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Jüdischer Blogger
"Es gibt eine gewisse Erwartungshaltung gegenüber jüdischen Personen, die in der Öffentlichkeit auftreten"

Ist das jüdische Museum jüdisch genug? Wie prüft eine Gemeinde, ob ihr Vorsitzender wirklich Jude ist? Der Blogger Chaijm Guski greift solche Themen auf - auch um die Erwartung, wie Juden zu sein haben, zu konterkarieren.

Chajm Guski im Gespräch mit Christiane Florin |
    Chajm Guski bloggt aus jüdischer Perspektive.
    Chajm Guski bloggt aus jüdischer Perspektive (Chajm Guski )
    Christiane Florin: Das jüdische Museum Berlin muss sich gerade fragen lassen, wie das Attribut "jüdisch" gemeint ist: Ob es Geschichtsmuseum, Religions- oder Heimatmuseum ist, ob es Mahnmal oder Debattenzentrum oder beides sein will, und wer das definiert. Abseits der Metropole, in Pinneberg, ist ein Mann Vorsitzender der jüdischen Gemeinde, den das Nachrichten-Magazin "Der Spiegel" als - Zitat - "gefühlten Juden" betitelt hat, weil es begründete Zweifel an seiner Jüdischkeit gibt.
    In Dortmund ist uns nun Chajm Guski zugeschaltet. Er analysiert und kommentiert solche Ereignisse in seinem Blog "Sprachkasse" aus jüdischer Perspektive, so nennt er es selbst. Guten Morgen, Herr Guski!
    Chajm Guski: Guten Morgen!
    Florin: Wenn Sie sagen: jüdische Perspektive. Was ist das?
    Guski: Die jüdische Perspektive – würde ich aus meiner Sicht sagen – das ist, dass ich bewusst eine jüdische Position einnehme. Das heißt, dass ich als Jude auf Ereignisse reagiere oder die aus einer Sicht desjenigen schildere, der jüdisch lebt in Deutschland und das bewusst zum Thema macht und das ständig reflektiert in dem Blog. Natürlich nicht auf der Straße, sondern ausschließlich in dem Blog, dass ich sage, was passiert so im Judentum, was würde ich selber gern über das Judentum lesen in Deutschland, und das versuche ich dann auch im Blog darzustellen und aus den verschiedenen Perspektiven, die es gibt, dann zu beleuchten.
    "Judentum wird im Museum dokumentiert, nicht gestaltet"
    Florin: Nehmen wir das erwähnte Beispiel "Jüdisches Museum Berlin", worüber wird da Ihrer Ansicht nach eigentlich gestritten?
    Guski: Ich denke, es gibt verschiedene Erwartungshaltungen dem Museum gegenüber, wenn ich das richtig verstanden habe in der Diskussion. Es ist den einen Leuten nicht jüdisch genug, den anderen Leuten passt das Programm nicht, oder das Programm repräsentiert Menschen, die man da wohl lieber nicht sehen würde. Da stellt sich natürlich die Frage, was ist ein jüdisches Museum in Deutschland heute.
    Florin: Und was wäre denn jüdisch genug?
    Guski: Das ist halt die Frage: Darf ich diese Erwartungshaltung an ein jüdisches Museum stellen – insbesondere in Berlin. Das ist ja keine Einrichtung der jüdischen Gemeinde, sondern ich glaube, das wurde bei der Einrichtung ein Nationalmuseum genannt. Und es dokumentiert im Grunde genommen Judentum, es gestaltet nicht. Und da würde ich genau den Schnittpunkt ziehen, wenn wir davon reden, dass jemand Judentum gestaltet und Jüdisch-Sein gestaltet, dann kann man sagen, das ist jüdisch, und das andere ist die Dokumentation dessen, was jüdisch ist.
    Florin: Also zum Anschauen für ein nicht-jüdisches Publikum?
    Guski: Zum Anschauen für ein nicht-jüdisches Publikum, es kann natürlich auch zum Anschauen für das jüdische Publikum sein, das wissen will, wie ist die Geschichte der Juden in diesem Land, wie ist die Geschichte der Juden in diesem Land, das heute Deutschland ist und früher ein anderes Territorium war – so würde ich das vielleicht trennen wollen. Und ich glaube nicht, dass das Jüdische Museum eine gestaltende Einrichtung ist. Das sieht man ja auch an dem Stiftungsrat. Ich glaube, da sind acht Mitglieder drin, davon sind sieben nicht-jüdisch. Es ist, glaube ich, eine Person, die den Zentralrat repräsentiert, alle anderen sind meines Erachtens nach Nicht-Juden. Interessanterweise sind es sieben Männer und eine Frau. Das ist ja auch ein interessantes Verhältnis.
