Joachim Kardinal Meisner: "Wenn mich der Heilige Vater gefragt hätte, ich hätte glatt nein gesagt. Er hat mich nicht gefragt. Und wenn er so was tut, das kommt auch nicht spontan, sondern das wird sehr, sehr überlegt sein, vor Gott überlegt sein, durchbetet sein – aber ich kann es trotzdem nicht verstehen."
Christiane Kaess: Der Kölner Kardinal Joachim Meisner – eine der Reaktionen gestern auf die völlig überraschende Ankündigung Papst Benedikt XVI., zurückzutreten. Bei Joachim Meisner war diese verbunden mit dem Wunsch nach einem jüngeren Papst als Nachfolger von Benedikt XVI.. Dabei betonte Meisner auch, es müsse ein Mann von ähnlich hoher Bildung wie Joseph Ratzinger, mit großer menschlicher Erfahrung und vor allem von vitaler Gesundheit sein, nicht älter als 70, würde er sagen.
- Zugeschaltet ist uns jetzt Stefan Vesper, Generalsekretär des Zentralkomitees deutscher Katholiken. Guten Morgen!
Stefan Vesper: Guten Morgen!
Kaess: Herr Vesper, ein Paukenschlag war das gestern, die Rücktrittsankündigung von Benedikt XVI., sie kam völlig überraschend. Haben Sie Verständnis für den Rückzug?
Vesper: Ja, ich war zunächst einmal genau so überrascht wie alle anderen, wie alle Vatikanisti, wie alle klugen Leute zusammen, keiner hat das gewusst. Und ich habe Verständnis, mein erstes Gefühl war ein tiefer Respekt, aber auch eine Dankbarkeit für das Wirken von Papst Benedikt – tiefer Respekt vor allem für diese Entscheidung, zu spüren, die Kräfte lassen nach. Und dann daraus eine Konsequenz zu ziehen, die ja nun weltweite Bedeutung hat und für die Kirche auch von ganz großer Bedeutung ist.
Kaess: Auf der einen Seite war es überraschend, auf der anderen Seite hatte er ja in seinem Interviewbuch mit dem Publizisten Peter Seewald gesagt, wenn ein Papst zur klaren Erkenntnis kommt, dass er physisch, psychisch und geistig den Auftrag seines Amtes nicht mehr bewältigen kann, dann hat er ein Recht und unter Umständen auch eine Pflicht, zurückzutreten. Hat also Joseph Ratzinger sein Amt schon länger als Last empfunden?
Vesper: Persönlich mag das sein, aber er hat es natürlich voll ausgefüllt. Aber sie zitieren einen ganz wichtigen Satz, der vielleicht auch das Historische dieser Entscheidung noch einmal deutlich macht. Dieser Papst, dem man oft vorgeworfen hat, er agiere eher zögerlich, hat hier gezeigt, welche Souveränität er hat. Und er hat ja miterlebt, wie der große Papst Johannes Paul II. in einer langen Zeit des Leidens, ja, die Kirche nicht mehr richtig führen konnte. Wo dann andere, die gar kein Mandat dafür haben, indirekt die Kirche leiten. Und er wollte der Kirche eine solche möglicherweise lange Phase des Fehlens, des Vakuums auch einer Leitungsfigur, die dafür auch beauftragt ist, ersparen. Das wollte er sich ersparen, wollte er der Kirche ersparen und vielleicht auch der Welt ersparen.
Kaess: Da sprechen Sie den Vorgänger an, aber in welchem Licht erscheint es denn dann, dass eben sein Vorgänger Johannes Paul II. bis zu seinem Tode blieb, obwohl er sichtlich geschwächt und krank war?
Vesper: Nein, das darf man, glaube ich, jetzt sozusagen von Ex-Post, also von dem Geschehen nachher nicht das Vorherige entwerten. Das war natürlich auch etwas, was ein großes Zeichen war. Aber dieses Leiden durchzustehen, wir haben es ja alle gesehen, wie dann der Papst gestorben war, was das weltweit für eine bewegende Trauer losgelöst hat. Jetzt, bei Benedikt, ist es so, dass vielleicht eine neue Zeit anbricht. Ich glaube, es gibt einen Modernisierungsschub, ich glaube, dass auch durch das Verhalten und durch diese Entscheidung des Papstes künftige Päpste früher sagen werden, ich trete zurück, wenn ich meine Kraft nicht mehr spüre. Das ist wahrscheinlich eine kirchengeschichtliche und welthistorische Zäsur, die wir gerade erleben.
