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Jüdisches Leben in Deutschland
"Es ist richtig über Antisemitismus zu sprechen"

Jüdisches Leben sei nirgendwo eine Selbstverständlichkeit, sagte die Autorin Deborah Feldmann im Dlf. Deutschland bilde da keine Ausnahme. Dennoch fühle sie sich als Person mit jüdischer Herkunft in Berlin sehr wohl. Allerdings beobachte sie, dass es schwierig sei, unbefangen in Austausch zu treten.

Deborah Feldman im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Deborah Feldman bei der Pressekonferenz zur Verleihung der Women of the Year 2017 Awards im Grand Hotel.
    "Ich führe ein ganz normales berlinerisches Leben", sagt die in New York geborene Schriftstellerin Deborah Feldman (dpa / picture alliance / Geisler-Fotopress)
    Sarah Zerback: In den 20er-Jahren lebten mehr als 173.000 Juden allein in Berlin. Es gab mehr als 100 Synagogen. Heute sind es nur noch elf und die etwa 100.000 Mitglieder jüdischer Gemeinden verteilen sich über ganz Deutschland, auch wenn es die meisten nach Berlin zieht und dort auch zahlreiche Jüdinnen und Juden leben, die nicht Mitglied einer Gemeinde sind.
    Eine davon ist die Schriftstellerin Deborah Feldman, weltbekannt geworden mit ihrem autobiographischen Debüt-Roman "Unorthodox", in dem sie erzählt, wie sie in der streng gläubigen, ultraorthodoxen Gemeinde der Satmara in New York aufwächst und schließlich ausbricht. Seit vier Jahren lebt sie in der deutschen Hauptstadt und sie begrüße ich jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!
    Deborah Feldman: Guten Morgen, Frau Zerback.
    Zerback: Eingeladen hatten wir Sie ja zum Thema jüdisches Leben in Berlin im Jahr 2018. Da konnten Sie erst mal gar nicht so viel mit anfangen. Warum nicht?
    Feldman: Ja, weil ich erst mal gedacht habe, es gibt ja nicht so viel, das mein Leben besonders als jüdisch auszeichnet, weil ich das Gefühl habe, ich führe ein ganz normales berlinerisches Leben. Dann haben wir angefangen, im Vorgespräch ein bisschen darüber zu quatschen, warum ich so überzeugt bin, dass es nichts besonders Jüdisches an mir gibt, und dann haben wir festgestellt, dass vielleicht das interessanter ist als zu sagen, das jüdische Leben blüht wieder auf.
    Eher geht es darum, dass ich als Person mit jüdischer Herkunft mich hier sehr wohl fühle, und ich habe dann auch freiwillig gewählt, hier herzukommen, wie viele, viele andere. Gleichzeitig blicke ich zurück auf das Land, woher ich gekommen bin, weil gerade jüdische Menschen in einer Synagoge beim Gebet erschossen wurden, und das ist natürlich an so einem Tag von hieraus unglaublich traurig und bedeutsam, so ein Ereignis überhaupt zu überlegen.
    "In Berlin fühlt man sich frei"
    Zerback: Bevor wir vielleicht gleich noch den Blick in die USA wagen, in Ihre alte Heimat, lassen Sie uns ganz kurz in Deutschland bleiben. Warum Berlin? Sie haben ja inzwischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen. Fühlen Sie sich tatsächlich deutsch?
    Feldman: Ich habe ja deutsche Vorfahren, zumindest Vorfahren, die sich als deutsch wahrgenommen haben. Die europäische Geschichte, mit der ich mich identifiziere, nämlich die Geschichte der Aufklärung und wie überhaupt Juden sich aus den Städten in Osteuropa befreit haben und nach Berlin gekommen sind, um frei zu denken und frei zu schreiben und zu sprechen, mit der Geschichte identifiziere ich mich und diese Geschichte verbinde ich vor allem mit Berlin und deshalb fühle ich mich wie eine Berlinerin, weil ich glaube, ich habe diese Reise, diese Pilgerreise auch gemacht.
