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Judith Sevinç Basad vs. Anatol Stefanowitsch
Sollen die Öffentlich-Rechtlichen gendergerecht sprechen?

Anne Will und Claus Kleber tun es, andere halten es schlicht für verrückt: das Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Wie sinnvoll ist es? Welche Folgen hat es für die Geschlechtergerechtigkeit? Wirkt es aufklärerisch oder bevormundend? Darüber streiten Judith Sevinç Basad und Anatol Stefanowitsch.

Moderation: Karin Fischer |
Ungewöhnlich ist der Genderstern* schon lange nicht mehr. Auch nicht das große Binnen-I oder der Gendergap mit dem kleinen Unterstrich. Viele Ämter und Behörden, Vereine und Schulen, Zeitungen und Magazine gendern. Für manche gibt es feste Vorgaben, andere richten sich nach den Empfehlungen der Duden-Redaktion.
Die Debatte darüber, wie sinnvoll das Gendern ist, geht aber weiter. Was die einen als sprachliches Abbild für Vielfalt und Gleichberechtigung betrachten, ist für die anderen ein hässlicher Hemmschuh im Sprachfluss oder Ausdruck fehlgeleiteter Ideologie.
Wie steht es nun im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Beim gesprochenen Wort kommt die Schwierigkeit hinzu, das Sternchen nicht mitsprechen zu können. Da wird dann zum Beispiel eine kleine Pause genutzt, um den Gap in Politiker_innen deutlich zu machen. Oft wird aber auch einfach aus Gewohnheit die männliche Form verwendet, auch wenn es in den Redaktionen die Empfehlung gibt, gendergerecht zu sprechen und mehr oder weniger kreativ unterschiedliche Varianten auszuprobieren.
Ist das Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Aufklärung oder Bevormundung? Ist es Reflex eines kritischen Nachdenkens über die Sprache oder der Versuch, eine umstrittene Norm durchzusetzen? Und was hat es mit der Realität der Geschlechterbeziehungen zu tun?
Auf einer Ausgabe des Duden formen Buchstaben das Wort Gender mit einem Gendersternchen am Ende.
Gendern im Journalismus - Schreiben und sprechen für alle Geschlechter
Die Diskussion über geschlechtergerechte Sprache gibt es seit Jahrzehnten. Inzwischen ist es in vielen Redaktionen normal, nicht immer allein auf die männliche Formulierung zurückzugreifen. Trotzdem ist das generische Maskulinum immer noch deutlich überrepräsentiert.
Das Gerndersternchen drückt Betroffenen einen Opferstempel auf
Judith Sevinç Basad ist Autorin, Journalistin und Kolumnistin. Sie bloggt regelmäßig bei den "Salonkolumnisten".
"Das Sternchen baut auf einer falschen Annahme auf, die sich nicht wissenschaftlich beweisen lässt: dass wir durch die Veränderung der Sprache auch die Wirklichkeit verändern können. Das ist ja nicht der Fall. Nehmen wir zum Beispiel mal sexuelle Gewalt oder Diskriminierung am Arbeitsplatz – die wird sich ja nicht dadurch beseitigen lassen, indem wir das Sternchen einführen, sondern durch Realpolitik.
Ich glaube vielmehr, dass dadurch, dass wir das Gendersternchen einführen auch auf dem Sender, das genaue Gegenteil passiert, nämlich dass man Frauen und Minderheiten nicht nur auf ihr Geschlecht reduziert und zu einer Gruppe homogenisiert, sondern dass man ihnen auch noch einen Opferstempel aufdrückt. Und dadurch wird ein ultradefizitäres Frauenbild erstellt: die Frau als schwaches und hilfsbedürftiges Wesen, das ohne die Hilfe von Journalisten überhaupt nicht in der Lage ist, sich emanzipiert zu verhalten. Und das finde ich um einiges sexistischer, als das Sternchen nicht zu verwenden."
 Linguist über Kommaregeln, Rufzeichen und Gendersternchen
Bei der Anwendung von Kommaregeln scheint das Erregungspotenzial der meisten Menschen groß. Wehe, man hält sich nicht daran! Umso erstaunlicher ist es aber, dass es bislang gar keine Theorie der Interpunktion gab, sondern nur Richtlinien.
Medien sollten sich an der Suche nach geeigneter Sprache beteiligen
Anatol Stefanowitsch ist Sprachwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. 2018 erschien sein Buch "Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen".
"Öffentlich-rechtliche Sender wie alle Medien und auch alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft sehen sich einem Problem gegenüber, nämlich dass dieses sogenannte generische Maskulinum, diese Tradition, semantisch männliche Personenbezeichnungen auch für gemischte Gruppen zu nehmen, dass das dazu führt, dass das Männliche in unserer Vorstellung zum Normalfall wird.
Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch spricht am 06.05.2014 bei einer Keynote auf der Internetkonferenz Republica in Berlin. Auf der Veranstaltung werden vom 06.05.2014-08.05.2014 Vorträge über Themen rund um das Internet gehalten. 
Der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch (dpa / Britta Pedersen)
Das konnte vielleicht so lange funktionieren, wie diese männliche Dominanz in der Gesellschaft auch akzeptiert war. Aber das ist inzwischen nicht mehr der Fall. Und so muss sich eben auch der Sprachgebrauch ändern und tut das ja auch. Die Medien spielen immer, wenn es um Sprachwandel geht, eine herausgehobene Rolle, weil sie eben von sehr vielen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft auf einmal wahrgenommen werden. Und deshalb müssen sie sich auch in irgendeiner Form verhalten. Und hier gibt es eben keine neutrale Position. Die Medien können entweder den traditionellen Sprachgebrauch weiter pflegen und das Männliche als Normalfall darstellen. Oder sie können sich an der Suche nach geeigneteren Formen beteiligen."