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Jubiläum von "Umwelt und Verbraucher"
30 Jahre Umweltschutz - 30 Jahre gebrochene Versprechungen

Zum 30-jährigen Bestehen der Sendung "Umwelt und Verbraucher" im Deutschlandfunk zieht Lutz Ribbe von der Umweltorganisation EuroNatur Bilanz. Es habe in dieser Zeit einige kleine, regionale Erfolge gegeben. "Aber die globalen Probleme werden größer und das schmerzt natürlich umso mehr", sagte Ribbe.

Lutz Ribbe im Gespräch mit Georg Ehring |
Logo der Sendung "Umwelt und Verbraucher"
"Es wurden Versprechungen gemacht ohne Ende", erklärte Lutz Ribbe von der Umweltorganisation EuroNatur (AP / NOAA)
Georg Ehring: Das Waldsterben, Atomenergie, die verdreckten Flüsse und Smog – das waren vor 30 Jahren Themen, die viele Menschen bewegten und die auch dazu beigetragen haben, dass der Deutschlandfunk sich dafür entschied, eine Sendung zum Thema Umweltschutz einzuführen. Lutz Ribbe ist naturschutzpolitischer Direktor bei der Umweltorganisation EuroNatur. Im Gespräch mit ihm habe ich eine Bilanz des Umweltschutzes in dieser Zeit gezogen und ich habe ihn kurz vor dieser Sendung unter anderem gefragt, ob viele Umweltprobleme wie etwa das Waldsterben inzwischen tatsächlich Geschichte sind.
Lutz Ribbe: Na ja. Man hat in der Tat durch Technik – nehmen wir mal das Beispiel Schwefeldioxid, schwarzes Dreieck, damals ja eine ganz große Geschichte im Bereich Deutschland, Polen, Tschechien, zwei Millionen Tonnen Schwefeldioxid, die sauren Regen produziert haben -, ja, man hat lokal in der Tat Regionalprobleme gelöst. Aber natürlich reden wir vom Waldsterben heute noch. Wir reden davon, dass durch das Klima momentan der Borkenkäfer aufräumt. Wir reden von globalen Problemen und ich glaube, das ist eine Erkenntnis, die wir leider ziehen müssen, 30 Jahre, dass wir tatsächlich lokal, regional einige kleinere Erfolge erzielt haben. Aber die globalen Probleme werden größer und das schmerzt natürlich umso mehr.
Plakate zum Waldsterben - "Man hat uns verlacht"
Ehring: Bleiben wir mal bei den Problemen von damals. Was hat Sie da besonders bewegt? Was war damals das Hauptthema, etwa vor 30 Jahren? Das war ja die Zeit kurz vor der Wiedervereinigung.
Ribbe: Ja gut, das waren natürlich in der Tat diese Ängste davor: Die sterbenden Wälder, die wir alle noch vor Augen haben. Das hat uns natürlich auf die Palme gebracht, die Naturschützer. Wir haben Plakate gemacht, der Wald stirbt, und man hat uns erst mal verlacht. Das ist ja heute genau das gleiche auch noch mal, dass tatsächlich vieles nicht ernst genommen wird. Viele Sachen, die damals aufgeschrieben worden sind, auch im Club of Rome Bericht, die ganzen Voraussagen, die sich teilweise tatsächlich heute bewahrheiten, wurden nicht ernst genommen und es wurde so getan, als ob wir fortfahren können, obwohl – auch das muss man ja erkennen – damals sich abzeichnete, dass wir eine Trendwende brauchen.
Kurz danach, nachdem Ihre Sendung tatsächlich in den Äther ging, war dann ja zwei, drei Jahre später die Konferenz von Rio, die große Nachhaltigkeitskonferenz. Es wurden Versprechungen gemacht ohne Ende. Und wir haben dann 30 Jahre erlebt gebrochener Versprechungen, und das rächt sich heute in der Tat intensiv.
Das größte gebrochene Versprechen
Ehring: Was ist für Sie das größte gebrochene Versprechen von Rio?
Ribbe: Man hat beispielsweise gesagt, man wolle umweltschädliche Subventionen streichen, man wolle die externen Kosten internalisieren, man wolle dafür sorgen, dass die, die die Umwelt belasten, dafür auch bezahlen müssen. Dann hat man – ich weiß gar nicht, ob man das noch im Hinterkopf hat. Man hat ja in Rio damals '92 die Klimakonvention unterzeichnet, und jetzt will ich Ihnen mal ein Beispiel geben, was da drinsteht. In der Klimakonvention steht drin als Ziel die Stabilisierung der Treibhausgasemissionen auf einem Niveau, auf dem eine gefährliche Störung des Klimas durch den Menschen verhindert wird. Das war ein qualitatives Ziel. Wir reden heute über 1,5 Grad, über ein quantitatives Ziel, und wir wissen genau, dass bei 1,5 Grad den Leuten die Dächer vom Haus fliegen und große Schäden schon eintreten, und wir erreichen noch nicht mal das 1,5 Grad Ziel.
