Michael Köhler: Carsten Probst, mein Kollege, er war in Dresden, mit dem ich jetzt sprechen werde - lassen Sie uns über die Sixtinische Madonna sprechen, Herr Probst. Was macht Dresden zu diesem Jubiläum, zeigt es die Geschichte des herausragenden Werks von 1512 bis heute? Wie arrangieren die das?
Carsten Probst: Ja, sie zeigen die Geschichte, wenngleich in meiner Sicht nur teilweise. Diese Ausstellung lässt mich eigentlich wie so viele repräsentative Kunstprojekte der staatlichen Kunstsammlungen in den letzten Jahren im Zwiespalt zurück. Wir haben eine Ausstellungsarchitektur, die eine Renaissance-Kirche nachbildet, in deren Apsis dann die Sixtiner in ihrem neuen, altarartigen Rahmen zu sehen ist.
Eigentlich wird also dieses Werk als Kultbild vorgeführt , soll auch als Kultbild vorgeführt werden, das ist von den Kunsthistorikern der staatlichen Museen in Dresden so gemeint, nämlich das Publikum soll sich quasi die ursprüngliche Inszenierung, wie sie dann früher in Piacenza in der Klosterkirche San Sisto gewesen sein mag, ein bisschen mehr vorstellen können, auch die geistliche Funktion dieses Bildes.
Köhler: Also der sakrale Zusammenhang?
Probst: … diesen sakralen Zusammenhang. – Sie haben dann quasi neben dieser Apsis und dem Kirchenraum eben zwei Seitenschiffe, wo Sie dann die Vorstudien Raffaels zu diesen einzelnen Figuren auf dem Gemälde sehen können, wunderbare Leihgaben. Ich finde die Vorzeichnungen auch manchmal sehr viel schöner, beispielsweise diese Engelchen, die gar nicht so puttenhaft niedlich in den Vorzeichnungen wirken. – Dann haben Sie ein wenig auch zur Zeitgenossenschaft des Bildes im Sinne von einigen Gemälden Raffaels noch, Leihgaben ebenfalls, oder von anderen Madonnenmotiven, die zeigen sollen, wie einzigartig schon zu ihrer Zeit diese Leistung, wie innovativ Raffaels Leistung mit diesem Gemälde gewesen ist.
Und dann in Nebenräumen haben Sie noch ein bisschen mehr, ziemlich weit ausgebreitet sogar, was zur Rezeptionsgeschichte, einerseits literarisch, weil dieses Bild ja auch immer sehr inspirierend gewirkt hat auf Literaten, und auf der anderen Seite vor allem dieses Engelsmotiv, das dann kommerziell mehr und mehr ausgeschlachtet wurde seit dem 19. Jahrhundert.
Köhler: Also Entstehung, Ankaufsgeschichte und der Weg zur Weltgeltung, all das wird gezeigt?
Probst: Das wird mehr oder weniger nachvollziehbar gezeigt. Was mir eben fehlt – und deswegen dieser Zwiespalt, von dem ich sprach – ist, dass es ja eigentlich doch von Anfang an ein kirchenpolitisches Programmbild Julius II. gewesen ist. Also im Grunde genommen ist es unabweisbar …
Köhler: In päpstlichem Auftrag gemalt!
Probst: … in päpstlichem Auftrag gemalt, eine politische Ikonografie, die wir hier sehen. Es ist nicht nur ein geistliches Bild. Papst Julius befand sich damals in Kämpfen mit der französischen Armee um die Einung des Kirchenstaates, nachdem das Schisma beigelegt worden war im 15. Jahrhundert, also hatte immer noch mit innerkirchlichen Zerreißproben zu kämpfen, und die äußerten sich eben auch in Schlachten.
Und Piacenza war damals eben durch solche Schlachten wieder zurückgefallen an den Kirchenstaat, und dadurch, ja als Lob, gewissermaßen als Geschenk für dieses Bekenntnis Piacenzas und seiner Klosterkirche San Sisto zum Kirchenstaat, zur Kyrie, sollte eben ein prachtvolles Gemälde des Lieblingskünstlers Julius II. geschenkt werden, und das wurde dann eben diese Madonna, die eigentlich ein Siegesbild ist, ein Siegesbild der Kyrie über die abgefallenen Gläubigen.
