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Juan Guaidó im Exklusiv-Interview
"Cyberangriff - das ist doch ein Witz"

Venezuelas selbsternannter Übergangspräsident Juan Guaidó macht Fehler der Regierung für die Krise und den Stromausfall im Land verantwortlich. Die Regierung spreche zwar von einem Hackerangriff als Ursache, eine technische Analyse gebe es aber nicht, sagte Guaidó im Deutschlandfunk.

Juan Guaidó im Gespräch mit Burkhard Birke |
Venezuelas selbsternannter Übergangspräsident Juan Guaidó während einer Rede in Buenos Aires
Juan Guaidó ist Präsident der venezolanischen Nationalversammlung (AFP / JUAN MABROMATA /)
Burkhard Birke: Die Regierung beschuldigt Sie der Sabotage, Juan Guaidó, gemeinsam mit den USA sollen Sie den Stromausfall verursacht haben. Zu welchen Analysen kommen Sie und Ihre Experten? Was antworten Sie darauf?
Juan Guaidó: Deutschland sollte zunächst einmal wissen, dass es 2009 eine Stromkrise gab und deshalb 100 Milliarden Dollar investiert worden sind. 2013 wurde die Stromversorgung dem Militär unterstellt. Im Jahr 2017 hat das Parlament, dem ich vorstehe, versucht, die Verantwortlichen wegen Korruption zur Rechenschaft zu ziehen. Damals wurde das Klimaphänomen ‚El nino‘ verantwortlich gemacht, dann das Unternehmen Eguana, und jetzt wird von Cyberangriff gesprochen - das ist doch ein Witz!
Hören Sie hier das Interview in der spanischen Originalfassung.
Sabotage ist, die Investitionsgelder geraubt zu haben, Sabotage ist, die humanitäre Hilfe nicht ins Land zu lassen. Für mich will sich das Regime von Maduro, des Diktators, nur entschuldigen, weil das, was sich jetzt in Venezuela abspielt, in seiner Verantwortung liegt.
Wir werden nicht darauf reagieren, und die Dinge darstellen, wie sie sind. Bis jetzt gibt es keine offizielle Darstellung der Ereignisse. Da ist die Rede von einem Hackerangriff, von elektromagnetischer Spannung. Bis heute gibt es keine formale Analyse eines Technikers in Venezuela.
"Mörderische Diktaktur beenden"
Birke: Wie reagieren Sie, wie die Nationalversammlung auf die Notlage?
Guaidó: Wir werden den Alarmzustand ausrufen, die nötige Rückendeckung suchen und auf humanitäre Hilfe pochen. 17 Personen sind nach offiziellen, rund 60 nach inoffiziellen Angaben aufgrund des Stromausfalls gestorben. Schon zuvor waren bis zum letzten Freitag 79 Menschen aufgrund verschiedener Stromausfälle im Land gestorben. Die humanitäre Krise in Venezuela verschärft sich. Wir suchen die Unterstützung der Bürger, um eine mörderische Diktatur zu beenden.
Birke: Wäre jetzt nicht der Moment, eine Art Waffenstillstand auszurufen, mit Nicolás Maduro zu verhandeln, um ausländische Experten ins Land zu lassen, die den Schaden beheben helfen?
Guaidó: Wie soll das gehen, wenn die behaupten, es habe einen Hackerangriff gegeben? Wir haben mit Fachleuten in verschiedenen Ländern gesprochen, aber die Regierung besteht darauf, dass der Schuldige das Imperium – USA ist! Diese Krise wurde nicht durch einen Tornado oder eine Naturkatastrophe, sondern von der Regierung ausgelöst. Sie müssten also erst einmal die Ursache definieren und zugeben, dass sie die Krise zu verantworten haben.
Der selbsternannte venezolanische Übergangspräsident Juan Guaidó im Gespräch mit Dlf-Korrespondent Burkhard Birke
Der selbsternannte venezolanische Übergangspräsident Juan Guaidó im Gespräch mit Dlf-Korrespondent Burkhard Birke (Deutschlandfunk / Burkhard Birke)
Birke: Waren Sie überrascht, dass Sie vergangenen Montag ins Land einreisen durften?
Guaidó: Ich bin mir des Risikos eines jeden Venezolaners bewusst, der sich traut, den Mund aufzumachen. Gewerkschafter werden inhaftiert, es gibt mehr als 1.000 Gefangene, es gibt politische Morde. Ich war mir der Bedeutung bewusst, was meine Einreise bedeutet, aber es gibt internationale Unterstützung und die Unterstützung im Volk für eine gerechte Sache wie Demokratie und Freiheit. Und wie Sie sehen mangelt es nicht nur an Nahrung und Medizin, sondern auch an Strom.
"Unser Ziel ist, die Bürger zu mobilisieren"
Birke: Hat Sie die Ausweisung des deutschen Botschafters überrascht? Daniel Kriener hatte sie ja am Flughafen abgeholt?
Guaidó: Was sie mit dem deutschen Botschafter getan haben, ist eine Drohung, und zwar eine verbale. Sie haben keine Befähigung jemanden zur Persona non grata zu erklären. Der Botschafter ist zu Konsultationen nach Berlin gerufen worden. Angesichts der Situation ist das doch logisch: Es gibt politische Verfolgung, Journalisten werden eingesperrt. Kameras und Ausrüstungen werden beschlagnahmt wie im Fall von Jorge Ramos. Wenn ein Regime droht, dann weiß man welche Konsequenzen das hat.
