Antje Allroggen: Zwei Frauen auf einer Zeichnung von Max Liebermann: die eine klagend, während die andere gerade eine Pflanze auf ein Grab legt. Trauer und Anklage zugleich. Die Zeichnung aus den 1920er-Jahren macht deutlich, dass auch jüdische Soldaten für Deutschland in den Ersten Weltkrieg gezogen sind. Etwa 100.000 sollen es gewesen sein. Zehntausende davon sind gefallen, oder schwer verwundet zurückgekehrt.
Auf welche Weise der Erste Weltkrieg in der jüdischen Erinnerung verhaftet blieb, erzählt eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin. Inka Bertz ist Sammlungsleiterin des Museums. Ich habe sie zunächst gefragt, warum es so viele jüdische Soldaten gab, die mit Begeisterung in den Ersten Weltkrieg gezogen sind.
Inka Bertz: Es gab viele jüdische Soldaten, die in den Ersten Weltkrieg gezogen sind. Ob sie es alle mit so unglaublicher Begeisterung getan haben, wird ja in der Zwischenzeit von der Forschung auch ein wenig in Frage gestellt, und ich glaube, was ihre Begeisterung oder auch Skepsis, für die wir auch viele Belege haben, angeht, da unterschieden sie sich gar nicht so sehr von ihren nichtjüdischen Kameraden.
Allroggen: Die meisten Objekte, die die Ausstellung zeigt, sind ja Bestandteil familiärer Nachlässe. Es werden also ganz persönliche Einzelschicksale erzählt, die dennoch sicherlich auch aufs Allgemeine verweisen. Welche Exponate befinden sich darunter und wie werden sie präsentiert?
Bertz: Es ist eine Ausstellung, die aus den Sammlungsbeständen heraus entwickelt ist. Wir haben uns diese angeschaut und die Themen dann aus diesen Beständen heraus entwickelt. Was wir dann zeigen sind unter anderem sehr viele Objekte, die auf die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg reflektieren.
Zum Beispiel: Wenn ich das nennen kann: Wirklich eine Art von tragischen Objekten sind diese Ehrenkreuze, die an Kriegsteilnehmer 1934 zum 20. Jahrestag des Kriegsbeginns auf Antrag verliehen wurden und die in den jüdischen Familien tatsächlich im Zusammenhang mit der damals ja schon stattgefundenen Verfolgung und Diskriminierung erinnert werden.
Es ist also immer diese Spannung zwischen der Zugehörigkeit, der Erinnerung an die Teilhabe am Ersten Weltkrieg, an die Zugehörigkeit zur Nation und dann der darauf folgenden Ausgrenzung, und aus dieser Spannung zwischen diesen beiden Polen sind die Objekte dann von den Familien ans Jüdische Museum gegeben worden. Das ist, glaube ich, das Wesentliche. Der Akt, die Objekte ans Jüdische Museum zu geben, war dann eine nachträgliche Anerkennung, wenn man so will, diese Erfahrung der Teilhabe und der darauf folgenden Erfahrung der Ausgrenzung.
"Es gibt skeptische oder auch anklagende Motive"
Allroggen: Zu sehen sind zum Beispiel Schwarz-Weiß-Fotografien, eine Pickelhaube, Tagebücher, aber auch Werke jüdischer Künstler wie Hermann Struck, Jakob Steinhardt oder Ernst Oppler, die als Soldaten an der Front waren. Welches Zeugnis gaben denn diese Künstler von ihren persönlichen Kriegseindrücken? Waren sie ähnlich euphorisch anfangs wie etwa ihre Künstlerkollegen Franz Marc oder Ernst Ludwig Kirchner in den Krieg gezogen, und ist diese Begeisterung auch auf ihren Bildern zu sehen, oder überwiegen da eher anklagende Motive?
Bertz: Es gibt skeptische oder auch anklagende Motive. Die kleine Reihe wird eröffnet von einem Selbstporträt von Gert Wollheim, der sehr skeptisch in seiner Uniform schaut, und einem anklagenden Blatt von Ludwig Meidner in Erinnerung an seinen gerade gefallenen Freund Ernst Wilhelm Lotz aus dieser Mappe "Krieg". Das ist die eine Seite.
Es gab natürlich Künstler, die ihr künstlerisches Schaffen in den Dienst des Krieges gestellt haben, die mitgearbeitet haben an diesen Mappenwerken "Kriegszeit", "Krieg und Kunst" etc. Max Fabian wäre hier zu nennen. Es gibt Künstler, die sich als Künstler, aber auch als Vermittler und Politiker engagiert haben, wie Hermann Struck, der in dem besetzten Litauen als Referent für jüdische Angelegenheiten den Kontakt zur jüdischen Zivilbevölkerung herstellen sollte. Das sind alles ganz unterschiedliche Formen der Reaktion von jüdischen Künstlern jetzt im Ersten Weltkrieg.
Allroggen: Gibt es auch ganz persönliche Dokumente, Tagebucheinträge zum Beispiel?
Bertz: Wir haben eine Reihe von Kriegstagebüchern in der Sammlung und besonders eindrucksvoll ist vielleicht der Eintrag eines jungen Mannes vom 31. Juli 1914, in dem er unter der Überschrift "Krieg!" schon alle Schrecken, Kriegsangst und die bevorstehenden Schrecken ganz klar voraussieht.
Allroggen: Die Sammlungsleiterin Inka Bertz über die Ausstellung "Der Erste Weltkrieg in der jüdischen Erinnerung", die bis zum 16. November im Jüdischen Museum Berlin zu sehen ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.