und Journalisten unter Corona
"Krisen sind erstmal Krisen"

Die Corona-Pandemie hat auch für viele Medienschaffende das Arbeiten verändert. Wie, wollten wir von Natalie Amiri, Bettina Böttinger, Steffen Hallaschka, Elke Heidenreich, Matze Hielscher und Hajo Schumacher wissen – und ob die neue Arbeitswelt vielleicht auch Positives zu bieten hat.

Von Michael Borgers |
    Eine Szene aus der Talkshow Anne Will
    Auch so sieht Fernsehen zur Zeit der Coronakrise aus: Gäste sind in Talkshows per Videobild zugeschaltet (Imago Images / Jürgen Heinrich)
    Die Korrespondentin: Natalie Amiri (ZUM NACHHÖREN)
    Natalie Amiri, zu Gast bei der TV-Sendung von Markus Lanz
    Natalie Amiri, Leiterin des ARD-Studios in Teheran (Imago Images / Teutopress)
    Seit 2007 arbeitet Natalie Amiri aus dem Studio Teheran der ARD, das sie seit 2015 leitet. Bislang habe sie stets "von Krisen wegfahren können, nachdem sie über sie berichtet hat", sagte Amiri gegenüber dem Deutschlandfunk. Doch das sei dieses Mal anders: "Die Krise trifft uns alle, weltweit." Dienstliche Reisen in den Iran oder die Türkei? Unmöglich für die Journalistin. "Die Grenzen sind alle zu."
    Insgesamt warte sie auf eine Vor- und Nach-Coronazeit – und hoffe auf positive Effekte: "Weil die Welt, wie sie vor Corona getickt hat, wie wir gearbeitet haben, alle im Hamsterrad, gehetzt, dem Burn-out nahe, diese Zeit war nicht gesund." Die Coronakrise erlebe sie als eine Zeit der "Rückbesinnung auf das Wesentliche", so Amiri.
    "Ich denke, dass wir alle gut überlegen sollten, ob wir danach wieder in dieses Hamsterrad einsteigen oder eben nicht. Gerade auch uns Medienschaffenden würde es auch guttun, unsere Aufgaben mit ein bisschen mehr Besonnenheit zu erfüllen. Und wenn sich die Welt ein bisschen weniger schnell dreht, vielleicht müssen wir dann auch weniger gehetzt für die nächsten Schlagzeilen und Titel sorgen."
    Die Moderatorin: Bettina Böttinger (ZUM NACHHÖREN)
    Bettina Böttinger, Moderatorin u.a. der Talkshow "Kölner Treff"
    Bettina Böttinger, Moderatorin u.a. der Talkshow "Kölner Treff" (picture alliance/Revierfoto/Revierfoto/dpa)
    Freitagabend ist der Abend für Talkshows in der ARD. Zuschauerinnen und Zuschauer haben dann die Qual der Wahl. Zwischen dem Nachtcafé im SWR, 3nach9 oder NDR Talk Show im NDR – oder dem Kölner Treff im WDR, seit 2006 moderiert von Bettina Böttinger. Anders als den Sendungen im SWR und NDR gelingt es dem WDR-Talk seit Beginn der Coronakrise, alle seine Gäste auch tatsächlich im Studio begrüßen zu können und nicht zugeschaltet per Videoschalte.
    Was allen gemeinsam ist: Das Publikum im Studio fehlt. Sie erlebe die ungewohnte Situation als "ein wenig seltsam", sagt Bettina Böttinger: "Weniger Kameraleute, weniger Redakteure und Redakteurinnen, alles ist reduziert." Und dennoch habe sie den Eindruck, "dass die Sendung selber, dass die Gespräche selber fast ein bisschen intensiver wirken. Kein Gast kann sich auf die Reaktion des Publikums konzentrieren, sondern es geht nur innerhalb der Runde."
    Als "merkwürdig" beschreibt die 63-Jährige die Stimmung nach der Aufzeichnung. "Üblicherweise haben wir im Anschluss einen kleinen Umtrunk, wo man sozusagen endgültig ins Gespräch kommt und sich verabschiedet. Das soll jetzt alles sehr schnell gehen, ganz schnell wieder in das sichere Zuhause." Das bedauere sie.
    Aber die Hauptsache sei aktuell: "Es geht weiter mit dem Kölner Treff", unterstreicht Bettina Böttinger – und das bald auch im Ersten, an einem Dienstag- und nicht Freitagabend.
