Ungewöhnlich ist der Genderstern* schon lange nicht mehr. Auch nicht das große Binnen-I oder der Gendergap mit dem kleinen Unterstrich. Viele Ämter und Behörden, Vereine und Schulen, Zeitungen und Magazine gendern. Für manche gibt es feste Vorgaben, andere richten sich nach den Empfehlungen der Duden-Redaktion.
Die Debatte darüber, wie sinnvoll das Gendern ist, geht aber weiter. Was die einen als sprachliches Abbild für Vielfalt und Gleichberechtigung betrachten, ist für die anderen ein hässlicher Hemmschuh im Sprachfluss oder Ausdruck fehlgeleiteter Ideologie.
Wie steht es nun im öffentlich-rechtlichen Rundfunk? Beim gesprochenen Wort kommt die Schwierigkeit hinzu, das Sternchen nicht mitsprechen zu können. Da wird dann zum Beispiel eine kleine Pause genutzt, um den Gap in Politiker_innen deutlich zu machen. Oft wird aber auch einfach aus Gewohnheit die männliche Form verwendet, auch wenn es in den Redaktionen die Empfehlung gibt, gendergerecht zu sprechen und mehr oder weniger kreativ unterschiedliche Varianten auszuprobieren.
Ist das Gendern im öffentlich-rechtlichen Rundfunk Aufklärung oder Bevormundung? Ist es Reflex eines kritischen Nachdenkens über die Sprache oder der Versuch, eine umstrittene Norm durchzusetzen? Und was hat es mit der Realität der Geschlechterbeziehungen zu tun?
Das Gerndersternchen drückt Betroffenen einen Opferstempel auf
Judith Sevinç Basad ist Autorin, Journalistin und Kolumnistin. Sie bloggt regelmäßig bei den "Salonkolumnisten".
"Das Sternchen baut auf einer falschen Annahme auf, die sich nicht wissenschaftlich beweisen lässt: dass wir durch die Veränderung der Sprache auch die Wirklichkeit verändern können. Das ist ja nicht der Fall. Nehmen wir zum Beispiel mal sexuelle Gewalt oder Diskriminierung am Arbeitsplatz – die wird sich ja nicht dadurch beseitigen lassen, indem wir das Sternchen einführen, sondern durch Realpolitik.
Ich glaube vielmehr, dass dadurch, dass wir das Gendersternchen einführen auch auf dem Sender, das genaue Gegenteil passiert, nämlich dass man Frauen und Minderheiten nicht nur auf ihr Geschlecht reduziert und zu einer Gruppe homogenisiert, sondern dass man ihnen auch noch einen Opferstempel aufdrückt. Und dadurch wird ein ultradefizitäres Frauenbild erstellt: die Frau als schwaches und hilfsbedürftiges Wesen, das ohne die Hilfe von Journalisten überhaupt nicht in der Lage ist, sich emanzipiert zu verhalten. Und das finde ich um einiges sexistischer, als das Sternchen nicht zu verwenden."
Medien sollten sich an der Suche nach geeigneter Sprache beteiligen
Anatol Stefanowitsch ist Sprachwissenschaftler an der Freien Universität Berlin. 2018 erschien sein Buch "Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen".
"Öffentlich-rechtliche Sender wie alle Medien und auch alle Mitglieder der Sprachgemeinschaft sehen sich einem Problem gegenüber, nämlich dass dieses sogenannte generische Maskulinum, diese Tradition, semantisch männliche Personenbezeichnungen auch für gemischte Gruppen zu nehmen, dass das dazu führt, dass das Männliche in unserer Vorstellung zum Normalfall wird.
Das konnte vielleicht so lange funktionieren, wie diese männliche Dominanz in der Gesellschaft auch akzeptiert war. Aber das ist inzwischen nicht mehr der Fall. Und so muss sich eben auch der Sprachgebrauch ändern und tut das ja auch. Die Medien spielen immer, wenn es um Sprachwandel geht, eine herausgehobene Rolle, weil sie eben von sehr vielen Mitgliedern der Sprachgemeinschaft auf einmal wahrgenommen werden. Und deshalb müssen sie sich auch in irgendeiner Form verhalten. Und hier gibt es eben keine neutrale Position. Die Medien können entweder den traditionellen Sprachgebrauch weiter pflegen und das Männliche als Normalfall darstellen. Oder sie können sich an der Suche nach geeigneteren Formen beteiligen."