    Fenster und Tür zur Welt
    Florin: Sie leben in Gelsenkirchen.
    Guski: Richtig.
    Florin: Wir Journalisten berichten meistens über jüdisches Leben in den Metropolen. Was ist abseits der Metropole anders?
    Guski: Abseits der Metropole ist anders, dass wir viel kleinere Gemeinden hier haben und natürlich nicht so viel Gestaltungsspielraum wie in Berlin. Also ich kann im Ruhrgebiet nicht sagen, wenn mir die eine Synagoge nicht passt, dann gehe ich halt vier Straßen weiter in die andere, sondern es gibt hier ein überschaubares jüdisches Leben. Ich meine, es existiert, aber es ist sehr viel überschaubarer als in Frankfurt oder Berlin, aber das ist der Vorteil davon gewesen, dass man gesagt hat, jetzt gibt es das Internet, und ich kann mich vernetzen mit anderen Leuten und ich kann darüber berichten, was meine Lebenswelt ist und das aktiv gestalten, und das Praktische ist, es ist nicht nur ein Fenster in die Welt, sondern ich habe eine Tür, ich kann mit den Leuten auch sprechen und kann meine eigene Perspektive einbringen und die vielleicht auch zu Gehör bringen. Und das die Leute in Berlin auch sehen: Es gibt noch andere Diskussionen, die vielleicht auch wichtig sind.
    Florin: Wer ist Ihr Publikum, wer ist Ihre Leserschaft des Blogs?
    Guski: Ich denke, das sind viele jüdische Leute, die sich aktiv irgendwie interessieren fürs Judentum – also passiv erreiche ich die Leute natürlich nicht, ich erreiche alle Leute, die sich aktiv dafür interessieren –, aber es gibt auch ein nicht-jüdisches Publikum, das sich für die jüdische Perspektive interessiert und dafür, wie kommunizieren jüdische Leute zu jüdischen Leuten, weil die Perspektive ja nochmal ungefilterter ist. Das ist ja kein Spiegel dessen, was Nicht-Juden erwarten, sondern ich versuche schon, die Perspektive so einzunehmen, dass ich zu jüdischen Leuten kommuniziere wie sie untereinander kommunizieren.
    "Hier wird mit einem Vorurteil gespielt"
    Florin: Haben Sie das Gefühl, im Namen von irgendwem sprechen zu müssen?
    Guski: Das Gefühl habe ich überhaupt nicht. Also ich versuche das auch immer wieder zu reflektieren, dass ich ausschließlich meine eigene Sichtweise darstelle und versuche, andere mit einzubeziehen und zu zeigen, es gibt mehr als eine Sichtweise auf Dinge …
    Florin: Mehr als eine jüdische Sichtweise?
    Guski: Mehr als eine jüdische Sichtweise, das sowieso, und ich versuche das auch zu zeigen aktiv und zu sagen, es gibt nicht die eine jüdische Sichtweise, das ist ausgeschlossen.
    Florin: Ihr jüngster Blog-Eintrag befasst sich mit dem Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Pinneberg – ich habe das kurz in der Anmoderation erwähnt –, und in der "Spiegel"-Geschichte über ihn steht ein Satz, über den ich beim Lesen gestolpert bin und Sie auch. Und dieser Satz heißt, Zitat: "Wer sich einmal hinter den Schutzschild einer vermeintlich jüdischen Identität flüchten kann, darf damit rechnen, unangreifbar zu sein." Zitat Ende. Wie verstehen Sie einen solchen Satz?
    Guski: Also ich verstehe den Satz wahrscheinlich so, wie er auch gemeint ist, dass es vielleicht Leute gibt, die meinen, wenn man ein Jude in Deutschland ist, eine Jüdin in Deutschland ist, wenn man diese Perspektive aktiv einnimmt, dann wäre man unangreifbar und ist nicht angreifbar für jegliche Kritik, und die kann einem nichts anhaben. Das ist eine Perspektive, die halte ich für schwierig.
    Florin: Welchen Unterschied macht es, ob ein jüdischer Journalist einen solchen Satz schreibt oder ein nicht-jüdischer?
    Guski: Ich würde da auch nochmal differenzieren, weil der Mensch, der das für den "Spiegel" geschrieben hat, auch einen jüdischen Hintergrund hat, soweit ich weiß. Schreibt er das für ein jüdisches Publikum oder für ein nicht-jüdisches Publikum? Da wäre ich auch vorsichtig. Um das noch einmal zu differenzieren: Weil ich weiß, dass das anders verstanden wird innerhalb einer jüdischen Zuhörerschaft, dass sie vielleicht wissen: Aha, hier wird mit einem Vorurteil gespielt, und wir reflektieren das nochmal anders als ein nicht-jüdisches Publikum, das das vielleicht eins zu eins liest. Das halte ich für extrem …
    Florin: Sehen Sie es als ein Spiel mit einem Vorurteil? Da wird doch ein Vorurteil einfach reproduziert?