Wir definieren dann permanent unsere Ziele neu. Da können wir auch ein anderes nehmen: Biodiversität. Uns wurde versprochen, wir machen einen Stopp des Biodiversitätsverlustes bis 2010. Dann hat man kurz vor 2010 gesagt: Oh, hoppla, erreichen wir nicht, wir recyceln das Ziel auf 2020. Nächstes Jahr ist 2020 und man ist jetzt dabei zu sagen, leider konnten wir das Ziel nicht erreichen, das werden wir bis 2025 oder bis 2030 erreichen wollen. – Es ist ein permanentes Beruhigen, obwohl wir merken, dass der Kollaps auf unserem Planeten immer näher rückt, und ich finde es mittlerweile erstaunlich, wie gelassen weiterhin einige Politiker sind, obwohl die Zivilgesellschaft hier mehr und mehr aufsteht – jetzt gerade die Proteste der jungen Leute, die man ja wirklich nur beglückwünschen kann, dafür motivieren kann, so weiterzumachen, aufzustehen und zu sagen: Politiker, handelt endlich.
Ehring: Was müsste denn passieren und wie kann der Naturschützer, der Umweltschützer das anstoßen?
Ribbe: Da finden Sie mich mittlerweile auf einer teilweise auch ratlosen Basis, weil ich gebe Ihnen ein anderes Beispiel. 1983 wurde mal eine unglaublich gute Studie gemacht. Die hieß "Aktionsprogramm Ökologie". Die kam raus noch vom Bundeslandwirtschaftsministerium, von einer Fachgruppe des Bundesinnenministers, der damals für den Umweltschutz zuständig war. Das sind ja nun 35 Jahre schon her und ich habe mir mal den Spaß gemacht, dieses alte Aktionsprogramm wieder herauszukramen. Es steht alles drin, was gefordert werden müsste, was bis heute nicht eingetreten ist. Wir brauchen eine andere Agrarpolitik.
Gerade gestern hat das Europaparlament über die neue Agrarpolitik abgestimmt, und es ist ein weiter so. Es werden Milliarden in eine Agrarwirtschaft hineingepumpt, ohne Zweckbindung, sage ich mal, quasi als Flächenprämie, ohne qualitative Ziele, und wir erleben eine Agrarpolitik, wo die Bauern sterben, wo wir Kollateralschäden an Umwelt, Tier und Natur haben, und es ändert sich nichts, obwohl es eigentlich da aufgeschrieben ist. Und da kann man wirklich in der Tat nur sagen: Bürger, steht auf!
Ich will noch einen zweiten Punkt sagen, der mir Mut macht. Mut macht mir die Tatsache, dass in Deutschland dadurch, dass verschiedene Gruppen sich an einen Tisch gesetzt haben, ein Kompromiss erzielt worden ist, was den Kohleausstieg angeht. Ich glaube, die Politik hat nicht die Kraft, allein die Entscheidungen zu treffen, die notwendig sind, und deshalb ist es wichtig, auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen – dazu gehören die Umweltverbände, auch die Gewerkschaften und andere Gruppen – an einen Tisch zu bringen und zu sagen: Leute, es muss sich was ändern. Und ich glaube, die Bereitschaft in der Gesellschaft auf Veränderungen ist weit größer als in der Politik.
Schülerdemos - "Das ist ja fast praktizierte Sozialkunde"
Ehring: In diesen Wochen protestieren Schülerinnen und Schüler vor allem für den Klimaschutz. Ist das ein Signal für eine Wende?
Ribbe: Natürlich ist das ein Signal für die Wende und es ist hanebüchen, wie teilweise Politiker versuchen, diese tollen Proteste von den Jugendlichen niederzumachen nach dem Motto "geht endlich in die Schule, lernt endlich mal was, Klimaschutz ist nur etwas für Profis". Ja wenn die Profis doch endlich ernst nehmen würden, was sie vor 30 Jahren uns versprochen haben, dann wäre das doch okay. Dann bräuchten die Schüler auch nicht auf die Straße zu gehen.
Ich finde, das ist ja fast praktizierte Sozialkunde, was da passiert. Ich finde das großartig. Ich finde, man muss den Dialog mit den Jugendlichen, mit den Wissenschaftlern weiter suchen. Man muss auch Verantwortung übernehmen. Auch die Jugendlichen müssen das tun. Aber ich finde das wirklich bemerkenswert und positiv.
//Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews