Im Supermarkt wirft Lena, nennen wir sie so, schon mal den Einkaufswagen um, wenn ihr etwas nicht passt. Wenn sie die Sechsjährige aus der Kita abholt, muss Susanne M. damit rechnen, dass das Kind auf sie losgeht, anstatt sich zu freuen. Momente, in denen es der Pflegemutter schwer fällt, Lena zu lieben,
"Obwohl sie sehr klein zu uns gekommen ist, aber sie ist halt gekommen mit unglaublich vielen Schwierigkeiten, Aggressionen, Traumatisierungen Entwicklungsverzögerungen, die wir heute noch jeden Tag mitkriegen."
"Obwohl sie sehr klein zu uns gekommen ist, aber sie ist halt gekommen mit unglaublich vielen Schwierigkeiten, Aggressionen, Traumatisierungen Entwicklungsverzögerungen, die wir heute noch jeden Tag mitkriegen."
Mit zwei Jahren wurde Lena ins Krankenhaus eingeliefert, schwer misshandelt von der eigenen Mutter. Die musste sich dafür in einem Strafverfahren verantworten. Lena kam zu Pflegeltern, konnte dort aber nicht bleiben. Ein stabiles Umfeld fand Lena erst bei Susanne und Tilo M., beide Sozialpädagogen mit therapeutischer Ausbildung:
"Und da war das Kind zwei, und ich glaube, das ist schon ein ganz schöner Horror für das Kind, aus der Misshandlungssituation dann erst ins Krankenhaus und dann in zwei verschiedene Übergangsfamilien erlebt."
Eine Geschichte allerdings, die Susanne M. nicht preisgibt, wenn sie mal wieder schräg angeschaut wird, weil ihre vermeintlich unerzogene Tochter randaliert. Die Pflegemutter muss dann beides aushalten: Lenas Aggression und die Ächtung der Umstehenden. Das Jugendamt der Stadt Frankfurt betreut nur die "normalen" Pflegeeltern selbst. Den pädagogisch spezialisierten, die schwer traumatisierte Kinder aufnehmen, stellt das Amt die Fachberater der Jugendhilfe von Vitos Kalmenhof zur Seite. Die bereiten die Familien vor, begleiten sie und sind im Krisenfall ansprechbar.
"Uns wird vom Fachdienst auch immer geraten, das in Krisenzeiten als Job zu fühlen, damit wir emotional nicht so in diesen Strudel gerissen werden."
Allerdings kann dieser Job als Lebensleistung rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr gar nicht vergütet werden. Ulrike Bender von Vitos Kalmenhof, Tochterunternehmen des Landeswohlfahrtsverbands Hessen:
Allerdings kann dieser Job als Lebensleistung rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr gar nicht vergütet werden. Ulrike Bender von Vitos Kalmenhof, Tochterunternehmen des Landeswohlfahrtsverbands Hessen:
"In der Summe ist es je nach Alter des Kindes zwischen 1.400 und 1.600 Euro pro Monat, die eine Erziehungsstelle bekommt."
Das familiäre Umfeld ist für diese Kinder besonders wichtig
Also eine spezilaisierte Pflegefamilie. Trotz bescheidener Entschädigung bleibt am Ende "ein dickes Plus", bilanziert der Pädagoge Friedbert Huhle, der gemeinsam mit seiner Frau derzeit das fünfte Pflegekind betreut. "Mitzuerleben, wie schwer belastete Kinder sich berappeln und ins Leben hinausgehen, dafür lohnt es sich", meint die Sozialpädagogin Ingrid Huhle. Gut finden Huhles das sorgfältige Anbahnungsverfahren, in dem die Pflegeeltern die teilweise grauenhafte Familiengeschichte des Kindes erfahren. Zumindest alles, was das Jugendamt weiß, schränkt Claudia Tull von der amtlichen Pflegekinderhilfe ein. Manchmal kommt erst nach Jahren heraus:
"Das Kind hat Missbrauch erlebt, das wusste aber vorher keiner. Vorher war die Herausnahme aus der Familie aus anderen Gründen erfolgt. Und so kommt es immer wieder dazu, dass man erst in der neuen Familie feststellt, da gibt es noch andere Störungen, und da müssen noch andere Erlebnisse sein, als die, die wir bisher gekannt haben."
Manchmal allerdings machen Kinder in den Pflegefamilien auch erstaunliche Entwicklungssprünge, wie die verstummte Zweijährige, bei der man schon an Autismus gedacht hatte. Aber nach einem Jahr geduldiger elterlicher Begleitung fand das schwer traumatisierte Mädchen aus ihrer Starre heraus.
"Und das Kind hat sich inzwischen toll entwickelt. Also, das ist Leistung, die nur Pflegefamilie vollbringen kann. Das kann überhaupt nicht in einer Einrichtung passieren."
Pflegeeltern dringend gesucht, nicht nur in Frankfurt am Main. Pflegekinder – Belastung und Gewinn - auch für die neuen Geschwister. Die 15- und 17jährigen Söhne von Susanne M. sagen mit Blick auf die 6-jährige Lena:
"'Jetzt wissen wir, wie Erziehung funktioniert.' Und mein einer Sohn, den habe ich neulich gefragt: „Was würdest du eigentlich machen, wenn die Kleine jetzt zurück müsste in die leibliche Familie?" Da würde er sagen: 'Oh je, dann würde ich sie aber vermissen!'"