Kaess: Herr Vesper, was hat Benedikt XVI. für Sie persönlich bedeutet?
Vesper: Ich habe ihn ja mehrfach gesehen, mehrfach bin ich ihm begegnet. Als ich junger Generalsekretär des ZEK war, habe ich einen Antrittsbesuch beim damaligen Kardinal Ratzinger gemacht. Und natürlich haben wir viele Begegnungen gehabt seitens des Präsidiums des Zentralkomitees oder die jeweiligen Präsidenten. Für mich war er natürlich eine herausragende Persönlichkeit – ich finde es jetzt zu früh, sein Pontifikat zu bewerten. Es ist alles erst noch nicht mal 24 Stunden alt, und das Pontifikat dauert ja noch an. Wer weiß, was noch vor uns liegt, aber ich glaube, es ist ein herausragender Mensch, dem wir zu großer Dankbarkeit verpflichtet sind.
Kaess: Dann schauen wir nach vorne: Die Initiative "Wir sind Kirche" kritisiert, Papst Benedikt sei zwar ein guter Theologe gewesen, aber eine schwache Führungspersönlichkeit. Braucht die katholische Kirche wieder ein Oberhaupt, das in diesem Bereich bessere Fähigkeiten hat?
Vesper: Ich glaube, dass mit solchen Bezeichnungen der Papst nicht richtig getroffen ist. Man muss immer, auch als katholischer Christ in Deutschland, sehen, dass es hier sich um eine Weltpersönlichkeit handelt. Und so sehr und gerne ich für die Katholiken und die Laien in Deutschland mich engagiere, so sehr muss ich sagen: Lasst uns immer auch unsere eigenen Überlegungen relativieren angesichts der Ideen und Vorschläge der Menschen in Lateinamerika, angesichts der Ideen und Vorschläge der Menschen in Asien, in Afrika oder in anderen Kontinenten.
Kaess: Aber der kritische Blick von hier aus darf ja trotzdem erlaubt sein.
Vesper: Der darf sein. Und wir werden unsere Anliegen auch ganz konsequent weiter verfolgen. Wir haben in Deutschland einen Dialogprozess im Moment, wo wir auch sperrige, auch schwierige Themen und auch Themen, die in Rom zu entscheiden sind, vom Nachfolger von Papst Benedikt, die wir weiter vertreten werden, das ist ganz klar. Aber man muss das alles auch immer mit einer gewissen Demut auch anschauen als Christen und Katholiken in einem Land, die in einer weltweiten Gemeinschaft sind, das ist mir sehr wichtig.
Kaess: Sie sprechen von sperrigen Themen, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat ja in der Zeit von Papst Benedikt XVI. einige Meinungsverschiedenheiten mit Rom ausgetragen, zum Beispiel um die Schwangerenkonfliktberatung. Was wünschen Sie sich denn von einem Nachfolger in Bezug auf diese Streitpunkte?
Vesper: Der nachfolgende Papst wird sich ganz neu und genau so wie Benedikt, aber in einer neuen biografischen Situation am Konzil orientieren, am Aggiornamento. Er wird der Aufgabe des Konzils folgen, die Zeichen der Zeit im Lichte des Glaubens zu deuten. Und da werden sicherlich die einen oder anderen Streitpunkte wieder neu aufkommen, wieder neu beraten werden. Für uns ist auch ein technisches Thema wichtig, ein regierungstechnisches Thema: Der Papst hat immer mit den einzelnen Kardinälen gesprochen, er hat nicht – wie ein alter Vorschlag des ZEK-Präsidenten Hans Meyer lautete – ein Kabinett um sich geschart, das er regelmäßig zu Beratungen zusammengerufen hat, wie das jeder Regierungschef, jeder Bundeskanzler, jeder Länderregierungschef bei uns und auch in Europa in anderen Ländern tut. Dass man mehr miteinander redet, dass man mehr voneinander weiß, dass der Papst nicht als einzelner Mensch solche Entscheidungen fällen muss, sondern dass er sich gut beraten lässt, damit die schwierigen Themen unserer Kirche in einer guten Weise gelöst werden, soweit das möglich ist.
