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Jürgen Chrobog
"Tillerson lässt nichts Gutes erwarten"

Die Entscheidung des designierten US-Präsidenten Donald Trump, den Konzernchef Rex Tillerson zum Außenminister zu machen, stößt in Deutschland auf Kritik. Der frühere deutsche Botschafter in den USA, Jürgen Chrobog, sagte im DLF, diese Wahl lasse nichts Gutes erwarten - außer für Russland.

Jürgen Chrobog im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker |
    Chrobog sitzt im Studio und deutet mit dem Finger nach vorne. Er trägt eine Brille.
    Jürgen Chrobog, hier bei der ARD-Talksendung "Anne Will". (Karlheinz Schindler / dpa)
    Wenn man sich Trumps geplantes Kabinett ansehe, dann werde es einem "gruselig", erklärte Chrobog. Neben der Entscheidung für den Vorstandsvorsitzenden Rex Tillerson als Außenminister kritisierte er auch die Auswahl des künftigen Sicherheitsberaters, Michael Flynn. Beide Personalien ließen "nichts Gutes erwarten".
    Chrobog bezog sich unter anderem auf die engen Geschäftsbeziehungen Tillersons mit Russland. Dies werde politische Auswirkungen haben: "Unter Präsident Trump wird es sehr leicht werden für Russland, seine Wünsche und Interessen durchzusetzen." Chrobog befürchtet, dass Amerika und der Westen in künftigen Auseinandersetzungen zu häufig nachgeben werden.
    Kritik auch von den Grünen
    Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir forderte den US-Senat unterdessen auf, der Ernennung Tillersons nicht zuzustimmen. Die Senatoren sollten sich mit ihrem Veto gegen einen radikalen Kurswechsel in der Außenpolitik aussprechen, sagte Özdemir dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
    Der designierte Präsident Trump verteidigte bei einem Auftritt im Bundesstaat Wisconsin seine Personalentscheidung und erklärte, die amerikanische Außenpolitik brauche eine neue Richtung.

    Ann-Kathrin Büüsker: Der Weltsicherheitsrat hat mit Blick auf Syrien bereits zahlreiche Dringlichkeitssitzungen hinter sich gebracht, zuletzt immer emotional und immer erfolglos. Denn Russland hält nun einmal seine Hand schützend über die syrische Regierung und macht damit Entscheidungen im Sicherheitsrat mit seinem Veto unmöglich. Da zählte es auch nicht, dass der UN-Sprecher für Menschenrechte gestern von mehr als 80 Fällen berichtete, in denen die Armee Zivilisten getötet hat.
    Wozu ist die internationale Diplomatie in diesen Zeiten noch fähig? Darüber möchte ich mit Jürgen Chrobog sprechen. Als deutscher Diplomat war er unter anderem mehrere Jahre als Botschafter in den USA. Guten Morgen, Herr Chrobog.
    Jürgen Chrobog: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Unser Korrespondent beschrieb es im Beitrag ja gerade als eine der dunkelsten Stunden für die Vereinten Nationen. Würden Sie dieser Einschätzung folgen?
    Chrobog: Natürlich. Dem ist gar nichts mehr hinzuzufügen. Es ist ein Verbrechen, was dort passiert in Syrien. Es ist unerträglich, dem beizuwohnen. Aber wir haben keine Chance, in irgendeiner Weise hier etwas zu tun als Westen, um das zu verhindern, was weiterhin auch noch dort passiert.
    Büüsker: Sie sagen, wir haben keine Chance. Könnten wir uns so eine Chance nicht irgendwie schaffen?
    Chrobog: Ja wie sollen wir es tun? Wir können ja militärisch nicht eingreifen. Wir können nur auf diplomatischem Wege weiter versuchen, Fortschritte zu erzielen. Das wird ja auch verzweifelt versucht von Außenminister Kerry zum Beispiel, aber auch von der deutschen Regierung. Alle bemühen sich auch in zahlreichen Gesprächen mit den Russen und mit allen umliegenden Staaten dort, Hilfe zu leisten. Aber wir haben keine Möglichkeit, dort direkt einzugreifen.
    "Der Sicherheitsrat versagt"
    Büüsker: Welche diplomatischen Werkzeuge hat man in so einer Situation? Kann man eigentlich nur bitten, oder was ist möglich?