Brike: Mit welcher Strategie wollen Sie die Rückkehr Venezuelas zur Demokratie erreichen? Was ist Ihre Strategie in diesem Moment?
Guaidó: Druck ohne Gewalt auszuüben: Das war immer so. Kundgebungen, Forderungen nach Sozialem, nach Gerechtigkeit. Unser Ziel ist es, die Bürger zu mobilisieren, unabhängig von Parteien, das Parlament, die Zivilgesellschaft, die Gremien, die Gewerkschaften, die Studenten, die Jugend, die Kirche. Ein friedlicher Übergang würde helfen, das Land schnell zu stabilisieren, es zu demokratisieren, um freie Wahlen abzuhalten.
Birke: Sie fordern immer wieder das Militär, nicht die Führung, sondern vor allem die mittleren und unteren Ränge, auf, die Verfassung zu respektieren und Ihnen auf dem Weg in die Demokratie zu folgen. Wie reagieren die? Denn bisher bleibt das Militär treu bei Nicolas Maduro?
Guaidó: Das weiß ich nicht, aber es gibt 600 Soldaten in Cúcuta, Kolumbien. Gestern konnten wir in Caracas frei demonstrieren trotz vorheriger Versuche die Demo zu unterbinden. Auch die Militärs haben die Nase voll - wie ganz Venezuela. Die mittlere Kommandoebene ist in meinem Alter, das sind junge Kerle mit Familie, verzweifelt, weil sie nicht von ihrem Sold leben können. Es gibt eine Führung, die die Macht entführt hat, von Kubanern unterstützt wird und zum Beipsiel die humanitäre Hilfe verhindert hat und keine gesunde Beziehung erlaubt. Ich bin sicher 80, wenn nicht 85 Prozent wollen einen Wechsel im Gegensatz zum Oberkommando.
Übergangsjustiz als Option
Birke: Könnten Sie den hochrangigen Militärs Garantien, Amnestie gewähren für von ihnen begangene Korruption, Drogenhandel und Menschenrechtsverletzungen?
Guaidó: Ich nicht, aber das Parlament prüft gerade ein Amnestie- und Garantiegesetz – nicht für das gesamte Militär, das würde keinen Sinn machen, sondern die Einzelfälle müssten betrachtet werden, um die Stabilität und Regierbarkeit des Landes zu garantieren. In vielen Ländern ist eine solche Übergangsjustiz geschaffen worden, allerdings ohne Amnestie für Menschenrechtsverletzungen.
Birke: Könnte die Friedensjustiz aus Kolumbien da Pate stehen?
Guaidó: Es gibt viele Fälle. In Venezuela braucht es viel Geschick, denn wir haben es hier mit Drogenhandel, Menschenrechtsverletzungen, Korruption und Verbindungen zu terroristischen Vereinigungen nicht nur in Kolumbien, sondern überall auf der Welt zu tun. Wir müssen viele Optionen in Betracht ziehen, damit die Gesellschaft heilt. Es darf keine Straffreiheit, sondern es muss eine Übergangsjustiz geben, die uns Stabilität, Regierbarkeit verschafft und hilft unser Land schnell zu regieren.
Birke: Können Sie sich eine Situation vorstellen, in der Sie gemäß Artikel 187 -11 der Verfassung um ausländische Militärhilfe ersuchen?
Guaidó: Es handelt sich um internationale Kooperation in Venezuela. Die einzige Militärintervention ist die kubanische! Was wir suchen sind: geringere soziale Kosten, Stabilität, Regierbarkeit, Wiederherstellung der Institutionen. Wie viele Menschen sind seit Freitag wegen dieses skrupellosen Regimes gestorben? Wir prüfen alle Optionen, werden das Beste tun, um unser Volk zu wirklich freien Wahlen zu führen.
Birke: Heißt das Nein zu einer Militärintervention von Donald Trump?
Guaidó: Die Frage auf eine Militärintervention durch einen Präsidenten zu reduzieren, erscheint mir nicht korrekt. Wir sprechen von Entscheidungen von Venezolanern, die seit Jahren gekämpft haben, um Mehrheiten zu bilden, um politische Parteien zu haben, das Parlament zu erobern, das mir die Gelegenheit gibt, eine Präsidentschaft auszuüben bis es freie Wahlen gibt. Wir sprechen von der Kraft, die nötig ist, um eine Diktatur zu besiegen – und in diesem Sinne werden wir über alle Optionen sprechen.
Birke: Sollte Deutschland, sollte die EU die Sanktionen verschärfen?
Guaidó: Das sollten Sie angesichts der Krise in Venezuela, aber sie waren ja schon aktiver und sie haben reagiert – da muss ich fair bleiben: zum Beispiel Deutschland mit humanitärer Hilfe, mit Sanktionen und der Tatsache, dass die Bundesregierung unsere Verfassung respektiert – und unsere Souveränität. Da ist viel passiert – ich glaube, ganz Europa könnte dem deutschen Beispiel folgen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.