Kaess: Das heißt, Herr Vesper, realistisch gesehen, auch mit einem Nachfolger wird sich wahrscheinlich wenig ändern in diesen Konfliktpunkten.
Vesper: Nein, das genaue Gegenteil wollte ich sagen. Ich glaube, dass der nächste Papst die Zeichen der Zeit erkennen muss, dass vielleicht einige Themen, die dieser Papst nicht aufgreifen konnte oder aufgreifen wollte, aufgegriffen werden, dass jedenfalls die Kirche in eine neue Phase ihrer Zeit geht und dadurch sich auch wandelt. Das ist ja ganz wichtig, das die Kirche immer bereit ist, sich zu wandeln.
Kaess: Dazu bräuchte es jemanden, der weniger dogmatisch ist.
Vesper: Nein, jeder Papst muss die Dogmen und die Lehrmeinungen der Kirche anerkennen. Und es ging ja nie um Konflikte über Lehrmeinungen, sondern um die Frage, wie man hier zum Beispiel das Leben schützt in unserem Land, wie man sich für Frieden und Gerechtigkeit engagiert. Da gibt es eine breite Palette von Möglichkeiten, und da gibt es manchmal auch Spannungen zwischen verschiedenen Kontinenten, zwischen verschiedenen Ländern. Und hier wird ein neuer Papst neu ansetzen müssen.
Kaess: Sie sagen, eine breite Palette von Möglichkeiten, was sind die dringendsten Baustellen?
Vesper: Ich finde es sehr wichtig, dass das Charisma der Frauen in unserer Kirche stärker zur Geltung kommt. Frauen leisten einen ganz großen Teil an diakonischer Arbeit, Frauen tragen die Kirchen ganz maßgeblich mit. Und das bildet sich nicht ab, wenn Sie in den Gottesdienst schauen, auf den Altar schauen, das bildet sich nicht ab in den Ämtern, in vielen Ämtern unserer Kirche. Und da muss es eine Weiterentwicklung geben.
Kaess: Und glauben Sie, diese Weiterentwicklung wäre mit einem jüngeren Papst eher wahrscheinlich?
Vesper: Ja, das glaube ich, weil ein Jüngerer die Zeichen der Zeit aus seiner Perspektive neu sieht. Wie jung der ist, das muss man noch mal sehen. Und im Übrigen muss man mit Respekt auch die letzte Phase der Amtszeit von Benedikt betrachten und noch nicht allzu viel über Nachfolger spekulieren.
Kaess: Stefan Vesper, Generalsekretär des Zentralkomitees deutscher Katholiken. Danke für das Gespräch heute Morgen!
Vesper: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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- Zugeschaltet ist uns jetzt Stefan Vesper, Generalsekretär des Zentralkomitees deutscher Katholiken. Guten Morgen!
Stefan Vesper: Guten Morgen!
Kaess: Herr Vesper, ein Paukenschlag war das gestern, die Rücktrittsankündigung von Benedikt XVI., sie kam völlig überraschend. Haben Sie Verständnis für den Rückzug?
Vesper: Ja, ich war zunächst einmal genau so überrascht wie alle anderen, wie alle Vatikanisti, wie alle klugen Leute zusammen, keiner hat das gewusst. Und ich habe Verständnis, mein erstes Gefühl war ein tiefer Respekt, aber auch eine Dankbarkeit für das Wirken von Papst Benedikt – tiefer Respekt vor allem für diese Entscheidung, zu spüren, die Kräfte lassen nach. Und dann daraus eine Konsequenz zu ziehen, die ja nun weltweite Bedeutung hat und für die Kirche auch von ganz großer Bedeutung ist.
Kaess: Auf der einen Seite war es überraschend, auf der anderen Seite hatte er ja in seinem Interviewbuch mit dem Publizisten Peter Seewald gesagt, wenn ein Papst zur klaren Erkenntnis kommt, dass er physisch, psychisch und geistig den Auftrag seines Amtes nicht mehr bewältigen kann, dann hat er ein Recht und unter Umständen auch eine Pflicht, zurückzutreten. Hat also Joseph Ratzinger sein Amt schon länger als Last empfunden?