    Chrobog: Ich fürchte, das ist der Fall. Der Sicherheitsrat, der zuständig wäre, der eine Lösung finden müsste, versagt. Er versagt, weil die Russen, aber auch die Chinesen immer ihr Veto einlegen. Dieses Veto ist nicht überwindbar. Man ist jetzt angewiesen auf ein Nachdenken auch in Russland, auch in Syrien letzten Endes, um die Dinge wieder unter Kontrolle zu kriegen. Aleppo ist gefallen, jetzt gibt es wieder mehr Spielraum natürlich. Die Russen haben den Konflikt ausgesessen und natürlich auch weiter vorangetrieben, aber sie haben das erreicht, was sie gewollt haben. Sie sind dort die eigentlichen Gewinner in der Region.
    Büüsker: Wir beobachten diese Pattsituation bei den Vereinten Nationen ja schon länger, dass gerade Russland und die USA sich immer wieder gegenseitig blockieren. Wie kommt man da wieder raus? Muss man das Instrument Weltsicherheitsrat vielleicht irgendwie reformieren?
    Chrobog: Natürlich müsste man ihn reformieren, den Sicherheitsrat. Aber man kann ihn nicht reformieren, weil ja teils auch eine Reformierung abhängig ist von der Zustimmung aller, im Sicherheitsrat vertretenen Parteien, vor allem der ständigen Sicherheitsratsmitglieder. Hier wird sich also nichts bewegen, hier ist nichts veränderbar. Man muss endlich wieder irgendwo in einen vernünftigen Gesprächskontakt kommen zwischen den Großmächten hier, zwischen den Amerikanern und den Russen, aber auch das sehe ich im Augenblick nicht als möglich an.
    Büüsker: Auch nicht unter dem möglichen neuen Präsidenten Donald Trump, der ja sagt, er möchte eine Normalisierung mit Russland erreichen?
    Chrobog: Das ist ja das eigentliche Problem. Wenn Sie sich das Kabinett von Trump ansehen, wie es in Zukunft aussehen wird, dann muss man wirklich sagen, dann wird es einem gruselig. Dieses Kabinett ist besetzt mit Milliardären, mit all denen, die er früher bekämpft hat im Wahlkampf, wo er immer Frau Clinton vorgeworfen hat, sie würde auf die falschen Kräfte in Amerika setzen, auf das Establishment. Und die Wahl des zukünftigen Außenministers Rex Tillerson, der der Chef von Exxonmobil für viele Jahrzehnte bereits ist, und auch des Sicherheitsberaters, der sehr einflussreich in Amerika ist, Michael Flynn, die beide eine außerordentliche Nähe zu Russland haben und auch zu Putin persönlich haben, lässt hier nichts Gutes erwarten. Und Putin ist völlig sicher, er kann die Sache aussitzen. Er wird sich nicht mehr bewegen, solange Obama noch Präsident ist. Er wartet ab, bis die Neuen dran sind, in der Hoffnung, dass die dann leichter zu handhaben sind, und ich weiß nicht, wie die Lage dann aussehen wird. Ich glaube, wenn ein Präsident Trump das Sagen haben wird und seine Sicherheitsberater und Außenminister, dann wird es sehr leicht werden für die Russen, auch ihre Grundsätze und ihre Wünsche durchzusetzen.
    "Putin will sich im Nahen Osten festsetzen"
    Büüsker: Aber, Herr Chrobog, wenn Tillerson so ein gutes Verhältnis zu Putin hat, dann ist doch eigentlich der Weg geebnet für Gespräche auf Augenhöhe.
    Chrobog: Das ist richtig, der Weg ist geebnet. Aber Putin hat seine Zielsetzung, er will sich festsetzen im Nahen Osten, er will seine Position halten und er wird nicht nachgeben. Ich fürchte, der Westen wird nachgeben, Amerika wird nachgeben, weil man so viel Nähe, auch freundschaftliche Beziehungen hat zu Putin. Insofern sind wir hier mehr auf der Verliererseite und ich kann mir vorstellen, dass die baltischen Staaten und die Ukraine sehr nervös sind im Augenblick über die weitere Entwicklung gerade auch im Verhältnis zu Russland.
    Büüsker: Also wäre das neue Verhältnis der USA zu Russland dann schon wieder zu viel Nähe, wenn ich Sie richtig verstehe?
    Chrobog: Eindeutig zu viel Nähe. Die Gefahr besteht zumindest. Ich weiß nicht, ob Rex Tillerson vielleicht doch sich anders verhalten wird. Er hat ja die Unterstützung auch der gemäßigten Republikaner wie des früheren Außenministers James Baker, der ihn vorgeschlagen hat. Aber vor allen Dingen kommt hier hinzu die Nähe zwischen Wirtschaft und Politik. Diese Verflechtung der Interessen von Exxonmobil, die ja nicht aufgegeben werden dadurch, dass der Tillerson jetzt Außenminister wird, und seine Beziehungen zu Russland und die Interessen, die damit auch verfolgt werden, halte ich für außerordentlich zweifelhaft.