    Der Moderator: Steffen Hallaschka (ZUM NACHHÖREN)
    TV-Moderator Steffen Hallaschka vor einem blauen Hintergrund bei der Kino-Premiere
    TV-Moderator Steffen Hallaschka (Imago Images / Future Image)
    Er war der Nachfolger von Günther Jauch, als Moderator von stern TV, und ist das nun auch bereits bald seit zehn Jahren. Für ihn habe sich in den vergangenen Wochen "eigentlich so gut wie alles verändert", sagt Steffen Hallaschka. Sein Team und er würden überwiegend im Homeoffice arbeiten, und das heiße: "Viele Videokonferenzen, viele Telefonate, Filmabnahmen über Server. Das alles ist ein bisschen mühsamer geworden – und auch ein bisschen einsamer." Insgesamt könne man das Arbeiten, auch während der Sendungsaufzeichnung, wohl als "lustärmer" bezeichnen.
    Auf der anderen Seite sehe er auch positive Effekte, so Steffen Hallaschka. In Sachen Digitalisierung und dezentralem Arbeiten habe man "gehörig dazugelernt", man arbeite konzentrierter – und: habe die Chance, "journalistische Berichterstattung in Echtzeit" zu machen. Er empfinde es als "Geschenk und Herausforderung", laufend verändernde Erkenntnisse in Wissenschaft und Politik "immer wieder zu hinterfragen und neu zu bewerten, das Ganze verantwortungsvoll zu tun, ohne Panikmache, aber auch ohne Verharmlosung".
    In stern TV habe man es zuletzt geschafft, "unter den erschwerten, veränderten Bedingungen wirklich tolle Geschichten von Menschen zu erzählen". Und habe dabei auch auf Videomaterial zurückgreifen können, das man selbst nicht mehr drehen konnte und durfte, "zum Beispiel bei Corona-Patienten zuhause in der Quarantäne, weil die uns diese Bilder zugeliefert haben, gedreht auf dem eigenen Smartphone".
    "Also", zieht Steffen Hallaschka Bilanz: "Ein großer Lerneffekt bei all dem – und trotzdem freue ich mich auf die Zeit nach der Pandemie, wenn sich stern TV öffnet, wieder über 100 Menschen eine tolle, eine bunte und vielleicht auch etwas unbeschwertere Sendung erwarten, als sie es in den vergangenen Wochen war.
    Die Kritikerin: Elke Heidenreich (ZUM NACHHÖREN)
    Die Autorin Elke Heidenreich am 08. Oktober 2010 auf der Buchmesse in Frankfurt.  
    Elke Heidenreich (imago / Teutopress)
    Seit genau 50 Jahren sei Elke Heidenreich als Journalistin aktiv, so weist es ihr Wikipedia-Eintrag aus: "Seit 1970 ist Heidenreich als freie Autorin und Literaturkritikerin für Presse, Funk und Fernsehen tätig", heißt es dort. Und daran habe auch die Coronakrise nichts geändert, erklärt sie uns: "Lesen und Schreiben sind ja meine Tätigkeiten, und das sind immer einsame Tätigkeiten, bei denen man sowieso alleine ist. Das bin ich also gewöhnt."
    Sie vermisse den Besuch von Musikkonzerten und Theateraufführungen – und "staune doch, wie schnell der Fußball wieder auf die Beine kommt und die Opernhäuser noch geschlossen bleiben". Ihr Vorschlag für mehr Kultur in der Krise: Warum nicht mehr über Bücher oder andere Spielarten der Kultur berichten dort, wo vor Corona die Zeit für den Sport reserviert war, beispielsweise in den Nachrichtensendungen von ARD und ZDF?
    Elke Heidenreich zieht ein enttäuschtes Fazit der vergangenen Wochen: "Die Krise lehrt uns einfach mal wieder, was in diesem Land wichtig ist und was nicht: Wirtschaft und Sport sind wichtig – und Bilder, Musik, Theater, Bücher sind nicht wichtig. Das macht mich traurig und das macht mich auch zornig. Denn genau das sind für mich und für viele andere die rettenden Geländer. Diese Krise zeigt, wie sehr wir das an den Rand drücken, und ich finde, das dürfte nicht sein. Da erwacht mein alter Kampfgeist."
    Der Unternehmer und Podcaster: Matze Hielscher (ZUM NACHHÖREN)
    Matze Hielscher
    Matze Hielscher, Mitgründer des Portals "Mit Vergnügen" und Macher des Podcasts "Hotel Matze" (Mit Vergnügen / Hella Wittenberg)
    Matze Hielscher war früher Bassist bei Virginia Jetzt. In einem ihrer letzten Hits sang die Band vom Ende, das ein Anfang sein wird. Für Hielscher stand am Ende seiner Band ein Neuanfang als Medienunternehmer. "Mit Vergnügen" heißt sein Stadtmagazin als Onlineportal mit mittlerweile mehr als 30 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Ein Arbeiten wie bisher? "Nicht mehr möglich", sagt der 40-Jährige. "Unser Content besteht zu 80 Prozent darin, Leute aus ihrem Haus zu schicken und zu sagen: Geht in die Stadt!" Und das sei seit Corona ja nicht mehr möglich. Und so habe man "über Nacht" alles neu planen müssen.
