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Juden in Österreich-Ungarn
Weltuntergang und Fronteinsatz

In einer Seitengasse des Stephansdoms liegt das Jüdische Museum Wien. Dort wird bis September 2014 eine Sonderausstellung gezeigt, in der es um die Rolle der jüdischen Untertanen in der K.u.k. Monarchie und in der österreichisch-ungarischen Armee im Ersten Weltkrieg geht.

Von Thomas Klatt |
    "Diese Ausstellung heißt 'Weltuntergang', weil für die Juden der österreichisch-ungarischen Monarchie war es ein solcher. Erst unter Kaiser Franz-Joseph haben die Juden ihre vollständigen Bürgerrechte erhalten, Recht auf Ansiedelung, auf Landbesitz, es hat sich die jüdische Bevölkerung in Wien vervielfacht und es ist ja dann auch die großartige Ringstraßenkultur entstanden, wovon die Stadt ja heute noch zehrt."
    Der Zeit- und Kulturhistoriker Marcus Patka hat die Ausstellung "Weltuntergang" im Jüdischen Museum Wien kuratiert. Das Zusammenbrechen der Habsburger Monarchie im November 1918 war für die jüdischen Untertanen eine Katastrophe. Jahrzehntelang lebten sie zuvor in relativer Sicherheit und Harmonie. Wien galt nicht Wenigen als das Neue Jerusalem. Juden waren hier in ihrem Glauben und ihrem Ritus ganz anders akzeptiert als etwa in Deutschland, wo diese vor allem konvertieren mussten, wenn sie im staatlichen Dienst Karriere machen wollten. Der österreichische Monarch selbst aber hat sich für Religionsfreiheit und -gleichheit eingesetzt.
    Erstmals Militärpflicht für Juden
    "In Bezug auf seine Armee hat er gesagt, meine Soldaten sollen gläubig sein. Demnach waren die Juden der loyalste Teil seiner Untertanen. Viele von ihnen sind mit Begeisterung für ihren Kaiser in den Krieg gezogen. Österreich war weltweit das erste Land, in dem eine Militärpflicht für Juden eingeführt wurde, bereits 1788 unter Kaiser Joseph II., ursprünglich nur beim Train, beim Fuhrwerk, aber dann rasch auch in allen Waffengattungen. Im Gegensatz zur preußischen Armee, Juden konnten auch wenn sie nicht christlich konvertiert waren bis in die allerhöchsten militärischen Ränge, also bis in den Generalsrang aufsteigen, also das hat es in Deutschland nicht gegeben zu dieser Zeit."
    Kein Wunder also, dass gerade die jüdischen Untertanen begeistert für Kaiser und Vaterland in das Feld zogen.
    "Es sind im Ersten Weltkrieg an die 300.000 jüdische Soldaten in die K.u.k.-Armee eingezogen worden, etwa zehn Prozent sind gefallen, es gab sehr wenige Berufsoffiziere. Aber der Anteil bei den Reserveoffizieren, der lag bei doch fast 20 Prozent. Weil es eben in einer Gesellschaft, gerade wenn man von einer benachteiligten Minderheit kommt doch einen sehr hohen Status gebracht hat, wenn man doch eine Offiziersuniform hat und nachdem schon in den ersten Kriegswochen und -monaten sehr viele Berufsoffiziere gefallen sind, sind diese jüdischen Reserveoffiziere nachgerückt und haben dann dort auch ihren Mann gestanden."
    Der latent vor allem in Deutschland grassierende Antisemitismus warf Juden Feigheit vor, denn diese würden sich vor dem Einsatz an der Front drücken. Das veranlasste die deutsche Heeresleitung im Oktober 1916 dazu, die Juden in den eigenen Reihen zu zählen, um solchen Vorwürfen und damit der drohenden Instabilität der Truppe den Nährboden zu entziehen. Die Empörung, dass preußische Generäle solchen antisemitischen Lügen überhaupt Gehör schenkten, war bei den deutschen Juden groß. Solch eine antisemitisch motivierte Judenzählung hat es in Österreich-Ungarn nie gegeben. Die K.u.k.-Monarchie konnte sich solche Ressentiments auch kaum leisten, war das Riesenreich doch eine Ansammlung vieler Völker und Religionen.
    "Es gab in seinem Reich eben Christen, Protestanten, griechisch-Orthodoxe und auch Muslime, dass Juden und Muslime im selben Regiment quasi Schulter an Schulter gekämpft haben, das war das Bosniaken-Regiment, und der Kaiser hat sich ja auch mehrfach geweigert den Karl Lueger als Wiener Bürgermeister anzugeloben, weil dieser eben ein bekannter Antisemit war."
    Aber nicht nur die Loyalität gegenüber dem Kaiser ließ die Juden in den Krieg ziehen. Hinzu kam die Sorge um die Glaubensgeschwister und Verwandten in den Ost-Provinzen.
    "Man hat ja nach Russland geschaut und dort wurden die Juden ja wirklich geknechtet und verfolgt und es kam immer wieder zu Pogromen; und die Wiener Juden während des Krieges, die konnten nicht verstehen, dass eine aufgeklärte Nation wie Frankreich jetzt mit dem erzreaktionären zaristischen Russland eine Kriegskoalition eingeht und hat bis 1917 sehr viel Werbung gemacht, Amerika möge doch auf Seiten der Mittelmächte in den Krieg eintreten unter den Juden dort, schaut wie es den Juden hier geht und wie es ihnen in Russland geht."
