"Der Irrsinn der Balkan-Kriege machte sich selbst auf dem Busbahnhof in München bemerkbar. Von dort fuhren damals regelmäßig Busse voller junger Männer an die verschiedenen Fronten. Die Kroaten fuhren nach Zagreb, die Serben nach Belgrad, die Bosniaken nach Sarajevo. Dort ließen sie sich einteilen, dann teilten sie aus und brachten sich gegenseitig um. Unter der Woche schraubte man Autos zusammen, stand am Fliessband oder servierte serbische Bohnensuppe im Jugoslawia-Grillrestaurant. Am Wochenende ließ man sich in einen miesen kleinen Krieg fahren. Auf der Rückfahrt nahmen die Busfahrer dann auf den frei gewordenen Plätzen Frauen und Kinder mit; Flüchtlinge, die Schutz vor den Schlachten in deutschen Asylbewerberheimen suchten."
Solche Geschichten zum Kriegstourismus konnte man während der Balkan-Kriege überall lesen. Wie in der hier zitierten Variante, die der Reportagensammlung "Die Signatur des Krieges" entnommen ist, die Claus Christian Malzahn, bei Matthes & Seitz herausgebracht hat, bleibt eine Söldnertruppe seltsam unterbelichtet. Dabei stellten die muslimischen Fundamentalisten, die aus dem Nahen und Mittleren Osten nach Bosnien und später in den Kosovo reisten, die professionellsten Killertruppen auf dem Balkan. "Wie der Dschihad nach Europa kam" ist ein Band überschrieben, in dem Jürgen Elsässer zusammengetragen hat, was er über "Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan" in Erfahrung bringen konnte. Ursula Rütten stellt das Buch vor.
Sind die Terroristen Wesen von außerhalb unserer Welt, gilt also die Formel: Muslime gleich Aliens? Sind sie nicht vielmehr auf dem Boden unserer Zivilisation herangewachsen? Vor allem: In welchem Verhältnis stehen diese unbegreiflichen Krieger zu unseren Dr. Frankensteins, die schon in der Vergangenheit so viele Monster gezüchtet haben, also zu den Geheimdiensten, insbesondere den US-amerikanischen? Der Leser wird die Antwort finden können, wenn er auf den folgenden Seiten die Hauptverdächtigen des 11. September dahin begleitet, wohin sie noch niemand begleitet hat. Niemand ist ihnen bisher in jenes "schwärzeste Afrika" gefolgt, das direkt vor unserer Haustür liegt. Dort, eine Flugstunde von München und Wien entfernt, [in Bosnien], wurden sie im Hass auf alle "Ungläubigen" geschult - und darin, sie zu töten.
Zugegeben, eine etwas reißerische Verheißung und schwer missverständlich dieses suggestive Bild vom "schwärzesten Afrika". Aber endlich hat ein Autor dieses "heiße Eisen" angepackt! Jürgen Elsässer beruft sich bei seiner Suche nach Spuren und Beweisen der islamistischen Infiltration in Europa und ihrer globalen Vernetzung auf US-Regierungs- und Parlamentsausschussberichte, amerikanische Publikationen einschlägiger prominenter Zeitzeugen, auf amerikanische, deutsche, serbische und bosnische Medien. Und immer wieder verweist er auch auf geheime Dossiers, die ihm natürlich anonym bleibende Agenten zur Verfügung gestellt hätten. Leider übermannt den Autor die Nostalgie, wenn er über das alte "Modell Jugoslawien" spricht und über die Komplexität seines Endes. Dann lässt er analytische Schärfe und Tiefgang vermissen. Aber sein Thema ist ja auch weit übergreifend und spektakulärer.
Als unsere Medien während des bosnisch-serbischen Krieges vor gut zehn Jahren ab und an Informationen über das dubiose Erstarken des islamischen Fundamentalismus in Bosnien streuten, wurde dieser Aspekt meist ignoriert oder gar weit von sich gewiesen. Wie bitte? Die verheerenden Massaker an Zivilisten auf Märkten von Sarajevo könnten auch vom bosnisch-muslimischen Widerstand mit Hilfe von Mudschaheddin verübt worden sein? Anstatt von den serbischen Aggressoren? Um Kapital aus der politischen Eskalation für die Muslime zu schlagen? Oder: ein Jahrzehnt später und weitaus brisanter: Amerikanische Geheimdienste, das Pentagon, die US-Regierung in Washington und ihr zuarbeitende private US-amerikanische Söldnerfirmen als Steigbügelhalter der islamistischen Terrorkräfte vom 11. September 2001? Exakt. Eben solche, hier zu Lande allenfalls als publizistische Fußnoten bekannt gewordene Informationen stehen im Mittelpunkt der Recherchen von Jürgen Elsässer über die verschlungenen Wege, die der Dschihad nach Europa nahm und damit der islamistische Terror seinen Anfang.
