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Juden und Muslime in Frankreich
Geeint in Trauer

Nach dem rassistisch motivierten Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch, trauerten in Frankreich Juden und Muslime Seite an Seite. So auch der Rabbiner Michel Serfaty und sein Freund Khalil Merroun, Rektor der Moschee von Évry. Beide eint die Hoffnung auf friedliches Miteinander in Frankreich.

Von Ursula Welter |
Khalil Merroun (r.) und sein Freund Rabbi Michel Serfaty stehen im Gebetsraum der Großen Moschee von Évry
Khalil Merroun (r.), der Rektor der Großen Moschee von Évry, und sein Freund Rabbi Michel Serfaty (Deutschlandradio / Ursula Welter)
Das hier ist die größte Moschee Frankreichs. Jedenfalls in puncto Nutzfläche. In den 70er-Jahren reifte die Initiative für ein islamisches Kulturzentrum in Evry Courcouronnes, seit den 90er-Jahren stehen Minarett und Moschee, es wird angebaut. Mehr Gebetsfläche, modernere Räume für die Koranschule, prächtige Mosaike, Säulengänge.
Der Rabbiner aus der Synagoge im Nachbardorf hat seinen Bus auf dem Parkplatz vor der Moschee abgestellt. Der Eingang ist nicht gesichert. Michel Serfaty wird von allen Muslimen auf dem Gelände wie ein ziemlich erster Freund begrüßt.
Auf dem Terminplan stand eigentlich ein Treffen mit der Justizministerin und dem Rektor der Moschee. Khalil Merroun sitzt im dunklen Anzug in einem Raum nahe des Eingangs. "Der Termin wurde annulliert", sagt er. Die Gelbwestenproteste sind eskaliert, der Staatspräsident hat das ganze Kabinett zu sich gerufen, auch die Justizministerin.
"Macron wird die Farbe gelb sein Leben lang hassen", amüsiert sich der Rektor der Moschee. So ist Zeit für einen Tee, Khalil Merroun ist gesellig, von kräftiger Statur, er lacht gerne und liebt ganz offensichtlich das Reich, über das er herrscht, seit es die Große Moschee gibt.
"Rein von der Gebäudestruktur betrachtet, ist das hier eines des größten islamischen Kulturzentren."
Zum Freitagsgebet kommen 5.000 Gläubige, an hohen Feiertagen 10.000. Vor dem Gebetsraum ein großer Platz, gegenüber das Konferenzzentrum.
Der 72-jährige Rabbi von Ris-Orangis, Michel Serfaty, vor seinem Bus, mit den er in die Vorstädte von Paris fährt, um mit Muslimen in Dialog zu treten,
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Entdeckt mich! Ich bin Jude. - Unterwegs mit einem französichen Rabbi.




Khalil Merroun hat ein Buch veröffentlicht, gemeinsam mit dem Rabbiner und dem Bischof der Diözese von Evry. Jetzt sitzt der Rektor der Moschee in einem provisorischen Büro, erste Etage, sein Freund, Michel Serfaty, sitzt daneben und hört schweigend zu:
"Wir haben 80 Prozent Übereinstimmung. Es gibt winzige Meinungsverschiedenheiten, aber die sind überwindbar."
Vermittler zwischen den Religionen
Beide Franzosen, der Moslem und der Jude, stammen aus Marokko. Beide verstehen sich als Brückenbauer zwischen den Religionen. Berührungsängste gibt es hier nicht.
"Wenn ich in die Synagoge gehe, fühle ich mich bei Gott", sagt Merroun.
"Wer uns Probleme bereitet, das sind die Politiker. Die Politiker wollen ihre Mandate retten und dazu wiegeln sie uns gegeneinander auf. "
"Manchmal stellen sie sich gut mit den Muslimen, weil es so viele muslimische Wähler gibt. Ein anderer hält es eher mit den Juden, um sie auszunutzen. Glücklicherweise fallen wir nicht darauf rein."
Mit dem Rabbiner, Serfaty habe er, Merroun, vor Jahren schon den "Pakt der Brüderlichkeit zwischen Juden und Muslimen in Frankreich" unterzeichnet.
"Aber man hat uns nicht geholfen. Keine Unterstützung… "
"Unsere Gemeinschaften sind die schwächsten in diesem Land. Die extreme Rechte zielt nicht nur auf die Muslime, sie zielt auch auf die Juden. Wir haben einen gemeinsamen Feind. …Sie haben ja gesehen, der Attentäter von Neuseeland hat sich ideologisch hier in Frankreich beeinflussen lassen und er wollte Le Pen rächen, weil die die Wahlen nicht gewonnen hat."
Zusammenstehen - auch in schweren Zeiten
Während der Tee gebracht wird, klingeln Telefone, mal das vom Rektor der Moschee, mal das seines jüdischen Partners. In den Telefonaten geht es um eine Gedenkveranstaltung für die Opfer von Christchurch. Natürlich würden Juden und Muslime auch da zusammenstehen, versichern beide.
"Es gibt eine menschliche Brüderlichkeit, die über uns hinausgeht. Wenn ich mit Juden zusammen bin, vergesse ich, dass ich Moslem bin, aber ich vergesse nicht, dass ich ein Mensch bin, in den Adern fließt dasselbe Blut. Und wenn ich leide, schmecken Michels Tränen genauso wie meine, sie sind salzig."
Einen großen Raum im Kulturzentrum seiner Moschee will Merroun für jüdisch-muslimische Aufklärungsarbeit zur Verfügung stellen, "keine Konferenzen" sagt er, "das langweilt die jungen Leute", eher einen Treffpunkt.
Baustelle in der Großen Moschee in Évry bei Paris
In der Große Moschee in Évry bei Paris wird gebaut, sie soll größer und moderner Werden. (Deutschlandfunk / Ursula Welter)
Auf dem Weg zum Ausgang geht es an der Teestube vorbei, die Gläubigen grüßen das ungleiche Paar
Draußen deutet der Rektor der Moschee auf einen Teil der Groß-Baustelle – die Frauen hatten keinen Notausgang, sagt er, jetzt wird einer gebaut.
"Sei mal ehrlich", neckt der Rabbiner sein Gegenüber, "man sagt, Du würdest bald einen weiblichen Imam einstellen."
"Eine Tages….das ist schwierig."
"Frankreich braucht einen liberalen Islam - In jedem Fall akzeptiert er die Gesetze der Republik, der Muezzin ruft nicht von da oben."
"Obwohl ich die Erlaubnis habe….."
Im Gebetsraum beginnt das Abendgebet, die Gläubigen kommen aus allen Richtungen zur Großen Moschee von Évry, Rabbiner und Rektor posieren noch kurz für ein gemeinsames Foto, Schuhe aus, Lächeln, am nächsten Tag, beim Gedenken für die Opfer des Massakers von Christchurch, werden sie sich wiedersehen.