Dirk-Oliver Heckmann: Gestern erst hat Verkehrsminister Dobrindt ein Zulassungsverbot für eine Variante des Porsche Cayenne ausgesprochen und einen Rückruf angeordnet. Und darüber können wir jetzt sprechen mit Jürgen Trittin von Bündnis 90/Die Grünen, ehemaliger Bundesumweltminister, schönen guten Morgen, Herr Trittin!
Jürgen Trittin: Guten Morgen, Herr Heckmann!
Heckmann: Herr Trittin, schlägt Dobrindt jetzt eine härtere Gangart ein?
Trittin: Herr Dobrindt simuliert Tätigkeit. Der Entzug einer Betriebserlaubnis wäre in vielen anderen Fällen auch schon nötig und möglich gewesen. Dass er das jetzt macht, nachdem er sich fast eine Woche lang tot und stumm gestellt hat nach Bekanntwerden der Kartellvorwürfe, ist wohl nur dem Druck der Öffentlichkeit zuzuschreiben. Er tut das dann sehr ausgesucht an einem Produkt, was natürlich nur eine kleine Minderheit in diesem Lande fährt. Es ist im Übrigen so, dass damit die Befürchtung des Porsche-Betriebsrates Wahrheit geworden ist, dass jetzt Porsche für die Schummeleien in Audi-Motoren – um die handelt es sich ja – schlicht und ergreifend in Haftung genommen wird.
Heckmann: Das werden wir noch weiter beobachten in den nächsten Tagen und Wochen, was genau Ursache für was gewesen ist. Aber blicken wir mal gemeinsam auf das Urteil, das heute in Stuttgart zu erwarten ist! Was denken Sie, was kommt da heraus, was das Thema Fahrverbote angeht?
Trittin: Also, man muss ja immer vorsichtig sein, es heißt ja, vor Gericht und auf hoher See ist man in Gottes Hand. Ich weiß nicht, wie das Urteil ausfallen wird. Aber wenn man den Verlauf des Rechtsstreites sich anschaut, so hat die Landesregierung dort eine sehr schwierige Position. Sie hat versucht, das zu umgehen, was viele Diesel-Fahrer fürchten, nämlich Fahrverbote verhängen zu müssen. Darum geht es ja in diesem Streit. Hat aber auf der Frage der Nachrüstung wenig anzubieten gehabt, weil die Autoindustrie und weil Herr Dobrindt die Landesregierung an dieser Frage komplett hängen lassen haben. Wenn man tatsächlich dem Problem von Fahrverboten durch Nachrüstung nachkommen muss, dann wird es nicht ausreichen, nur ein bisschen an der Software herumzuprogrammieren. Sondern wir wissen heute, dass wahrscheinlich die Ursache dafür ist, dass an der Software gebastelt werden musste, dass man sich verabredet hatte, die Luftreinhaltungskapazitäten von Autos so kleinzuhalten, dass eben genau diese Werte nur noch auf dem Teststand, aber nicht im wirklichen Leben erreicht werden können. Und in Stuttgart steht nun das wirkliche Leben und nicht der Teststand vor Gericht.
"Fahrverbot wäre ein Weg"
Heckmann: Herr Trittin, wir sind ja beide keine Richter, trotzdem die Frage: Ich verstehe Sie richtig? Wenn Sie entscheiden würden, würden Sie heute entscheiden: Ja, es muss diese Fahrverbote in Stuttgart und dann auch in anderen Großstädten geben, und Sie würden damit gegen die grün geführte Landesregierung in Baden-Württemberg urteilen?
Trittin: Ich habe versucht zu beschreiben, was die Ausgangslage für die Richter ist. Und die Ausgangslage für die Richter ist: Es hat tatsächlich massive Überschreitungen gegeben, die Stuttgarter Luft entspricht nicht den Anforderungen, die man an eine saubere Luft in Stuttgart haben kann. Und jetzt geht es um die Frage: Wie ist diese zu erreichen? Und dann gibt es unterschiedliche Wege dahin. Ein Weg wäre eine Nachrüstung, ein anderer wäre als Not und aus der Not geboren ein entsprechendes Fahrverbot. Das, was an Nachrüstung von der Autoindustrie der Landesregierung an die Hand gegeben worden ist, das ist nichts weiter als ein Bekenntnis und eine Vermutung, aber es ist eben keine konkrete Maßnahme. Und es fehlt der konkrete Beweis, dass diese Fahrzeuge dann auch tatsächlich auf der Straße im Betrieb bei jeder durchschnittlichen Temperatur in diesem Lande – sommers wie winters – genau die Standards einhalten, die sie einhalten sollen.
Heckmann: Um es trotzdem noch mal ganz klar zu machen, Herr Trittin, damit es auch jeder versteht, auch ich: Also, Sie sagen, ja, Fahrverbote müssen als Mittel der Luftreinhaltung in den Städten möglich sein?