    Aber ich bin bestimmt in Berlin aus dem Grund, wofür viele hier hergekommen sind, vielleicht die alltäglichen Gründe, nämlich in Berlin fühlt man sich frei, in Berlin gibt es noch die lebendige Kunst, in Berlin trifft man auf Menschen aus überall, die vielleicht interessante bis sogar faszinierende Geschichten hinter sich haben. Man hat das Gefühl, als Mensch ohne Heimat, als Mensch ohne Wurzeln, als Mensch, der vielleicht nie wieder zurückgehen kann, woher er kommt, kann man hier doch irgendwie sich zuhause fühlen, was in anderen Großstädten heutzutage wirklich nicht mehr möglich ist.
    "Jüdisches Leben ist nirgendwo eine Selbstverständlichkeit"
    Zerback: Das klingt wahnsinnig positiv bei Ihnen. Auf der anderen Seite hören wir ja immer wieder auch von Vorfällen, von Antisemitismus gerade in Berlin. Besorgt Sie das?
    Feldman: Das ist schwierig. Ich denke, auf jeden Fall ist das so, dass in den Medien sehr viel darüber geredet wird. Es kommt immer wieder so, dass es neue Geschichten zu diskutieren gibt. Auf jeden Fall habe ich bemerkt, dass es hier in Deutschland jüdisch zu sein bedeutet, teilweise sich mit diesen Geschichten sehr zu identifizieren und sich sehr darüber zu sorgen, was für mich neu ist, weil es in meiner alten Heimat nicht so war.
    Andererseits: Ich im Alltag, natürlich habe ich ab und zu mal Antisemitismus erlebt, aber sehr vereinzelt. Für mich ist das nicht neu im Vergleich zu anderen Ländern, wo ich war, wo ich auch Antisemitismus erlebt habe. Insofern habe ich nie das Gefühl gehabt, Deutschland ist da besonders. Aber klar: Jüdisches Leben ist nirgendwo eine Selbstverständlichkeit, war es auch nicht, wird es auch wohl nicht sein, weil das Leben einer Minderheit ist nie eine Selbstverständlichkeit.
    Andererseits ist es so, dass ich hier viele jüdische Freunde habe und viele nichtjüdische Freunde, und ich finde, ich bin ständig im Austausch, und ich finde, dass ich auf sehr konstruktive Arten und Weisen gestoßen bin, wie ich überhaupt mit Antisemitismus umgehen kann. Ich habe vor allem von anderen gelernt und ich habe auch aus den Fehlern von anderen gelernt, und auf jeden Fall habe ich gelernt, dass es richtig ist, darüber zu sprechen, Austausch zu suchen, und das habe ich bisher gemacht und das hat für mich geklappt.
    Ich glaube, was ich beobachtet habe in Deutschland ist, dass es sehr schwierig ist, diesen unbefangenen Austausch wirklich zu suchen. Vor allem ist es sehr schwierig, das Gespräch mit Empathie zu führen, beidseitig, und das beobachte ich als Amerikanerin und das ist für mich natürlich etwas befremdlich.
    Ich veranstalte zufällig morgen im Berliner Ensemble so einen Austausch, so einen unbefangenen Austausch mit Freunden und Bekannten. Der Eintritt ist übrigens auch kostenlos. Wer mal vorbeikommen möchte, kann mit mir auch unbefangen sich austauschen. Das ist mein Ziel.
    "Man versucht die Gedanken an Antisemitismus so fern zu halten wie möglich"
    Zerback: Unbefangenheit habe ich jetzt ganz oft herausgehört. Es ist Ihnen wichtig zu zeigen, dass es jüdisches Leben auch jenseits von Antisemitismus gibt. Verstehe ich das richtig?
