Juden und Christen hätten gemeinsame Werte. Zugleich gebe es im Judentum wie in allen Religionen die "Gefahr, dass nationale, nationalistische, rechtsextreme Positionen religiös begründet werden". Dagegen sollten Synagogen und Kirchen ihre "eigentlichen Werte" nach außen verteidigen. "Wenn sie in der Erziehung nicht mehr vorkommen, fehlt etwas in der Gesellschaft - zum Beispiel Empathie."
"Ein Erbe, das dieses Europa prägt"
Den Akzeptanz-Verlust der Kirchen bezeichnete er als "absolute Katastrophe". Eine Kirche, eine Kapelle oder ein Kreuz auf einem Berg "gehört für mich dazu", so Ginzel. "Auch wenn es für mich als Jude vor allem ein kulturelles Erbe ist - es ist ein Erbe, das dieses Europa prägt."
Ginzel rechnet damit, dass auch die jüdischen Gemeinden in Deutschland aus demographischen Gründen schrumpfen werden. Für den jüdischen Publizisten kein Grund zur Sorge: Nicht die Mitgliederzahl sei entscheidend, sondern das Engagement. "Eine kleine Gemeinde mit einem engagierten Zirkel schafft unendlich viel, was eine Gemeinde mit ein paar hundert Leuten nicht zustande bringt", so Ginzel.
Religion bietet Gemeinschaft
Ob sich im Judentum in Deutschland derzeit eher eine Säkularisierung oder eine Resakralisierung vollziehe, darüber würden die meisten Jüdinnen und Juden überhaupt nicht nachdenken, vermutet der Publizist, der sich in einer liberalen jüdischen Gemeinde in Köln engagiert. So würden auch Juden, die nicht an Gott glauben, wegen der Gemeinschaft Synagogen besuchen. Zudem sei die Situation in einer Minderheit anders als in der Mehrheitsgesellschaft. Die Selbstvergewisserung spiele eine wichtige Rolle, sagte Ginzel: "Man geht auch in die Synagoge, um zu begreifen, man ist nicht vereinzelt."
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