In der Tat liest sich dieses in über 20 Kapiteln aufgerollte wirre Knäuel von transnationalen politischen, klerikalen, militärischen und großkapitalistischen Verbandelungen zwischen Bosnien, bin Laden und Al Qaida, den USA und insbesondere Saudi-Arabien wie der Plot zu einem schlechten Hollywood-Agenten-B-Film. Aber dafür ist nicht der Autor, dafür sind die prominenten Protagonisten verantwortlich.
Der Inhalt in Stichworten: Das afghanische Bündnis zwischen den USA und den Mudschaheddin erlebt auf dem Balkan eine Neuauflage. Bosnien-Hercegovina bietet günstige Voraussetzungen für den Aufbau einer Dschihad-Front aufgrund seiner partiell profaschistischen Geschichte. Durch westlichen Einfluss wird nach Erlangung der Unabhängigkeit die gemäßigte Strömung der bosnischen Muslime ausgeschaltet. Förderer des Heiligen Krieges gelangen an die Macht. Wien wird Anfang der 90er Jahre Schaltstelle des Waffenschmuggels. 1993 erhält Osama bin Laden einen bosnischen Pass von der bosnischen Botschaft ebendort. Mit Geld und Kämpfern aus dem Nahen und Mittleren Osten, ebenfalls mit bosnischen Pässen ausgestattet, wird die bosnisch-muslimische Armee aufgebaut. Vor allem die Dschihadmigranten verüben unvorstellbare Gräueltaten, was Propagandavideos zur Ausbildung des Mudschaheddin-Nachwuchses belegen. Die US-Regierung unter Clinton unterläuft das Waffenembargo gegen Bosnien und ermöglicht Waffenlieferungen großen Ausmaßes an die bosnisch-muslimische Armee. Die wichtigste Rolle spielt dabei die private Pentagonvertragsfirma MPRI, die nach dem Friedensschluss von Dayton auch die Kontrolle über die bosnische Armee übernimmt. MPRI wirbt die fähigsten Mudschaheddin an, bildet sie in Albanien aus und schickt sie zur Unterstützung der UCK ins Kosovo und nach Makedonien. Ein Großteil dieser Aktivitäten wird finanziert aus saudisch-amerikanischem Spendensumpf über angeblich humanitärer Organisationen mit Niederlassungen zwischen Wien, Zagreb, Sarajevo, Prishtina und Tirana. Lange schon gibt es eine große Wanderungsbewegung von Dschihad-Kämpfern zwischen dem Balkan und Tschetschenien. Das sieht der Westen aber nicht als Gefahr, da die US-Öl-Lobby längst die russischen Energiereserven im Auge hat.
Nach der Lektüre des Buches ist der Kopf voll haarsträubender Details organisierter krimineller, brutaler Undercover-Weltpolitik, voller vor allem arabischer Namen – von Scheichs und Mullahs, von Bankern wie von Killern – in engem Schulterschluss mit der politischen und ökonomischen Oligarchie in den USA. Aber auch mit Namen von politisch gewieften und berechnenden Erbfolgern des verstorbenen bosnischen Muslimführers Izetbegovic. Von Repräsentanten des heutigen Bosnien, das - so die Spurensicherung Elsässers - als Vorposten des islamischen Fundamentalismus mitten im Herzen Europas durchaus und dringlich die kritische Aufmerksamkeit der Internationalen Gemeinschaft auf sich ziehen sollte.
Solche Eröffnungen gehen unter die Haut. Es ist das Verdienst Jürgen Elsässers, diese Fakten, das Ergebnis beinahe zehnjähriger journalistischer Recherche, in dieser nachvollziehbaren Buchform zusammengetragen zu haben. Eigentlich müsste dies international Schlagzeilen machen und Wogen der Empörung hoch schlagen lassen. Vor allem aber dazu stimulieren, unsere sakrosankten politischen Seilschaften und Tabus kritisch zu hinterfragen.