    Feldman: Ja! Ich sehe auch überhaupt das Konzept vom jüdischen Leben gar nicht im Rahmen des Antisemitismus, weil Antisemitismus ist eigentlich außerhalb des jüdischen Lebens, will vielleicht hineindringen, aber eigentlich ist das so, dass meine Freunde, die sich hier jüdisch fühlen, die ein jüdisches Leben führen, entsprechend ihrer Interpretation, die führen das unabhängig von Antisemitismus.
    Man versucht natürlich, überhaupt die Gedanken an Antisemitismus so fern zu halten wie möglich, damit man im Alltag vielleicht ein relativ glückliches Leben führen kann, und die meisten Menschen in meinem Leben tun das auch sehr erfolgreich.
    "Der Antisemitismus in Amerika ist bisher der Aufmerksamkeit entkommen"
    Zerback: Sie haben gerade den Anschlag Ende Oktober in Pittsburgh in einer Synagoge angesprochen. Das ist ja der schlimmste antisemitische Anschlag in der US-Geschichte. Was heizt denn dieses vergiftete Klima im Land an, was jetzt immer wieder als Grund dafür angeführt wird?
    Feldman: Was ich da gerne erklären würde ist: Im Vergleich zu Deutschland war Antisemitismus bisher wirklich kein Thema in der Öffentlichkeit in Amerika. Das bedeutet aber nicht, dass es Antisemitismus nicht gab. Es gab ihn immer und ich habe es auch erlebt in Amerika, vor allem außerhalb der Blasen in New York und in San Franzisco. Aber das war unter den vielen Rassismen vielleicht eher nebensächlich. Ich erinnere mich zum Beispiel: Ich habe ein Lieblings-Fernsehprogramm in Amerika immer gehabt. Das hieß "The Colbert Report". Das gibt es nicht mehr. Das war so wie die "Heute-Show", ein bisschen lustig und politisch. Da hat der Gastgeber, der Comedian mal einen Witz gemacht, und zwar wollte er einen Witz über die Finanzwelt machen und hat dafür den CEO von Goldman Sachs hervorgehoben als Beispiel, als Repräsentanten für diese Welt, und hat dann behauptet, dieser einzelne Mann unter so vielen anderen Männern in der Finanzwelt, die vielleicht nicht jüdisch sind, dieser einzelne Mann hält die ganze Welt wie eine Marionette in der Hand, und es gab null Reaktionen darauf in den Medien.
    Niemand hat darauf aufmerksam gemacht, dass vielleicht dieser Witz extrem antisemitisch war. Das war ja auch von einem linksliberalen Comedian gemacht. Für mich als Jüdin damals – ich erinnere mich, wie ich dieses Programm geguckt habe; ich habe dieses Programm auch so gemocht -, das hat mich so zutiefst getroffen. Aber was mich vor allem getroffen hat war diese absolute Abwesenheit einer Reaktion.
    Seit ich in Deutschland bin merke ich, dass jede winzige Aussage hier einen Aufschrei als Reaktion erntet. Das ist so ein harter Kontrast. Und ich hoffe, dass ich damit auch erklärt habe, warum dieser Antisemitismus in Amerika bisher der Aufmerksamkeit entkommen ist und warum so eine Attacke, na ja, so ein schlimmes Erlebnis überhaupt als Überraschung in Amerika dienen kann. Aber ich glaube, für viele Juden, die in Amerika aufgewachsen sind und die in Amerika leben, ist es vielleicht nicht so überraschend, weil wir doch im Alltag merken, dass es latent eigentlich überall ist, wie es halt so die Natur der Menschheit ist.
    Zerback: … sagt Deborah Feldman, die US-amerikanische Schriftstellerin, mittlerweile mit deutscher Staatsbürgerschaft. Mit ihr habe ich sprechen können an diesem 9. November. Besten Dank für das Gespräch, Frau Feldman, und viele Grüße nach Berlin.