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Jugendarbeitslosigkeit
"Ich erwarte keine nennenswerten Fortschritte"

Bereits zum dritten Mal beraten die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder über die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit. Der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, forderte im DLF, das wenige vorhandene Geld müsse endlich sinnvoll eingesetzt werden.

Reiner Hoffmann im Gespräch mit Christiane Kaess |
    "Ich erwarte keine nennenswerten Fortschritte, solange das Geld nicht in sinnvolle Projekte gesteckt wird", sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann im DLF. Die bisherigen Maßnahmen seien nicht ambitioniert genug. Dazu zählt die "Garantie", unter 25-Jährige innerhalb von vier Monaten in Arbeit, Ausbildung oder ein Praktikum zu bringen.
    Eine Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 50 Prozent, sei eine ernsthafte Bedrohung für die Demokratie in Europa, sagte Hoffmann weiter. Die Bundesregierung hat allerdings schon vor dem Treffen in Mailand klargestellt: Mehr Geld wird es nur dann geben, wenn die Ursachen der hohen Jugendarbeitslosigkeit geklärt sind.

    Das gesamte Interview mit Reiner Hoffmann in voller Länge:
    Christiane Kaess: Obwohl die Zahlen nicht neu sind, sind sie nach wie vor alarmierend. Über 40 Prozent an jungen Arbeitslosen meldet Italien, Griechenland sogar über 50 Prozent. Deutschland steht da verhältnismäßig gut da mit knapp acht Prozent, dem niedrigsten Wert in Europa, aber das ändert nichts an der Tragik der europäischen Jugendarbeitslosigkeit. Schon zum dritten Mal treffen sich deshalb europäische Staats- und Regierungschefs, die Chefs der nationalen Arbeitsagenturen und die Arbeitsminister bei einem extra anberaumten Gipfel heute in Mailand unter der Leitung der italienischen EU-Ratspräsidentschaft. Seitdem sie versuchen, das Problem in den Griff zu bekommen, hat sich allerdings an der schlechten Lage wenig verbessert. Die sogenannte Jugendgarantie, die eine Stelle, eine Ausbildung oder ein Praktikum innerhalb von vier Monaten nach Schulabschluss oder Beginn der Arbeitslosigkeit garantieren soll, die bleibt, so meinen Kritiker, eine leere Hülle.
    Mitgehört am Telefon hat Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Guten Morgen, Herr Hoffmann!
    Reiner Hoffmann: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Wenig Fortschritt also in letzter Zeit, das haben wir gerade gehört. Was soll dieser Gipfel heute bringen?
    Engagiertes Investitionsprogramm überfällig
    Hoffmann: Da sind meine Erwartungen begrenzt. Solange die Staats- und Regierungschefs und die Arbeitsminister nicht damit beginnen, an den Ursachen der Krise zu arbeiten, erwarte ich keine nennenswerten Fortschritte. Wir haben riesige Investitionsbedarfe überall in Europa, insbesondere in den südeuropäischen Krisenstaaten. Hier brauchen wir ein engagiertes Investitionsprogramm, mit dem Wachstum und dann auch Beschäftigung angekurbelt werden kann. Wenn dieses nicht auf den Weg gebracht wird, werden wir auch bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit keine richtigen Fortschritte machen.
    Kaess: Mehr Geld für mehr Investitionen. Aber, Herr Hoffmann, jetzt hat der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker gerade ein Investitionspaket von 300 Milliarden Euro vorgelegt, oder er plant es. Das Geld ist ja offenbar nicht das Problem.
    Hoffmann: Diese Initiative von Herrn Juncker wird von den Gewerkschaften ausdrücklich unterstützt und begrüßt. Das Problem wird sein, wie ein solches Programm denn auch in der Praxis wirklich umgesetzt wird, und Geld ist ja reichlich vorhanden.
    Wir brauchen einen europäischen Investitionsfond
    Kaess: Warum fordern Sie dann noch mehr? Wenn ich Sie da richtig verstanden habe, fordern Sie ja noch mehr.
    Hoffmann: Nein. Das Geld muss aus den Finanzmärkten in die Realwirtschaft transferiert werden, und hier haben wir das große Problem. Wir haben riesige Vermögenswerte, die eben nicht in die Realwirtschaft investiert werden, stattdessen an den internationalen Finanzmärkten weiter vagabundieren, um spekulative Gewinne zu generieren, und da setzen wir an und sagen, wir brauchen beispielsweise einen europäischen Investitionsfonds, wo diese Anlagen letztendlich dann auch von den privaten Geldvermögenbesitzern angelegt werden, um sie für produktive Investitionen in die Realwirtschaft zu bringen. Da sehe ich große Chancen. Allerdings hat die Politik hierauf bisher keine befriedigenden Antworten gegeben.