Köhler: Mich interessiert unbedingt doch noch zum Schluss: Für die Erfahrung himmlischer Visionen ist ja in modernen Museen, auch selbst so einer wunderbaren Sammlung wie die Alte Meister Sammlung, Staatliche Gemäldesammlung Dresden, kaum noch Ruhe und Platz. Das ist ja ein vergleichsweise leises Bild, das da neben großen Giorgionos und Tintorettos in Dresden eigentlich hängt. Kann das noch ein Gegenstand innerer Betrachtung sein, oder bewundern wir heute nur noch seinen Rang?
Probst: Das ist immer sehr individuell. Ich habe den Eindruck, dass es schon und aufgrund von Raffaels Maltechnik sehr eindringlich wirkt. Wir haben ja fast eine Art dunkle Inszenierung: Sie sehen diese dunklen Vorhänge, die zur Seite gezogen werden, den leichten Schatten, den ernsten Gesichtsausdruck mit der leichten Verschattung der Madonna. Das wirkt schon, auch wie die Madonna auf das Publikum gewissermaßen zuzuschreiten scheint, hat schon eine leichte untergründige und auch leicht befremdliche Drohung in sich.
Auf der anderen Seite diese wahnsinnige Popularität, diese Karriere, die das Bild im Bürgertum des Biedermeier gemacht hat, mit dieser Erhabenheits-Sehnsucht. Das ist das, was mich eben im Zwiespalt zurücklässt, dass das heute durch diese Inszenierung mit diesem Kirchenraum eigentlich fast schon wieder ein bisschen bedient wird und dadurch ein Appell an innere Einkehr gerichtet wird, der dieser inneren Einkehr im Grunde genommen völlig abträglich ist.
Köhler: Ein Kultbild und seine Geschichte – die Sixtinische Madonna (vor 500 Jahren wurde sie gemalt) ist in Dresden in Entstehung, Ankauf und dem Weg zur Weltgeltung zu sehen. Carsten Probst war das.
Carsten Probst: Ja, sie zeigen die Geschichte, wenngleich in meiner Sicht nur teilweise. Diese Ausstellung lässt mich eigentlich wie so viele repräsentative Kunstprojekte der staatlichen Kunstsammlungen in den letzten Jahren im Zwiespalt zurück. Wir haben eine Ausstellungsarchitektur, die eine Renaissance-Kirche nachbildet, in deren Apsis dann die Sixtiner in ihrem neuen, altarartigen Rahmen zu sehen ist.
Eigentlich wird also dieses Werk als Kultbild vorgeführt , soll auch als Kultbild vorgeführt werden, das ist von den Kunsthistorikern der staatlichen Museen in Dresden so gemeint, nämlich das Publikum soll sich quasi die ursprüngliche Inszenierung, wie sie dann früher in Piacenza in der Klosterkirche San Sisto gewesen sein mag, ein bisschen mehr vorstellen können, auch die geistliche Funktion dieses Bildes.
Köhler: Also der sakrale Zusammenhang?
Probst: … diesen sakralen Zusammenhang. – Sie haben dann quasi neben dieser Apsis und dem Kirchenraum eben zwei Seitenschiffe, wo Sie dann die Vorstudien Raffaels zu diesen einzelnen Figuren auf dem Gemälde sehen können, wunderbare Leihgaben. Ich finde die Vorzeichnungen auch manchmal sehr viel schöner, beispielsweise diese Engelchen, die gar nicht so puttenhaft niedlich in den Vorzeichnungen wirken. – Dann haben Sie ein wenig auch zur Zeitgenossenschaft des Bildes im Sinne von einigen Gemälden Raffaels noch, Leihgaben ebenfalls, oder von anderen Madonnenmotiven, die zeigen sollen, wie einzigartig schon zu ihrer Zeit diese Leistung, wie innovativ Raffaels Leistung mit diesem Gemälde gewesen ist.