    Guski: Im "Spiegel" muss man damit rechnen, dass es reproduziert wird, weil es ja für ein Publikum ist, das diesen Hintergrund der Reflexion nicht mitbringt, deshalb halte ich es da für einen eins-zu- eins-Satz. Möglicherweise soll er aber auch nur ausdrücken, dass Seibert – also die Person, die sich da als jüdischer Nachfahre von Holocaust-Opfern ausgegeben hat – damit gerechnet hat, dass es so ist und dass er vielleicht gemocht wird, weil er eine Person sein könnte, die man nicht kritisiert. Aber das hätte man vielleicht auch so schreiben müssen, ja.
    "Ein Buch, das von der Shoah handelt, muss ich nicht automatisch besprechen"
    Florin: Was sagt denn dieser Fall – die Einzelheiten sind ja noch gar nicht alle geprüft – über die Erwartungen der nicht-jüdischen Mehrheit an Funktionsträger jüdischer Gemeinden aus?
    Guski: Ich würde sagen, das geht ja generell um die Erwartungshaltung. Also was erwartet die nicht-jüdische Gesellschaft von Juden. Das kann man jetzt auch nicht verallgemeinern, aber man kann sagen, dass eine gewissen Erwartungshaltung besteht jüdischen Personen gegenüber, die in der Öffentlichkeit auftreten. Da wird manchmal – ja, vielleicht nicht manchmal, sondern sehr häufig – erwartet, dass sie das Thema Antisemitismus bedienen, das Thema Shoah auf jeden Fall – also Holocaust – bedienen, und vielleicht auch das Thema Israel so ein bisschen mit bedienen.
    Florin: Spüren Sie solche Erwartungen auch?
    Guski: Ich spüre die nur dann, wenn mich Leute anschreiben und schreiben, hier ist aber wenig zu Antisemitismus und ist wenig zu Holocaust …
    Florin: In Ihrem Blog?
    Guski: Ja. Oder wenn mich Leute anschreiben und sagen, hier, wir haben ein Buch herausgebracht, das ist eine Geschichte über den Holocaust, besprecht das mal. Und ich sag, nein, mach ich nicht, weil das nichts mit meiner Lebenswelt zu tun hat. Das Buch handelt von der Shoah, aber das bedeutet nicht, dass ich es automatisch besprechen muss, denn ich habe ein aktives jüdisches Blog, und das ist nicht mein Hauptthema.
    Der Bagel des Anstoßes
    Florin: Was ist denn das große Erregerthema in der Blogger-Szene, in der Sie sich bewegen?
    Guski: Was das größte jüdische Thema ist, was aus den USA, glaube ich, rüber geschwappt ist, ist das sind im Moment die Bagel-Emojis, die Apple auf den Markt gebracht hat beziehungsweise dieses Konsortium, das sich um die Emojis kümmert. Ich glaube, das ist das überraschendste jüdische Thema. Die haben Bagels rausgebracht, die den Leuten nicht gepasst haben. Dann gab es einen Skandal in den USA, und viele jüdische Leute haben auch gesagt, nein, so könnt ihr Bagels nicht darstellen, da fehlt ja irgendwie der Frischkäse drauf. Wir wollen Frischkäse auf den Bagels. Und soweit ich weiß, gibt es das jetzt seit ein paar Wochen.
    Florin: Und was erregt daran so?
    Guski: Es ist einfach die Darstellung, und ich würde jetzt nicht sagen, dass es eine Erregung ist, aber es ist einfach für mich eine witzige Perspektive, zu sehen, dass das ein Thema ist, dass die Leute tatsächlich dazu bringt, sich aktiv zu irgendwas zu äußern. Es ist das jüdische Symbol: ein Bagel. Der ist religiös nicht so vorbelastet, aber er steht für eine gewisse Tradition innerhalb des Judentums. Essen ist immer eine gute Sache, über die man sich unterhalten kann. Deshalb hat es die Leute schon bewegt, was ich bemerkenswert fand und auch ein bisschen witzig.
    Florin: Ja, finde ich auch bemerkenswert: Ein Bagel-Emoji als das Erregerthema. Mit Chaim Guski, einem Blogger aus Gelsenkirchen, habe ich über die jüdische oder eine jüdische Perspektive gesprochen. Vielen Dank für das Gespräch!
    Guski: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.