Vesper: Persönlich mag das sein, aber er hat es natürlich voll ausgefüllt. Aber sie zitieren einen ganz wichtigen Satz, der vielleicht auch das Historische dieser Entscheidung noch einmal deutlich macht. Dieser Papst, dem man oft vorgeworfen hat, er agiere eher zögerlich, hat hier gezeigt, welche Souveränität er hat. Und er hat ja miterlebt, wie der große Papst Johannes Paul II. in einer langen Zeit des Leidens, ja, die Kirche nicht mehr richtig führen konnte. Wo dann andere, die gar kein Mandat dafür haben, indirekt die Kirche leiten. Und er wollte der Kirche eine solche möglicherweise lange Phase des Fehlens, des Vakuums auch einer Leitungsfigur, die dafür auch beauftragt ist, ersparen. Das wollte er sich ersparen, wollte er der Kirche ersparen und vielleicht auch der Welt ersparen.
Kaess: Da sprechen Sie den Vorgänger an, aber in welchem Licht erscheint es denn dann, dass eben sein Vorgänger Johannes Paul II. bis zu seinem Tode blieb, obwohl er sichtlich geschwächt und krank war?
Vesper: Nein, das darf man, glaube ich, jetzt sozusagen von Ex-Post, also von dem Geschehen nachher nicht das Vorherige entwerten. Das war natürlich auch etwas, was ein großes Zeichen war. Aber dieses Leiden durchzustehen, wir haben es ja alle gesehen, wie dann der Papst gestorben war, was das weltweit für eine bewegende Trauer losgelöst hat. Jetzt, bei Benedikt, ist es so, dass vielleicht eine neue Zeit anbricht. Ich glaube, es gibt einen Modernisierungsschub, ich glaube, dass auch durch das Verhalten und durch diese Entscheidung des Papstes künftige Päpste früher sagen werden, ich trete zurück, wenn ich meine Kraft nicht mehr spüre. Das ist wahrscheinlich eine kirchengeschichtliche und welthistorische Zäsur, die wir gerade erleben.
Kaess: Herr Vesper, was hat Benedikt XVI. für Sie persönlich bedeutet?
Vesper: Ich habe ihn ja mehrfach gesehen, mehrfach bin ich ihm begegnet. Als ich junger Generalsekretär des ZEK war, habe ich einen Antrittsbesuch beim damaligen Kardinal Ratzinger gemacht. Und natürlich haben wir viele Begegnungen gehabt seitens des Präsidiums des Zentralkomitees oder die jeweiligen Präsidenten. Für mich war er natürlich eine herausragende Persönlichkeit – ich finde es jetzt zu früh, sein Pontifikat zu bewerten. Es ist alles erst noch nicht mal 24 Stunden alt, und das Pontifikat dauert ja noch an. Wer weiß, was noch vor uns liegt, aber ich glaube, es ist ein herausragender Mensch, dem wir zu großer Dankbarkeit verpflichtet sind.
Kaess: Dann schauen wir nach vorne: Die Initiative "Wir sind Kirche" kritisiert, Papst Benedikt sei zwar ein guter Theologe gewesen, aber eine schwache Führungspersönlichkeit. Braucht die katholische Kirche wieder ein Oberhaupt, das in diesem Bereich bessere Fähigkeiten hat?
Vesper: Ich glaube, dass mit solchen Bezeichnungen der Papst nicht richtig getroffen ist. Man muss immer, auch als katholischer Christ in Deutschland, sehen, dass es hier sich um eine Weltpersönlichkeit handelt. Und so sehr und gerne ich für die Katholiken und die Laien in Deutschland mich engagiere, so sehr muss ich sagen: Lasst uns immer auch unsere eigenen Überlegungen relativieren angesichts der Ideen und Vorschläge der Menschen in Lateinamerika, angesichts der Ideen und Vorschläge der Menschen in Asien, in Afrika oder in anderen Kontinenten.
Kaess: Aber der kritische Blick von hier aus darf ja trotzdem erlaubt sein.
Vesper: Der darf sein. Und wir werden unsere Anliegen auch ganz konsequent weiter verfolgen. Wir haben in Deutschland einen Dialogprozess im Moment, wo wir auch sperrige, auch schwierige Themen und auch Themen, die in Rom zu entscheiden sind, vom Nachfolger von Papst Benedikt, die wir weiter vertreten werden, das ist ganz klar. Aber man muss das alles auch immer mit einer gewissen Demut auch anschauen als Christen und Katholiken in einem Land, die in einer weltweiten Gemeinschaft sind, das ist mir sehr wichtig.