Ursula Rütten über: Jürgen Elsässer: Wie der Dschihad nach Europa kam
Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan. Der Band ist im Niederösterreichischen Pressehaus in St. Pölten, Wien und Linz erschienen. 246 Seiten, 19,90 Euro.
Solche Geschichten zum Kriegstourismus konnte man während der Balkan-Kriege überall lesen. Wie in der hier zitierten Variante, die der Reportagensammlung "Die Signatur des Krieges" entnommen ist, die Claus Christian Malzahn, bei Matthes & Seitz herausgebracht hat, bleibt eine Söldnertruppe seltsam unterbelichtet. Dabei stellten die muslimischen Fundamentalisten, die aus dem Nahen und Mittleren Osten nach Bosnien und später in den Kosovo reisten, die professionellsten Killertruppen auf dem Balkan. "Wie der Dschihad nach Europa kam" ist ein Band überschrieben, in dem Jürgen Elsässer zusammengetragen hat, was er über "Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan" in Erfahrung bringen konnte. Ursula Rütten stellt das Buch vor.
Sind die Terroristen Wesen von außerhalb unserer Welt, gilt also die Formel: Muslime gleich Aliens? Sind sie nicht vielmehr auf dem Boden unserer Zivilisation herangewachsen? Vor allem: In welchem Verhältnis stehen diese unbegreiflichen Krieger zu unseren Dr. Frankensteins, die schon in der Vergangenheit so viele Monster gezüchtet haben, also zu den Geheimdiensten, insbesondere den US-amerikanischen? Der Leser wird die Antwort finden können, wenn er auf den folgenden Seiten die Hauptverdächtigen des 11. September dahin begleitet, wohin sie noch niemand begleitet hat. Niemand ist ihnen bisher in jenes "schwärzeste Afrika" gefolgt, das direkt vor unserer Haustür liegt. Dort, eine Flugstunde von München und Wien entfernt, [in Bosnien], wurden sie im Hass auf alle "Ungläubigen" geschult - und darin, sie zu töten.
Zugegeben, eine etwas reißerische Verheißung und schwer missverständlich dieses suggestive Bild vom "schwärzesten Afrika". Aber endlich hat ein Autor dieses "heiße Eisen" angepackt! Jürgen Elsässer beruft sich bei seiner Suche nach Spuren und Beweisen der islamistischen Infiltration in Europa und ihrer globalen Vernetzung auf US-Regierungs- und Parlamentsausschussberichte, amerikanische Publikationen einschlägiger prominenter Zeitzeugen, auf amerikanische, deutsche, serbische und bosnische Medien. Und immer wieder verweist er auch auf geheime Dossiers, die ihm natürlich anonym bleibende Agenten zur Verfügung gestellt hätten. Leider übermannt den Autor die Nostalgie, wenn er über das alte "Modell Jugoslawien" spricht und über die Komplexität seines Endes. Dann lässt er analytische Schärfe und Tiefgang vermissen. Aber sein Thema ist ja auch weit übergreifend und spektakulärer.
Als unsere Medien während des bosnisch-serbischen Krieges vor gut zehn Jahren ab und an Informationen über das dubiose Erstarken des islamischen Fundamentalismus in Bosnien streuten, wurde dieser Aspekt meist ignoriert oder gar weit von sich gewiesen. Wie bitte? Die verheerenden Massaker an Zivilisten auf Märkten von Sarajevo könnten auch vom bosnisch-muslimischen Widerstand mit Hilfe von Mudschaheddin verübt worden sein? Anstatt von den serbischen Aggressoren? Um Kapital aus der politischen Eskalation für die Muslime zu schlagen? Oder: ein Jahrzehnt später und weitaus brisanter: Amerikanische Geheimdienste, das Pentagon, die US-Regierung in Washington und ihr zuarbeitende private US-amerikanische Söldnerfirmen als Steigbügelhalter der islamistischen Terrorkräfte vom 11. September 2001? Exakt. Eben solche, hier zu Lande allenfalls als publizistische Fußnoten bekannt gewordene Informationen stehen im Mittelpunkt der Recherchen von Jürgen Elsässer über die verschlungenen Wege, die der Dschihad nach Europa nahm und damit der islamistische Terror seinen Anfang.
