Dienstagabend im NICE. Der Club in Asmara, der Hauptstadt Eritreas, ist gut besucht. Die Gäste sitzen auf weißen Stühlen an ebenso weiß eingedeckten Tischen. Die Säulen, die Deckenbögen und die rosa Wandfarbe erinnern an ein kitschiges auf griechisch getrimmtes Restaurant. Das Publikum schaut zumeist schweigend auf die Bühne, wippt allenfalls zu den ohrenbetäubenden Rhythmen. Es läuft die Talentshow im NICE. 10 Sängerinnen und Sänger buhlen um die Gunst der Jury. Besitzer des Clubs ist Samuel Gebreselassie. Der 35-jährige moderiert den Abend...
Samuel erzählt ein paar Witze: Über die Schwiegermutter, über den trotteligen Nachbarn, usw. Alles ganz harmlos. Das Publikum amüsiert das. Die Liedchen der Kandidaten sind genauso arglos wie die Anekdoten von Samuel Gebreselassie.
Nur selten Kritik an Land und Politik
"Die Sänger singen über Liebe, über Spaß und so etwas. Es wird hier nicht das Land besungen, schon gar nicht die Politik. Das würde hier keiner machen aus Angst. Wir leben in diesem Land und besingen lieber die Liebe, die Freude und so."
Sorgen, Ängste oder gar Kritik am Regime sind tabu auf öffentlichen Bühnen. Kritisiert wird – wenn überhaupt – nur hinter vorgehaltener Hand.
Am nächsten Tag, ein Café im Zentrum von Asmara. Alle Tische sind besetzt. Es sind nur Männer hier. Darunter auch Abraham. Abraham heißt in Wahrheit anders und seine Person ist leicht verfremdet. Zu seinem Schutz.
Abraham ist Akademiker. Und Abraham steckt noch immer im so genannten "Nationalen Dienst" fest. Dieser National Service lastet wie ein Fluch auf Eritrea. Eigentlich ist der Dienst an der Waffe sowie einer staatlichen Einrichtung auf 18 Monate begrenzt. Viele junge Eritreer müssen aber länger dienen und sind damit abhängig von der Willkür ihrer Vorgesetzten. Abraham ist wütend.
Kein Interesse an jungen, ausgebildeten Menschen
"Sie geben immer wieder falsche Versprechen ab: Den Nationalen Dienst zu beschränken. Den Importstopp von Waren aufzuheben. Was sollen wir machen, wenn wir kein Geld haben? Ich habe 6 Jahre erfolgreich studiert. Aber ich habe kein Diplom in der Hand. Sie halten das zurück. Die wollen doch, dass wir Jungen gehen."
Wir reden an einem geschützten Ort. Im Café und auf Straßen hätten – so sagt man hier – die Wände und Bäume Ohren. Den Staat kümmere es nicht seine jungen, ausgebildeten Leute zu verlieren, denn...
"Die Jungen sind immer diejenigen, die etwas verändern. Wenn die weg sind, bleibt alles beim Alten. Das Regime ist verantwortlich für die ganzen toten Flüchtlinge in der Sahara, dem Sinai oder dem Mittelmeer. Wenn wir weg sind, können sie hier ohne Widerspruch hübsch weiterherrschen."
Mit solchen kritischen Äußerungen über Staat und System riskiert Abraham seine Freiheit in Eritrea. Immer wieder hört man von Menschen, die einfach in den Gefängnissen verschwinden. Ohne Anklage, ohne Prozess.
Hohe Lebenshaltungskosten, geringer Verdienst
Auf der Prachtstraße in Asmara. Italienische Architektur, der Verkehr fließt gemütlich dahin, kaum Polizei, kein Militär. Nirgendwo Staatspropaganda. In den zahlreichen Cafés sitzen junge Menschen beisammen, trinken lange an ihrem Tee. Ein Glas kostet umgerechnet einen halben Euro. Das kann man sich offenbar gerade noch leisten. Insgesamt sind die Lebenshaltungskosten sehr hoch in Eritrea. Doch viele verdienen nicht mehr als 50 Euro. Vor allem jene, die im Nationalen Dienst feststecken.
Viele gibt es nicht, die ein gutes Wort über ihre Regierung verlieren.
Anders der Kinderarzt Samson Abai: Er käme nie auf den Gedanken, sein Land zu verlassen. Er hatte die Chance dazu. Der 40-jährige war vor kurzem in Deutschland. Abai hat dort Vorträge und Weiterbildungen besucht. Dem Kinderarzt wäre damit die gefährliche Flucht erspart geblieben.
"Eritreer mit einer guten Ausbildung, die hier unersetzbar sind, hinterlassen eine große Lücke und die anderen müssen das ausbaden. Die Leute mögen ihre Gründe haben zu gehen. Es sind zumeist wirtschaftliche Gründe. Wir bauen unser Land auf, sind in einer schwierigen Situation und befinden uns mit unsrem Nachbarland Äthiopien im Konflikt. Aber die Jungen wollen lieber mehr Geld und ein besseres Leben führen."
"Wirtschaftsflüchtlinge" seien das – diesen Vorwurf hört man hier und da. Abai jedenfalls würde nie gehen, schon wegen der Kinder, seinen kleinen Patienten.
Den Gesangswettbewerb im NICE–Club gewinnt ein 21-jähriger. Sein Lied handelt von der unerfüllten Liebe zu einer Frau. Später sagt er, er würde gerne ein Star werden und die Welt bereisen. Ob er danach nach Eritrea zurückkehren würde? Das könnte er nicht garantieren, flüstert er verstohlen.