Und dann in Nebenräumen haben Sie noch ein bisschen mehr, ziemlich weit ausgebreitet sogar, was zur Rezeptionsgeschichte, einerseits literarisch, weil dieses Bild ja auch immer sehr inspirierend gewirkt hat auf Literaten, und auf der anderen Seite vor allem dieses Engelsmotiv, das dann kommerziell mehr und mehr ausgeschlachtet wurde seit dem 19. Jahrhundert.
Köhler: Also Entstehung, Ankaufsgeschichte und der Weg zur Weltgeltung, all das wird gezeigt?
Probst: Das wird mehr oder weniger nachvollziehbar gezeigt. Was mir eben fehlt – und deswegen dieser Zwiespalt, von dem ich sprach – ist, dass es ja eigentlich doch von Anfang an ein kirchenpolitisches Programmbild Julius II. gewesen ist. Also im Grunde genommen ist es unabweisbar …
Köhler: In päpstlichem Auftrag gemalt!
Probst: … in päpstlichem Auftrag gemalt, eine politische Ikonografie, die wir hier sehen. Es ist nicht nur ein geistliches Bild. Papst Julius befand sich damals in Kämpfen mit der französischen Armee um die Einung des Kirchenstaates, nachdem das Schisma beigelegt worden war im 15. Jahrhundert, also hatte immer noch mit innerkirchlichen Zerreißproben zu kämpfen, und die äußerten sich eben auch in Schlachten.
Und Piacenza war damals eben durch solche Schlachten wieder zurückgefallen an den Kirchenstaat, und dadurch, ja als Lob, gewissermaßen als Geschenk für dieses Bekenntnis Piacenzas und seiner Klosterkirche San Sisto zum Kirchenstaat, zur Kyrie, sollte eben ein prachtvolles Gemälde des Lieblingskünstlers Julius II. geschenkt werden, und das wurde dann eben diese Madonna, die eigentlich ein Siegesbild ist, ein Siegesbild der Kyrie über die abgefallenen Gläubigen.
Köhler: Mich interessiert unbedingt doch noch zum Schluss: Für die Erfahrung himmlischer Visionen ist ja in modernen Museen, auch selbst so einer wunderbaren Sammlung wie die Alte Meister Sammlung, Staatliche Gemäldesammlung Dresden, kaum noch Ruhe und Platz. Das ist ja ein vergleichsweise leises Bild, das da neben großen Giorgionos und Tintorettos in Dresden eigentlich hängt. Kann das noch ein Gegenstand innerer Betrachtung sein, oder bewundern wir heute nur noch seinen Rang?
Probst: Das ist immer sehr individuell. Ich habe den Eindruck, dass es schon und aufgrund von Raffaels Maltechnik sehr eindringlich wirkt. Wir haben ja fast eine Art dunkle Inszenierung: Sie sehen diese dunklen Vorhänge, die zur Seite gezogen werden, den leichten Schatten, den ernsten Gesichtsausdruck mit der leichten Verschattung der Madonna. Das wirkt schon, auch wie die Madonna auf das Publikum gewissermaßen zuzuschreiten scheint, hat schon eine leichte untergründige und auch leicht befremdliche Drohung in sich.
Auf der anderen Seite diese wahnsinnige Popularität, diese Karriere, die das Bild im Bürgertum des Biedermeier gemacht hat, mit dieser Erhabenheits-Sehnsucht. Das ist das, was mich eben im Zwiespalt zurücklässt, dass das heute durch diese Inszenierung mit diesem Kirchenraum eigentlich fast schon wieder ein bisschen bedient wird und dadurch ein Appell an innere Einkehr gerichtet wird, der dieser inneren Einkehr im Grunde genommen völlig abträglich ist.
Köhler: Ein Kultbild und seine Geschichte – die Sixtinische Madonna (vor 500 Jahren wurde sie gemalt) ist in Dresden in Entstehung, Ankauf und dem Weg zur Weltgeltung zu sehen. Carsten Probst war das.