Trittin: Wenn andere Möglichkeiten nicht ausreichen. Natürlich ist das Allerbeste, Fahrzeuge zu haben, die diese Probleme nicht verursachen. Das könnten tatsächlich saubere Fahrzeuge sein, das könnten mehr Elektrofahrzeuge sein, aber es muss sich eben auf der Straße abspielen und nicht im Teststand.
"Autoindustrie glaubt, ohne an der Hardware zu schreiben, symbolisch darüber hinwegzukommen"
Heckmann: Das ist schon klar. Winfried Kretschmann, der grüne Ministerpräsident in Baden-Württemberg, hatte sich ja zunächst auch für Fahrverbote stark gemacht. Jetzt setzt er plötzlich auf Nachrüstung. Was halten Sie eigentlich davon, dass er eine derartige 180-Grad-Drehung vollzogen hat - zugunsten der Autoindustrie, wie seine Kritiker sagen?
Trittin: Man muss immer unterscheiden zwischen dem Ziel und dem Instrument. Und im Instrument gibt es übrigens zwischen der Deutschen Umwelthilfe und der Landesregierung überhaupt gar keinen Dissens. Auch die Deutsche Umwelthilfe plädiert dafür, dass alle Diesel, die in Deutschland auf die Straße kommen, so nachgerüstet werden, dass sie den Werten entsprechen. Das würde dann gegebenenfalls, wenn man in einen solchen Luftreinhalteplan überführt, auch Fahrverbote möglicherweise überflüssig machen. Der Kern des Konflikts liegt woanders. Der Kern liegt dort, dass die deutsche Autoindustrie glaubt, ohne an der Hardware zu schrauben, tatsächlich mit erneuten kleinen Manipulationen in der Motorsteuerung quasi symbolisch darüber hinwegzukommen. Und genau das wird nach meiner Einschätzung, wenn ich die Fragen der Richter in Stuttgart richtig verstanden habe, das Gericht nicht so einfach akzeptieren. Die erwarten tatsächliche Maßnahmen zur Einhaltung der Luft in Stuttgart, und ich finde, da hat das Gericht recht.
Heckmann: Die Deutsche Umwelthilfe wirft Winfried Kretschmann vor, komplett eingeknickt zu sein vor der Macht der Autoindustrie. Und da kann man ja eigentlich wenig dagegensetzen, oder?
"Am Ende muss die Autoindustrie immer klein beigeben"
Trittin: Ich bin ja nicht dafür zuständig, die Auseinandersetzung zwischen Prozessbeteiligten zu kommentieren.
Heckmann: Na ja, aber Sie können ja eine politische Entscheidung kommentieren.
Trittin: Ich habe aber eine bestimmte Erfahrung gemacht und diese Erfahrung zeigt eigentlich, dass die Autoindustrie immer verzweifelt versucht, bestimmte Dinge zu verhindern, aber sie schaffen es nie. Am Ende müssen sie immer klein beigeben. Nur, was sie schaffen, ist, dass sich die notwendigen Maßnahmen um Jahre hinauszögern. Das war so, als wir mit der Autoindustrie darüber gestritten haben, dass alte Autos zurückgenommen werden sollten; sie wollten das nicht 2003, also verschiebt sich das jetzt ab 2007. Das war so, als die Autoindustrie versucht hat, die Feinstaubbelastung in den Städten zu leugnen und den Einbau von Partikelfiltern zu verhindern. Auch dies ist ihr nur gelungen mit einer Verzögerung von zweieinhalb Jahren. Eine kluge, moderne Industriepolitik muss darauf setzen, das, was unvermeidlich kommt – und das wird so sein –, dass wir Diesel beenden werden, es wird so sein, dass es zu einem Ende des fossilen Verbrennungsmotors kommt. Da muss man gar nicht nach England oder in andere Länder, oder nach Norwegen schauen, sondern da muss man auf die entscheidenden Märkte der Welt, nach China und anderswo schauen. Und es wäre klug für die Industrie und die sie begleitende Politik, tatsächlich darauf zu setzen, das möglichst zu organisieren, was sowieso kommt, anstatt verzweifelt das Alte zu verteidigen. Also, die existierenden Diesel nachrüsten, die Diesel-Subventionierung schlicht und ergreifend endlich runterfahren und massiv zu investieren in Elektromobilität, das ist das Gebot der Stunde.