In der Tat liest sich dieses in über 20 Kapiteln aufgerollte wirre Knäuel von transnationalen politischen, klerikalen, militärischen und großkapitalistischen Verbandelungen zwischen Bosnien, bin Laden und Al Qaida, den USA und insbesondere Saudi-Arabien wie der Plot zu einem schlechten Hollywood-Agenten-B-Film. Aber dafür ist nicht der Autor, dafür sind die prominenten Protagonisten verantwortlich.
Der Inhalt in Stichworten: Das afghanische Bündnis zwischen den USA und den Mudschaheddin erlebt auf dem Balkan eine Neuauflage. Bosnien-Hercegovina bietet günstige Voraussetzungen für den Aufbau einer Dschihad-Front aufgrund seiner partiell profaschistischen Geschichte. Durch westlichen Einfluss wird nach Erlangung der Unabhängigkeit die gemäßigte Strömung der bosnischen Muslime ausgeschaltet. Förderer des Heiligen Krieges gelangen an die Macht. Wien wird Anfang der 90er Jahre Schaltstelle des Waffenschmuggels. 1993 erhält Osama bin Laden einen bosnischen Pass von der bosnischen Botschaft ebendort. Mit Geld und Kämpfern aus dem Nahen und Mittleren Osten, ebenfalls mit bosnischen Pässen ausgestattet, wird die bosnisch-muslimische Armee aufgebaut. Vor allem die Dschihadmigranten verüben unvorstellbare Gräueltaten, was Propagandavideos zur Ausbildung des Mudschaheddin-Nachwuchses belegen. Die US-Regierung unter Clinton unterläuft das Waffenembargo gegen Bosnien und ermöglicht Waffenlieferungen großen Ausmaßes an die bosnisch-muslimische Armee. Die wichtigste Rolle spielt dabei die private Pentagonvertragsfirma MPRI, die nach dem Friedensschluss von Dayton auch die Kontrolle über die bosnische Armee übernimmt. MPRI wirbt die fähigsten Mudschaheddin an, bildet sie in Albanien aus und schickt sie zur Unterstützung der UCK ins Kosovo und nach Makedonien. Ein Großteil dieser Aktivitäten wird finanziert aus saudisch-amerikanischem Spendensumpf über angeblich humanitärer Organisationen mit Niederlassungen zwischen Wien, Zagreb, Sarajevo, Prishtina und Tirana. Lange schon gibt es eine große Wanderungsbewegung von Dschihad-Kämpfern zwischen dem Balkan und Tschetschenien. Das sieht der Westen aber nicht als Gefahr, da die US-Öl-Lobby längst die russischen Energiereserven im Auge hat.
Nach der Lektüre des Buches ist der Kopf voll haarsträubender Details organisierter krimineller, brutaler Undercover-Weltpolitik, voller vor allem arabischer Namen – von Scheichs und Mullahs, von Bankern wie von Killern – in engem Schulterschluss mit der politischen und ökonomischen Oligarchie in den USA. Aber auch mit Namen von politisch gewieften und berechnenden Erbfolgern des verstorbenen bosnischen Muslimführers Izetbegovic. Von Repräsentanten des heutigen Bosnien, das - so die Spurensicherung Elsässers - als Vorposten des islamischen Fundamentalismus mitten im Herzen Europas durchaus und dringlich die kritische Aufmerksamkeit der Internationalen Gemeinschaft auf sich ziehen sollte.
Solche Eröffnungen gehen unter die Haut. Es ist das Verdienst Jürgen Elsässers, diese Fakten, das Ergebnis beinahe zehnjähriger journalistischer Recherche, in dieser nachvollziehbaren Buchform zusammengetragen zu haben. Eigentlich müsste dies international Schlagzeilen machen und Wogen der Empörung hoch schlagen lassen. Vor allem aber dazu stimulieren, unsere sakrosankten politischen Seilschaften und Tabus kritisch zu hinterfragen.
Ursula Rütten über: Jürgen Elsässer: Wie der Dschihad nach Europa kam
Gotteskrieger und Geheimdienste auf dem Balkan. Der Band ist im Niederösterreichischen Pressehaus in St. Pölten, Wien und Linz erschienen. 246 Seiten, 19,90 Euro.