Es ist eine Rückkehr in die Stadt ihrer Jugend. Mit 16 Jahren verließ Mirjam Wenzel Frankfurt am Main Richtung München und später Berlin, wo die promovierte Literaturwissenschaftlerin bis zuletzt die Medienabteilung des dortigen jüdischen Museums leitete. Direktorin in Frankfurt zu werden, ist aber nicht nur wegen ihrer persönlichen Bezüge zur Mainmetropole eine besondere Herausforderung für die 42-Jährige:
"Thematisch: Das jüdische Museum in Frankfurt ist das erste Museum im Nachkriegsdeutschland seiner Art. Und jüdische Geschichte in Frankfurt ist eine ganz besondere, weil hier wirklich jüdische Geschichte geschrieben wurde. Und zwar von herausragenden Persönlichkeiten wie Dan Diner, Micha Brumlik, Salomon Korn, Cilly Kugelmann. Wirklich intellektuellen Persönlichkeiten, die öffentlich in Erscheinung getreten sind und sich eingemischt haben – politisch. Stellung bezogen haben und tatsächlich so was geprägt haben wie ein Wieder-Entstehen von jüdischem Leben in Deutschland."
Dritter Standort wird das Internet werden
An insgesamt drei Standorten kann Mirjam Wenzel künftig das reichhaltige jüdische Leben der Frankfurter Stadtgeschichte präsentieren. Zum einen im Jüdischen Museum am Untermainkai, für das vor Kurzem ein großer Erweiterungsbau beschlossen wurde, der bis 2018 errichtet werden soll. Am zweiten Standort Judengasse wird bereits am März 2016 eine neue Dauerausstellung zu sehen sein. Der dritte wichtige Museumsstandort ist für Mirjam Wenzel das Internet:
"Dieser Standort, der ist Online, das heißt, der ist überall zugänglich. Für jeden. International, weit über die Region Rhein-Main hinaus. Und dabei geht es darum, auf der einen Seite sichtbarer zu machen die Sammlungen dieses Museums. Denn das Museum hat in Teilen herausragende Sammlungen, insbesondere, was Zeremonial-Objekte angeht, aber auch was bildende Kunst angeht, mit Oppenheim oder Meidner. Es geht also um Zugänglichkeit, es geht aber auch darum - und das unterscheidet ein kulturhistorisches Museum wie das Jüdische Museum etwa vom Städel – es geht auch darum, Storytelling-Formate zu entwickeln."
So könne man nicht etwa einfach Abbildungen eines Chanuka-Leuchters online stellen und davon ausgehen, dass die Besucher der Website etwas damit anfangen könnten, so Mirjam Wenzel. Zugänge zu solchen Gegenständen sollten narrativ sein, besonderes Augenmerk liegt dabei künftig auf dem Verhältnis der Internetpräsentation zur physischen Ausstellung von Objekten in den Räumen.
Familiengeschichten aufarbeiten
Familiengeschichten wie die der gebürtigen Frankfurterin Anne Frank werden bei dieser Verknüpfung der verschiedenen Ebenen eine besondere Rolle spielen, betont Mirjam Wenzel:
"Jüdische Museen in Deutschland sind maßgeblich geprägt durch ihre Familiensammlungen. Und so auch dasjenige in Frankfurt. Und es ist ein großes Geschenk, dass der Anne-Frank-Fonds entschieden hat, die Familiensammlung der Franks hier in der Stadt Frankfurt wieder zu verorten, der Forschung und Öffentlichkeit zugänglich machen."
Das Internet soll für Mirjam Wenzel aber auch ein Weg sein, Dokumente über bedeutende Frankfurter, die an anderen Orten aufbewahrt werden, in den Kontext der Stadtgeschichte zu stellen. Sie nennt als Beispiel der Nachlass Siegfried Kracauers, der im Deutschen Literaturarchiv in Marbach aufbewahrt wird, während die Papiere seines Freundes Adorno am Main zu finden ist.
Wenzel will mit ihrer Onlinestrategie auch den Zugang zu Orten und Objekten erleichtern, die aus verschiedenen Gründen schwer zugänglich sind: Etwa der Lagerraum auf dem heutigen Gelände der Europäischen Zentralbank, in dem die Nazis die Frankfurter Juden zum Abtransport in die Vernichtungslager zusammentrieben. Dieser Gedenkort ist heute aus Sicherheitsgründen stark abgeschirmt - das Internet soll da helfen:
"Und zwar gerade an Stellen wie in der EZB aus Sicherheitsgründen, häufig sind es restauratorische Gründe, warum man nicht zugänglich machen kann. Manchmal sind es auch noch andere Bedenken provenienzgeschichtlicher Art. Diese ganzen Fragen der Zugänglichkeit stellen sich im Onlinebereich neu, insbesondere durch die Rechtssituation, die kompliziert ist. Aber nichtsdestotrotz gibt es diese Aufforderung. Der muss man nachkommen und dann muss man jeweils spezielle Lösungen finden."
Wenzel freut sich auf aktive Bürgerschaft
Mirjam Wenzel stellt sich darauf ein, dass in Frankfurt am Main die Suche nach neuen Ausstellungskonzepten von der wachen und engagierten Bürgerschaft viel intensiver begleitet wird als in anderen Städten – etwa in Berlin. Doch das schreckt sie nicht – im Gegenteil:
"Ich finde das ganz fantastisch für mich. Ich komme hier her und ich merke, es gibt wirklich sehr viele Bürger, die stolz darauf sind, dass sie dieses Museum haben. Und die ein Interesse daran haben, dieses Museum aufrecht zu erhalten und zu unterstützen. Mir ist das in Berlin nicht in dem Maße begegnet. Wobei man natürlich sagen muss, ich komme von dem Bundesmuseum. Das heißt, das ist auch ein anderer Auftrag. Ob man den Auftrag der Meta-Narration, der Hauptgeschichtsschreibung hat oder ob man wie hier wie hier dann doch einen Auftrag, der konkreter mit dem Ort verbunden ist, verfolgt."