"Das Thema Nummer eins der Innenpolitik ist heute die Rassenfrage. Die Geschichte lehrt uns: Ein Imperium erobert man sich mit Waffen, aber man erhält es am Leben mit Prestige, und Prestige erreicht man mit einem rassischen Bewusstsein, dem Bewusstsein nicht nur des rassischen Unterschieds, sondern vor allem der Überlegenheit."
So Benito Mussolini 1938 in Triest. Im gleichen Jahr verabschiedet seine Regierung die Rassengesetze. Anders als im deutschen NS-Regime führen sie zwar nicht zu Konzentrations- und Vernichtungslagern, aber zu einer schrittweisen und umfassenden Ausgrenzung der Juden aus dem gesamten öffentlichen Leben. Die Rassengesetze sind für die Juden ein Schock. Und nicht nur für sie, erklärt die römische Historikerin Anna Foa:
"Nur wenige Italiener hatten mit Rassengesetzen gerechnet. Die meisten Juden waren davon überzeugt, dass Hitler Druck auf Mussolini ausgeübt hatte, um solche Gesetze zu erlassen. Aber inzwischen weiß man, dass das nicht der Fall war. Sie kamen nur auf Mussolinis Wunsch zustande, der vielleicht hoffte, auf diese Weise in Hitlers Augen als modern zu gelten, als: auf der Höhe der Zeit".
Professoren, Lehrer, Beamte und Angestellte des öffentlichen Dienstes werden umgehend entlassen. Die soziale Ausgrenzung der Juden weitet sich aus. Anna Foa erklärt:
"Das waren sehr harte Gesetze. In verschiedenen Punkten sogar härter als entsprechende Gesetze in Nazideutschland. So wurden zum Beispiel die Juden in kürzester Zeit aus den Schulen vertrieben, was in Deutschland nicht sofort der Fall war. Nicht nur das Lehrpersonal, sondern auch sämtliche jüdischen Schüler mussten die Schulen verlassen".
Doch das Regime setzt nicht auf Internierungen in Lagern oder auf gewalttätige Übergriffe gegen Juden. Im Gegenteil: Viele überzeugte Faschisten machen die rassistische Wende des Duce nicht mit – und helfen Juden. Offen gegen die Rassengesetze spricht sich Papst Pius XI. aus. Er wirft dem Regime vor, Nazideutschland imitieren zu wollen.
Bis heute ist unter Historikerin die Frage umstritten, ob Pius XI. entschieden gegen den Antisemitismus von Benito Mussolini war oder nicht. Nicht wenige Historiker werfen ihm vor, er habe die guten Beziehungen zum Regime nicht mit scharfer Kritik an den Rassengesetzen aufs Spiel setzen wollen. Sicher ist: Die katholische Kirche unter Papst Pius XI. und vor allem unter Pius XII. rettet viele Juden. Besonders nach 1943, als Mussolini zum Abdanken gezwungen und Italien geteilt wird: in einen von den alliierten Streitkräften befreiten Süden und ein von den Deutschen besetztes Mittel- und Norditalien. Die Situation der Juden ändert sich grundlegend mit der Ankunft der Deutschen: Sie sind es, die systematisch Juden jagen und deportieren. Die Historikerin Anna Foa:
"Der italienische Faschismus hatte nie die Idee, Juden auszurotten. Das ändert sich nach Mussolini. Es wird am Gardasee die sogenannte Italienische Sozialrepublik eingesetzt. Und zwar von Hitlers Gnaden in Norditalien zwischen 1943 und 45. Nun wurden alle Juden als Ausländer deklariert. Und jene Italiener, die mit dieser Nachfolgerepublik zusammenarbeiteten, waren ganz vorn beim Aufspüren und Verhaften von Juden."
Nach 1943 wandern viele der noch in Italien verbliebenen Juden aus. Rund 8500 Juden werden deportiert, 7800 kommen in Vernichtungslagern um. Zahlreiche italienische Juden werden von normalen Bürgern vor den Nazis gerettet, aber auch und vor allem von der katholischen Kirche. Die Historikerin Anna Foa:
"Klar, Pius XII. hätte stärker den Nazismus und die Judenverfolgung anklagen können. Klar ist auch, dass die katholische Kirche wahrscheinlich besser als viele andere wusste, was in Sachen Holocaust vor sich ging. Pius XII. half allerdings, wo er konnte, indem er kirchliche Einrichtungen für Juden öffnete."
Nach Kriegsende und der Schaffung eines demokratischen Rechtsstaats kehrten viele emigrierte Juden nach Italien zurück. Schnell bilden sich wieder jüdische Gemeinden. Wie vor den Rassengesetzen von 1938 sind Italiens Juden heute wieder integraler Bestandteil der italienischen Gesellschaft. Nur sind es heute weniger als vor 1938 – nur noch etwa 35 Tausend Italiener sind jüdischen Glaubens.