Archiv

Jüdische Gemeinde Dessau
Neue Synagoge - trotz allem

Jetzt stehen selbst in deutschen Kleinstädten Polizisten vor Synagogen. Nach dem Anschlag von Halle hat sich jüdisches Leben auch nebenan in Dessau verändert. Die Angst geht um. Noch dominiert aber der Wille, jüdisches Leben zu etablieren. Etwa mit dem Bau einer neuen Synagoge.

Von Christoph Richter |
Ein Friedhofsbesucher mit Kippa am Engangstor zum Israelitischen Friedhof in Dessau
Die jüdische Gemeinde in Dessau hat ein hohes Durchschnittsalter, mit dem Bau einer Synagoge soll ein positives Signal gesetzt werden (imago stock&people / epd)
"Wir haben zwei Tora und eine Ersatztora,", sagt Alexander Wassermann, der Vorsitzende der 300 Mitglieder kleinen Jüdischen Gemeinde in Dessau. Er zeigt den unscheinbaren Toraschrank, den Aron haKodesch. Der befindet sich hinter einem samtenen Vorhang, dem Parochet. "Die eine Tora haben wir gekauft, die andere haben wir 1994 als Spende bekommen. Vom Zentralrat der Juden in Deutschland."
Platzmangel
Der in Moskau studierte und promovierte Sportmediziner Alexander Wassermann stammt aus Taschkent in Usbekistan. Seine Vorfahren kommen aus Deutschland, wollten angesichts der antijüdischen Stimmung ursprünglich 1912 mit der "Titanic" in die USA fliehen, erzählt Wassermann. Die Titanic sei ihnen erspart geblieben. Stattdessen seien sie in den 30er Jahren in die Sowjetunion geflohen, in die sozialistische Teil-Republik Usbekistan.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde aus Usbekistan ein eigener islamischer Staat. Anfang der 1990er Jahre wurde die Stimmung dort immer judenfeindlicher. Weshalb die Wassermanns wieder geflohen sind. Zurück nach Deutschland, erzählt Alexander Wassermann. Als Sohn eines Kommunisten und einer streng gläubigen Jüdin ist er 1995 nach Dessau gekommen. Und er war nicht der einzige, was den Gebetssaal im früheren Rabbiner-Haus an seine Grenzen bringt.
"Deswegen möchten wir einen Anbau, eine Synagoge."
Die neue Synagoge für 80 Personen soll genau an der Stelle entstehen, wo einst das letzte prachtvolle – im maurischen Stil erbaute – jüdische Gotteshaus stand. Also direkt neben dem Rabbinerhaus. Hier hatte einst auch der Kantor Albert Weill gelebt, der Vater des Komponisten Kurt Weill. In seiner Dessauer Zeit hat Albert Weill – neben dem Kol Avraham – verschiedene Synagogen-Gesänge komponiert.
Die Kuppel der letzten Synagoge mit dem goldenen David-Stern überragte einst die Stadt Dessau. Auf alten Postkarten und Fotos ist ein prächtiger Rund-Bau zu sehen, der – wie eine kleine Kopie - an die Neue Synagoge in Berlin-Mitte in der Oranienburger Straße erinnert. Am 9. November 1938 wurde der Bau während der Pogrom-Nacht angezündet.
Dessau war für das Judentum einst ein wichtiges Zentrum. Fürst Leopold III. Friedrich Franz von Anhalt-Dessau war ein Anhänger der Aufklärung, zu seiner Zeit stieg der Anteil der Juden in Dessau auf 1.000 Mitglieder an. Berühmte Mitglieder prägten das Leben, etwa Moses Mendelssohn. Bevor er nach Berlin ging – war er Teil der Israelitischen Gemeinde zu Dessau.
Zu DDR-Zeiten ausgeblendet
Die jüdische Geschichte der Stadt sei heute kaum präsent, sagt Cornelia Lüddemann. Sie ist Dessauerin und Fraktionschefin der Grünen im Magdeburger Landtag. In DDR- Zeiten sei das Judentum völlig ausgeblendet worden, mit Wirkungen bis heute, sagt sie: "Das aktiv in die Stadtgesellschaft zu integrieren, da ist – gelinde gesagt - noch Luft nach oben."
Im Zusammenleben zwischen Juden und der Mehrheitsgesellschaft gebe es bis heute kein normales Miteinander, sagt auch Julius H. Schoeps. Er ist der Vorsitzende der Moses Mendelssohn Stiftung: "Stadt und Land haben ein Problem, mit dem jüdischen Erbe umzugehen. Ich plädiere immer dafür, dass diese jüdische Geschichte der Stadt, als Teil der eigenen Geschichte angesehen wird. Da mangelt es noch etwas. Ich bin überzeugt, wenn man hier die richtigen Entscheidungen trifft, wird das Vorteile für das Land bringen. Insbesondere was den Tourismus angeht. Und hier kann man noch einiges tun, sollte man einiges tun."
Angst und Verunsicherung
Das Gemeindehaus in der Dessauer Kantor-Straße ist gut besucht. Fast alle der 300 Gemeinde-Mitglieder kommen aus den Teilstaaten der ehemaligen Sowjetunion. Das Durchschnittsalter: 59 Jahre. Seit dem Terroranschlag in Halle seien die meist alten Mitglieder noch verunsicherter als zuvor, erzählt der Vorstand der Gemeinde. Immer wieder habe die Gemeinde beim Innenministerium um finanzielle Unterstützung für Sicherheitsmaßnahmen gebeten, zuletzt im Sommer. Und habe Absagen bekommen. Schreiben, die auch dem Deutschlandfunk vorliegen.
Nach dem Terroranschlag habe sich das geändert, plötzlich gibt es Geld. Den Sinneswandel der sachsen-anhaltischen Landesregierung will Alexander Wassermann nicht kommentieren. Aber er stelle schon fest, sagt er, dass manche Gemeindemitglieder nach dem Terroranschlag den Gedanken hegen, Dessau zu verlassen, in Richtung USA oder Israel. "Die Perspektive – Sie haben Recht – ist nicht gut. Das ist schwierig, ich weiß nicht, wie es weitergeht." Deutschland müsse sich jungen jüdischen Migranten mehr öffnen. Das sei die einzige Überlebenschance für die Jüdische Gemeinde in Dessau. Und zugleich eine Herausforderung, meint zumindest Alexander Wassermann.
Am 8. November diesen Jahres soll in Dessau ein neues Kapitel der Jüdischen Gemeinde aufgeschlagen werden. Denn dann soll der Grundstein gelegt werden für die neue Synagoge in Dessau. Bis heute ist Sachsen-Anhalt das einzige Bundesland, in dem es seit der Pogrom-Nacht 1938 keinen neuen Synagogen-Bau gibt. Das soll sich jetzt ändern.