Heckmann: Wir halten fest, Sie sind zurückhaltend, was die Beurteilung des politischen Kurses von Winfried Kretschmann angeht, das halten wir jetzt an dieser Stelle einfach mal fest. Aber dann kommen wir mal zu der Verbindung zwischen Politik und Automobilindustrie! Die Umweltministerin Hendricks von der SPD wurde ja sehr deutlich gestern. Sie hat gesagt, die Autoindustrie sei ja sicherlich eine der wichtigsten Säulen der deutschen Volkswirtschaft und daher habe die Politik immer ein offenes Ohr für die Belange dieses Industriezweigs gehabt, aber, sagte sie: Ich glaube, es kann die Beurteilung nicht falsch sein, dass die Nähe zwischen Politik und Industrie in der Vergangenheit vielleicht doch zu groß war. Fühlen Sie sich da eigentlich angesprochen? Denn Sie waren ja zu rot-grünen Zeiten Umweltminister unter einem Kanzler Schröder, der sich Auto-Kanzler nannte.
"Viel zu große Nähe der Autoindustrie zu politischen Entscheidungsträgern"
Trittin: Ich habe ja bewusst die Beispiele genannt, wo es um die Auseinandersetzung geht: Sollen wir einen Partikelfilter einführen? Hier konnte man gerade als Umweltminister eine richtig schöne Lehrstunde erleben, wie auf der einen Seite die Unternehmen beim Wirtschaftsminister und beim Kanzler lobbyierten und auf der anderen Seite der Betriebsrat von Volkwagen und die IG-Metall beim Fraktionsvorsitzenden der SPD. Wie gesagt, geholfen hat das nicht. Sie haben das zwei Jahre blockieren können, dann haben wir uns mit der Geschichte durchgesetzt. Aber Frau Hendricks spricht natürlich etwas aus, was man in aller Deutlichkeit unterstreichen muss: Es gibt eine viel zu große Nähe der Autoindustrie zu politischen Entscheidungsträgern. Ich glaube, bis 2013, Herr Zetsche und Herr Winterkorn – ich weiß nicht, ob sich jemand noch an den erinnert, …
Heckmann: Ich glaube schon, ja.
Trittin: … ehemaliger VW-Chef, der mit den Koi-Karpfen –, hat ja einen Wettlauf darüber geleistet, wer am häufigsten im Kanzleramt bei der Bundeskanzlerin sprechen kann. Wir haben erlebt, wie 2013 die Bundeskanzlerin im Auftrag von BMW einen fertig ausgehandelten Kompromiss über Verbrauchsobergrenzen in Europa blockiert hat. Da hat selbst der Industriekommissar Oettinger davon gesprochen, das sei ein Beispiel von Lobbyismus, das hätte er noch nie erlebt an dieser Stelle. Das heißt, wir haben es mit einer massiven Verschränkung der Interessen von Politik und Automobilindustrie zu tun, man kann das daran sehen, dass der ehemalige Verkehrsminister Wissmann heute Chef des VDA ist und dass der ehemalige Kanzleramtsminister Eckart von Klaeden der Cheflobbyist von Daimler in Berlin heute ist. Also, diese Zone von politischer Einflussnahme, die muss dringend mal aufgeräumt werden.
"Genau das Kartell, was letztendlich zum Diesel-Skandal geführt hat"
Heckmann: Herr Trittin, ganz kurz, wir haben nicht mehr so viel Zeit! Es gibt ja diesen Verdacht, dass die Autoindustrie ein Kartell gebildet hat, da laufen die Untersuchungen noch. Und nicht jede Absprache ist ja schlecht oder auch illegal. Gehen Sie davon aus, dass es illegale Absprachen gegeben hat?
Trittin: Nachdem es angeblich ja Selbstanzeigen sowohl von Daimler wie VW gibt, muss man davon ausgehen. Und wenn es richtig ist, dass diese Absprachen unter anderem beinhaltet haben, die AdBlue-Behälter so kleinzuhalten, dass die Grenzwerte nicht erreicht werden können, dann ist das genau das Kartell, was letztendlich zum Diesel-Skandal geführt hat.
Heckmann: Der Linken-Politiker Klaus Ernst sagt, die Politik habe versagt bei der Kontrolle, das hat er bei uns im Deutschlandfunk gesagt. Ist das nicht eine wohlfeile Kritik? Denn wie soll man geheime Treffen kontrollieren?
Trittin: Das ist natürlich klar, dass hier ein Versage zu konstatieren ist, rückblickend. Aber die Wahrheit ist natürlich auch, dass beispielsweise man sich die Frage stellen muss: Wie kommt es, dass jemand in einem Aufsichtsrat von VW sitzt und nicht erfährt und vom Vorstand auch nicht unterrichtet wird darüber, dass man eine Selbstanzeige gemacht hat, weil man sich selber im Verdacht hat, an rechtswidrigen Absprachen im Rahmen eines Kartells beteiligt zu sein? Wo woran da eigentlich zum Beispiel die Betriebsräte der IG Metall, der ja Klaus Ernst auch angehört hat und die ebenfalls im Aufsichtsrat sitzt?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.