    "An der Situation in Syrien sind wir alle mitschuldig"
    Büüsker: Machen sich die USA dann auch mitschuldig an dem, was Russland im Nahen Osten tut?
    Chrobog: Im Grunde sind wir alle mitschuldig daran, weil es uns nicht gelungen ist, auch in früheren Zeiten bereits Dinge anders zu handhaben in Syrien. Aber die Hauptschuld liegt natürlich im Augenblick bei Russland und bei Syrien.
    Büüsker: Aber was hätten Sie denn anders gemacht in Syrien?
    Chrobog: Man hätte wahrscheinlich früher eingreifen müssen, nicht militärisch, aber früher auch stärker den Widerstand stärken müssen zum Beginn. Aber das ist alles verschüttete Milch. Das ist heute nicht mehr zu revidieren. Und ich verstehe schon, dass die Amerikaner keine Militäreinsätze machen wollten. Sie waren gebrannte Kinder, was Afghanistan angeht, was den Irak angeht, und man wusste auch nie, wenn man die Aufständischen unterstützt, wer dann am Ende das Sagen haben wird. Dann hätte es wieder Massaker auf anderer Seite gegeben. Also ein fast unlösbares Problem.
    Büüsker: Was bedeutet das für die Zukunft des Nahen Ostens?
    Chrobog: Die Amerikaner müssten natürlich, sollten natürlich dort als Machtfaktor erhalten bleiben. Aber ich sehe nicht, dass der neue Präsident hier sehr viel Interesse haben wird. Er ist ein außenpolitischer Neuling, der keine Erfahrung hat, der gar nicht weiß, um was es geht. Wir wissen, dass Michael Flynn, sein Sicherheitsberater, ausgesprochen antiislamisches Verhalten an den Tag legt. Wir sehen, dass der Populismus auch gerade in diesen Bereich sehr stark durchschlägt in der neuen Regierung. Ich bin gespannt, wie es weitergeht. Aber wir müssen damit umgehen jetzt. Wir müssen auch mit [.... unverständlich] umgehen. Wir müssen jetzt Schritt für Schritt versuchen, mit ihnen weiterzukommen, und sehen, wie sich dann das Geschäft entwickelt. Manchmal lernt man ja auch als Präsident dazu. Ich hoffe, das ist hier auch der Fall.
    "Europa ist gespalten, auch im Hinblick auf Russland"
    Büüsker: Welche Wege sehen Sie denn dann für Europa bei einer möglichen neuen Achse Washington-Moskau?
    Chrobog: Europa muss sich selbst finden. Europa muss endlich aus diesem Status der völligen Selbstauflösung herauskommen. Wir brauchen wieder eine gute Zusammenarbeit in Europa. Aber Europa ist hier gespalten, auch im Hinblick auf Russland zum Beispiel. Die Polen sehr ablehnend, die Ungarn sehr auf Russland zugehend. Es gibt unterschiedliche Meinungen hier. Aber wir brauchen auf jeden Fall (und hoffentlich wird das auch bei den französischen Wahlen) passieren eine ganz gute deutsch-französische Achse wieder, um endlich die europäische Einigung in gewisser Weise voranzutreiben. Wir brauchen eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. Wir brauchen keine neuen Institutionen in Europa. Wir müssen das, was der Lissabon-Vertrag damals vorgesehen hat, umsetzen. Wir müssen eine Außen- und Sicherheitspolitik gemeinsam gestalten. Wir müssen uns gemeinsam mit der Grenzsicherung und mit den Flüchtlingsfragen abgeben. Gemeinsam. Wir brauchen einfach mehr Solidarität und Gemeinsamkeit in der Europäischen Union.
    Büüsker: Und halten Sie das derzeit für realistisch?
    Chrobog: Ich bin sehr zweifelhaft. Aber wir müssen sehen, wie es weitergeht, und die meisten europäischen Staaten glauben ja auch selbst, dass sie alleine nicht weiterkommen werden. Aber leider ist die Sache sehr brüchig geworden.
    Büüsker: Jürgen Chrobog, ehemaliger deutscher Diplomat, heute Morgen hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Chrobog.
    Chrobog: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.