Kaess: Sie sprechen von sperrigen Themen, das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat ja in der Zeit von Papst Benedikt XVI. einige Meinungsverschiedenheiten mit Rom ausgetragen, zum Beispiel um die Schwangerenkonfliktberatung. Was wünschen Sie sich denn von einem Nachfolger in Bezug auf diese Streitpunkte?
Vesper: Der nachfolgende Papst wird sich ganz neu und genau so wie Benedikt, aber in einer neuen biografischen Situation am Konzil orientieren, am Aggiornamento. Er wird der Aufgabe des Konzils folgen, die Zeichen der Zeit im Lichte des Glaubens zu deuten. Und da werden sicherlich die einen oder anderen Streitpunkte wieder neu aufkommen, wieder neu beraten werden. Für uns ist auch ein technisches Thema wichtig, ein regierungstechnisches Thema: Der Papst hat immer mit den einzelnen Kardinälen gesprochen, er hat nicht – wie ein alter Vorschlag des ZEK-Präsidenten Hans Meyer lautete – ein Kabinett um sich geschart, das er regelmäßig zu Beratungen zusammengerufen hat, wie das jeder Regierungschef, jeder Bundeskanzler, jeder Länderregierungschef bei uns und auch in Europa in anderen Ländern tut. Dass man mehr miteinander redet, dass man mehr voneinander weiß, dass der Papst nicht als einzelner Mensch solche Entscheidungen fällen muss, sondern dass er sich gut beraten lässt, damit die schwierigen Themen unserer Kirche in einer guten Weise gelöst werden, soweit das möglich ist.
Kaess: Das heißt, Herr Vesper, realistisch gesehen, auch mit einem Nachfolger wird sich wahrscheinlich wenig ändern in diesen Konfliktpunkten.
Vesper: Nein, das genaue Gegenteil wollte ich sagen. Ich glaube, dass der nächste Papst die Zeichen der Zeit erkennen muss, dass vielleicht einige Themen, die dieser Papst nicht aufgreifen konnte oder aufgreifen wollte, aufgegriffen werden, dass jedenfalls die Kirche in eine neue Phase ihrer Zeit geht und dadurch sich auch wandelt. Das ist ja ganz wichtig, das die Kirche immer bereit ist, sich zu wandeln.
Kaess: Dazu bräuchte es jemanden, der weniger dogmatisch ist.
Vesper: Nein, jeder Papst muss die Dogmen und die Lehrmeinungen der Kirche anerkennen. Und es ging ja nie um Konflikte über Lehrmeinungen, sondern um die Frage, wie man hier zum Beispiel das Leben schützt in unserem Land, wie man sich für Frieden und Gerechtigkeit engagiert. Da gibt es eine breite Palette von Möglichkeiten, und da gibt es manchmal auch Spannungen zwischen verschiedenen Kontinenten, zwischen verschiedenen Ländern. Und hier wird ein neuer Papst neu ansetzen müssen.
Kaess: Sie sagen, eine breite Palette von Möglichkeiten, was sind die dringendsten Baustellen?
Vesper: Ich finde es sehr wichtig, dass das Charisma der Frauen in unserer Kirche stärker zur Geltung kommt. Frauen leisten einen ganz großen Teil an diakonischer Arbeit, Frauen tragen die Kirchen ganz maßgeblich mit. Und das bildet sich nicht ab, wenn Sie in den Gottesdienst schauen, auf den Altar schauen, das bildet sich nicht ab in den Ämtern, in vielen Ämtern unserer Kirche. Und da muss es eine Weiterentwicklung geben.
Kaess: Und glauben Sie, diese Weiterentwicklung wäre mit einem jüngeren Papst eher wahrscheinlich?
Vesper: Ja, das glaube ich, weil ein Jüngerer die Zeichen der Zeit aus seiner Perspektive neu sieht. Wie jung der ist, das muss man noch mal sehen. Und im Übrigen muss man mit Respekt auch die letzte Phase der Amtszeit von Benedikt betrachten und noch nicht allzu viel über Nachfolger spekulieren.
Kaess: Stefan Vesper, Generalsekretär des Zentralkomitees deutscher Katholiken. Danke für das Gespräch heute Morgen!
Vesper: Bitte schön!
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