    Die Frontlinie überrollte geradezu das größte jüdische Siedlungsgebiet in Galizien, wo rund drei Viertel aller österreichischen Juden überhaupt lebten. Es kam zu schrecklichen Pogromen. Schon zu Beginn des Krieges strömten bis zu 400.000 Juden in den sicheren Westen des Habsburger Reiches, so rund 15.000 nach Prag, 20.000 nach Budapest und insgesamt 150.000 nach Wien. Ein nicht unproblematischer plötzlicher Bevölkerungsanstieg.
    "Es hat durch die arme Verwandtschaft im Osten eine gewisse Unruhe gegeben, denn es gab schon eine andere Generation, die 1- 2 Generationen vorher eingewandert war, die schon assimiliert war und anerkannt war und die haben sich von den armen und verlumpten Verwandten aus dem Osten kompromittiert gefühlt in ihrem gesellschaftlichen Status. Auf der anderen Seite hat es sehr viele Hilfs-Komitees gegeben, auch speziell für die österreichisch-jüdische Bevölkerung in Galizien, da hat man schon über alle ideologischen Grenzen hinweg geholfen."
    Juden schossen auch auf Juden
    Juden dienten praktisch in allen Armeen des Ersten Weltkrieges auf beiden Seiten der Schützengräben. Juden schossen somit also auch auf Juden. Aber da es sich aus Sicht aller Mächte jeweils um einen Verteidigungskrieg handelte, war der Kriegseinsatz theologisch letztlich auch für Rabbiner zu rechtfertigen. Allein in der k.u.k.-Armee dienten zuletzt bis zu 130 Militärrabbiner. Diese waren nicht nur für die Habsburger Untertanen, sondern prinzipiell für alle Juden zuständig, an der Front wie eben auch hinter den Linien.
    "Ihre Aufgabe war die Betreuung in den Spitälern, aber auch die jüdischen Kriegsgefangenen, da finden sich Briefe an die Kulturgemeinde, herzzerreißend aus Tirol, wir haben hier Kriegsgefangene, auch drei fromme Juden aus Russland, bitte schickt uns für drei Tage eine Bibel und Gebetsumhang, wir schicken das nachher auch wieder zurück."
    Auch wenn bis zu 300.000 Juden in der K.u.k.-Armee dienten und etwa jeder Zehnte, also rund 30.000, von ihnen fielen, so waren die Jüdischen Gemeinden zum Ende des Krieges nicht sicher vor dem dann auch in Österreich immer größer werdenden Deutsch-Nationalismus und Antisemitismus. Der verlorene Krieg wurde nun den Juden und ihrer vermeintlich angeborenen Feigheit angelastet. Die alten sicheren Strukturen zerbrachen. Antisemitische Karikaturen und Schmähschriften verbreiteten sich rasch. Der Kaiser dankte ab, die Gemeinden waren tief verunsichert und orientierungslos.
    "Das zentrale Ereignis ist, dass die junge jüdische Generation nach dem Ersten Weltkrieg das Projekt Assimilation für gescheitert erklärt hat und sich mehrheitlich dem Zionismus, teilweise auch dem Sozialismus oder einer Mischung von beiden zugewendet hat. 1918 wurde dann auch der Präsident der jüdischen Kultusgemeinde zum Rücktritt gezwungen und in dieser Zeit gab es dann den Jüdischen Nationalrat, zionistisch orientiert, die da eben kurze Zeit sehr stark waren."
    Vor allem junge Juden planten nun ein neues Leben in Palästina. Denn bei allem Leiden des Krieges hatten sie anders als ihre Eltern vor allem kämpfen gelernt. Nicht wenige beteiligten sich am Aufbau der paramilitärischen Haganah und wurden später zu wichtigen Offizieren in der neuen israelischen Armee. In Österreich selbst schlossen sich 1932 die verbliebenen Weltkriegs-Veteranen zum Bund Jüdischer Frontsoldaten zusammen. Nicht mehr Kampf, sondern Völkerverständigung war nun das Ziel. Denn schon vor dem Krieg entstand im bürgerlichen Judentum eine pazifistische Bewegung. Fast vergessen, der jüdische Schriftsteller Alfred Hermann Fried, enger Mitarbeiter Bertha von Suttners, erhielt bereits 1911 den Friedensnobelpreis. Der Erste Weltkrieg konnte von dieser kleinen Bewegung nicht verhindert werden. Aber es wurden pazifistische Ideen entwickelt, die nach 1918 etwa bei der Gründung des Völkerbundes wieder aufgegriffen wurden. Eine Friedenssehnsucht, die auch die ehemaligen jüdischen Frontkämpfer ergriffen hat.
    "Es gab 1936 in Wien einen Weltkongress jüdischer Frontkämpfer und da sind französische, polnische und amerikanische Soldaten gekommen und haben Flaggenparade gemacht und haben sich über die Gräben des Ersten Weltkrieges die Hand gereicht, das wäre nirgendwo anders möglich gewesen, schon gar nicht im Jahr 1936 und man hat sich so in gewisser weise als Friedensinstitution empfunden. Das waren stramme Offiziere und man hat zumindest auf jüdischer Seite versucht über alle Grenzen, über alle nationalen Feindbilder hinweg zusammenzuarbeiten."