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Jüdische Museen
"Zionismus ist kein heikles Thema"

Deutlich machen, welche Bedeutung Israel für Juden heute hat - auch das gehöre zu den Aufgaben eines Jüdischen Museums in Deutschland, so die Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, Mirjam Wenzel. Zionismus sei erst einmal eine Bewegung mit dem Ziel, eine sichere Heimstätte für Juden zu schaffen.

Mirjam Wenzel im Gespräch mit Michael Köhler |
Davidstern am Eingang des Jüdischen Friedhofs in Bocklemünd in Köln.
Das Deutsch-Jüdische Kulturerbe erforschen und sichtbar machen - eine der wesentlichen Aufgaben Jüdischer Museen in Deutschland (picture alliance / Christoph Hardt)
Michael Köhler: Es gärte schon ziemlich lange. Nach einer umstrittenen, per Internet verbreiteten Leseempfehlung für einen Zeitungsartikel über Wissenschaftler, die den Beschluss des Bundestags gegen die BDS-Bewegung verurteilen, war die Kritik an Peter Schäfer, dem Direktor der Stiftung Jüdisches Museum Berlin, so groß geworden, dass er am Wochenende zurücktrat. Die BDS-Bewegung ist immer wieder Anlass für Zerwürfnisse. Sie ruft unter anderem zum Boykott israelischer Waren auf. Der Zentralrat der Juden in Deutschland stellte infrage, ob die Bezeichnung "jüdisch" für das Museum noch angemessen sei. Überdies hatte der Rat Vorbehalte gegen eine Jerusalem-Ausstellung des Museums vorgebracht. Schäfer war nach den heftigen Debatten der letzten Tage am Freitag von seinem Amt zurückgetreten. Der Direktor verteidigte die Ausstellung "Welcome to Jerusalem". Sie habe keine anti-israelische oder pro-palästinensische Propaganda gemacht. Wir haben Mirjam Wenzel, die Direktorin des Jüdischen Museums Frankfurt, gefragt, was das Besondere daran ist, ein Jüdisches Museum in Deutschland zu leiten?
Die Leiterin des Jüdischen Museums Frankfurt, Mirjam Wenzel, aufgenommen anlässlich ihrer Vorstellung am 11.09.2015 m Kulturamt in Frankfurt am Main
Mirjam Wenzel: Zionismus in "die historische Perspektive rücken" (picture-alliance / dpa / Andreas Arnold)
Mirjam Wenzel: Also, zunächst muss man sagen, dass Jüdische Museen eine ganz andere Entstehungsgeschichte nach der Shoah in Deutschland haben als andere Museen. Die meisten Jüdischen Museen sind nicht aus großen Sammlungen heraus erwachsen, die präsentiert werden müssen, sondern sie sind per se eigentlich politische Willensbekundungen. Nämlich die Willensbekundung, dass man das wieder sichtbar machen will, was hier einst war. Und das ist sozusagen das Deutsch-Jüdische Kulturerbe, und das gilt es zu bewahren und zu erforschen und das sichtbar zu machen. Und das ist unser aller Forschungsauftrag und das verbindet die kleinen mit den großen Museen. Eben weil die Museen nicht aus einer großen Sammlung heraus erwachsen sind.
Nachwirkungen des Holocaust
Mirjam Wenzel: Und weil wir alle mit Nachwirkungen des Holocaust zu tun haben, bewegen wir uns natürlich in einem hochsensiblen Feld. Diese Sensibilitäten haben ganz verschiedene Aspekte. Die beziehen sich auf der einen Seite auf das Verhältnis von nicht-jüdischen Deutschen zu jüdischen Deutschen heute. Die beziehen sich auf die Nachwirkungen des Holocaust, also auf den Umgang der nicht-jüdischen Deutschen mit ihrer postnationalsozialistischen Gesellschaft und deren Präsenz oder deren Nachwirkungen. Sie beziehen sich natürlich auch auf die Bedeutung, so würde ich das formulieren, die für Jüdinnen und Juden der Jüdische Staat Israel hat in ihrem Selbstverständnis heute. Und in diesem Feld liegen die größten Untiefen. Die liegen aber auch etwa im Umgang mit den Provenienzen der eigenen Sammlung, weil: Relativ viel der Sammlungen an Jüdischen Museen ist natürlich auch von den großen Raubzügen der Nationalsozialisten gezeichnet und auch damit gilt es, sensibel umzugehen, sprich mit der Frage: Was gehört überhaupt an Sammlungsgütern in ein Jüdisches Museum in Deutschland?
Bedeutung Israels für Juden heute
Köhler: Frau Wenzel, wie gehen Sie mit heiklen Themen um? Beispielsweise mit dem Thema Zionismus oder auch dem Thema Kritik an Israel?
Wenzel: Aus meiner Sicht ist Zionismus gar kein heikles Thema. Zionismus, historisch gesehen, ist eine Bewegung, die entstanden ist im 19. Jahrhundert in Reaktion auf das, was damals "Die Judenfrage" hieß, also in Reaktion auf den Antisemitismus. Genau so thematisieren wir im Jüdischen Museum in Frankfurt Zionismus: erst mal als eine Bewegung, die das Ziel hatte, eine sichere Heimstätte für Jüdinnen und Juden zu schaffen. Dieses Ziel war ursprünglich gar nicht darauf aus, einen eigenen Jüdischen Staat zu schaffen, das hat sich dann dorthin entwickelt. Und das ist sozusagen die historische Perspektive, in die man das rücken muss. Und in puncto Israel ist, glaube ich, die Aufgabe von Jüdischen Museen in Deutschland deutlich zu machen, welche Bedeutung Israel eigentlich für Jüdinnen und Juden heute hat. Als ein Ort des Rückzugs, als ein möglicher Fluchtort, wenn das hier alles wieder schief gehen sollte.
Die Öffentlichkeit gewinnen
Köhler: Frau Wenzel, wie frei sind Sie – oder anders gefragt – wie sehr sind Ihnen die Hände gebunden?
Wenzel: Das ist sehr unterschiedlich an den verschiedenen Jüdischen Museen. Das Jüdische Museum, das ich leite, ist ein Jüdisches Museum der Stadt Frankfurt, was als erstes Jüdisches kommunales Museum nach der Shoah wieder eröffnet wurde. Andere Jüdische Museen, etwa in München oder in Fürth, haben eine ähnliche Konstitution. Das Jüdische Museum in Berlin ist eine bundesunmittelbare Stiftung, also eine Bundeseinrichtung, das ist eine ganz andere Konstruktion. Da gibt es einen Stiftungsrat, von dem natürlich auch maßgeblich die politischen Setzungen ausgehen. In meinem Fall ist es so, dass ich Ideen für Ausstellungen entwickle, die bespreche ich mit der Kulturdezernentin und dann muss ich vor allen Dingen gewinnen, und zwar die Öffentlichkeit, natürlich die Journalisten, ich muss auch Geldgeber dafür gewinnen. Und das ist dann meine Hauptaufgabe. Und ich muss natürlich einschätzen können: was ist die Relevanz eines Themas? Wie politisch ist ein Thema? Was tue ich, wenn ich als Leiterin eines Jüdischen Museums heute mit eben diesem Thema an die Öffentlichkeit gehe?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.