    Herausgekommen seien neue digitale Prozesse, mehr Struktur in den Arbeitsabläufen, neue Inhalte für die Seite. Aber vor allem, findet er: "ganz neue Kreativität". Als Chef sieht er seine Verantwortung darin, Team und Userinnen und Usern seiner Inhalte "weiterhin ein positives, vergnügtes Gefühl zu geben", allen schlechten Nachrichten wie beispielsweise einbrechenden Werbeeinnahmen zum Trotz. Die Firma heiße Mit Vergnügen, "da muss ich das auch weitertransportieren, bei all den schlechten Nachrichten die man so hat".
    In der Rolle als Gastgeber seines erfolgreichen Podcast-Formats "Hotel Matze" wurde Hielscher auch selbst kreativ – und gründete kurzerhand das "Hotel Quarantäne". Innerhalb kürzester Zeit interviewte er dort zahlreiche Menschen über ihren Umgang mit der Krise, seine eigene Ehefrau, Schriftstellerin Sybille Berg, Außenminister Heiko Maas oder Mode-Unternehmer Wolfgang Joop.
    Er finde nicht, sagt Matze Hielscher, "dass Krisen Chancen sind, ich finde Krisen sind erstmal Krisen". Aber er sei überrascht, wie einfallsreich viele Menschen in den letzten Wochen geworden seien. "Und das sehe ich sehr, sehr gerne."
    Der Autor und Neu-Podcaster: Hajo Schumacher (ZUM NACHHÖREN)
    20.11.2019, Nordrhein-Westfalen, Köln: der Journalist und Autor Hajo Schumacher zu Gast in der ARD Talkshow " Maischberger . die Woche " Foto: Horst Galuschka/dpa/Horst Galuschka dpa | Verwendung weltweit
    Autor Hajo Schumacher (picture alliance / dpa / Horst Galuschka)
    Bestseller-Autor, Kolumnist in Print und Rundfunk, politischer Journalist – Hajo Schumacher ist eine feste Größe in der deutschen Medienlandschaft. Die Pandemie und ihre Folgen habe an seinen Arbeitsroutinen wenig geändert, erklärt uns der 56-Jährige in einer Tonaufnahme, die er daheim in seinem neu eingerichteten Studio aufgenommen hat. Denn Hajo Schumacher war, noch vor der Zeit der Kontaktsperren, im Land unterwegs und, wie er sagt, auf "Expeditionsreise, stellvertretend für die ganzen Babyboomer". Von jungen Leuten habe er sich erklären lassen: Was muss man eigentlich wissen, um dieses Internet zu verstehen?"
    Ein Ergebnis dieser Recherchen: Schumacher konnte in der Coronakrise sein Portfolio erweitern – und sich nun auch Podcaster nennen. Gemeinsam mit seiner Frau, einer "Positivpsychologin", und Medienpartner Berliner Morgenpost ist er seit dem 13. März täglich auf Sendung: "Gespräche, die wir vielleicht am Frühstückstisch nicht führen würden, die führen wir in diesem Podcast. Was macht das mit unserer Beziehung? Was macht das mit unserer Arbeit? Welche Ängste kommen da raus?"
    Was ihn ärgere? Mit seinem großen Ziel, endlich einen Krimi zu schreiben, sei er nicht vorangekommen. "Ich habe exakt genau den Einstieg, den ich schon seit einem Jahr hier liegen habe, und habe noch keinen einzigen Satz drangestrickt. Das ist so quälend, weil ich weiß, dass ich da Spaß dran habe, und es liegt rum und ich komm einfach nicht dazu." Das sei das bekannte und vertraute Gefühl, das er auch in Zeiten ohne Virus habe, sagt er und lacht.
    Grundsätzlich mache ihm die aktuelle Situation Spaß. "Man merkt, die Kollegen sind lockerer, viele sind aufgeschlossener, man kann mehr rumspinnen: Was geht? Welche Formate kann man sich vorstellen?" Auf der anderen Seite kenne er auch ganz viele, die Befürchtungen haben: "Wie geht es nachher eigentlich weiter, wenn die Verlage, wenn die Sender alles zusammendampfen." Er würde sich freuen, so Schumacher, "wenn es uns Kollegen gelänge, den schwachen und den starken, den jungen und den alten, wenn es uns gelänge, da gemeinsam, solidarisch durchzukommen".