    Kaess: Aber, Herr Hoffmann, noch mal: Sie haben gerade selber gesagt, Geld ist eigentlich genug da. Es scheint ja wirklich ein Strukturproblem zu sein, dass zum Beispiel die nationalen Regierungen es nicht schaffen, die bereitgestellten Mittel abzurufen.
    Hoffmann: Das ist auch ein Riesenproblem. Wir haben ja mittlerweile mehr Leute, die mit der Verwaltung und der Kontrolle der Mittel beschäftigt sind, als Menschen, die sich darum kümmern, dass Projekte auf den Weg gebracht werden. Was die Finanzen betrifft, da muss man einfach deutlich sagen, dass es hier dringend notwendig ist, mehr Steuergerechtigkeit zu praktizieren, damit dieses Geld dann auch beispielsweise für sinnvolle Investitionen genutzt wird.
    Die Maßnahmen waren nicht ambitioniert genug
    Kaess: Aber schauen wir doch mal auf die Strukturprobleme in den Ländern. Es hat ja diese verschiedenen Maßnahmen gegeben, die Jugendgarantie oder die Jugendbeschäftigungsinitiative. Aber offenbar gelingt auch die Vermittlung in den Ländern nicht. Es gibt eine Menge Kritik an der Arbeitsvermittlung in den betroffenen Ländern, wo die Jugendarbeitslosigkeit sehr hoch ist. Waren diese Maßnahmen eigentlich von vornherein zum Scheitern verurteilt?
    Hoffmann: Die Maßnahmen waren nicht ambitioniert genug und es liegt im Kern daran, dass gerade in den Krisenländern eine Sparpolitik aufoktruiert wurde, die massiv die Binnennachfrage in diesen Ländern geschwächt hat, dass Menschen kein Geld haben A für den Konsum und B auch für produktive Investitionen, und hier ist dringender Korrekturbedarf.
    Kaess: Aber was hat diese Sparpolitik damit zu tun, dass die Länder nicht in der Lage sind, die Mittel abzugreifen? Wir haben es gerade gehört: Es ist bisher nur Frankreich, Italien und Litauen, die überhaupt diese Mittel für die Jugendgarantie in Anspruch nehmen.
    Hoffmann: Beispielsweise die Mittel, die über den Europäischen Sozialfonds dafür zur Verfügung gestellt wurden, werden viel zu bürokratisch verwaltet. Die EU-Kommission redet immer über Bürokratieabbau, damit meint sie aber bisher nur im Sinne von Arbeitnehmerrechten, anstatt wirklich die Verwaltung zu effektivieren, damit das bescheidene Geld, was vorhanden ist, wirklich dann auch in sinnvolle Projekte investiert wird. Diese Kritik ist durchaus richtig und teile ich. Gleichwohl weise ich immer wieder darauf hin: Lassen Sie uns über die Ursachen der Krise wirklich reden. Das haben ja die Staats- und Regierungschefs heute auch vor. Ich hoffe, sie kommen da zu den richtigen Schlussfolgerungen. Weil solange es nicht gelingt, dass die Ursachen wirksam bekämpft werden, werden auch solche bescheidenen Maßnahmen wie die Jugendgarantie nicht zu dem gewünschten Erfolg führen.
    Jugendarbeitslosigkeit bis zu über 50 Prozent
    Ich nenne Ihnen nur ein Beispiel. Ich war vor wenigen Wochen in Portugal. Dort haben mir meine portugiesischen Kollegen berichtet, dass im letzten Jahr, in 2013, 200.000 qualifizierte junge Menschen Portugal Richtung Norden verlassen haben: nach Skandinavien, in die Niederlande, nach Deutschland. Stellen Sie sich vor, Ähnliches würde in der Bundesrepublik passieren. Bei der Bevölkerungsgröße würde dieses bedeuten, zwei Millionen qualifizierte Menschen würden Deutschland verlassen. Die Auswirkungen für die Wirtschaft wären katastrophal. Ich glaube, es ist vielen noch nicht wirklich bewusst genug, was es heißt, eine Jugendarbeitslosigkeit von bis zu über 50 Prozent wie beispielsweise in Griechenland oder in Spanien zu haben. Ich sehe darin eine ernsthafte Gefährdung der Demokratie und wir haben es erlebt, beispielsweise bei den Wahlen zum Europaparlament, wo rechtspopulistische bis rechtsradikale Kräfte erheblichen Zuspruch gewonnen haben. Deshalb ist es nicht nur eine leere Worthülse zu sagen, wenn die Jugendarbeitslosigkeit nicht endlich wirksam bekämpft wird, wird die soziale Demokratie in Europa gefährdet.
    Kaess: Und wie weit müssen sich denn die Gewerkschaften an die eigene Nase fassen? Machen die Gewerkschaften in den betroffenen Ländern zum Beispiel genügend Druck, um auch Strukturen zu verändern? Es wird zum Beispiel viel über ein duales Ausbildungssystem für diese Länder diskutiert nach deutschem Vorbild. Was tun die Gewerkschaften da?
    Hoffmann: Die Gewerkschaften sind doch nicht diejenigen, die beispielsweise die duale Ausbildung in den Ländern blockieren. Die Gewerkschaften sind auch nicht diejenigen, die die Jugendarbeitslosigkeit ...
    Folge falscher Krisenpolitik
    Kaess: Aber sie können sich dafür einsetzen oder stärker dafür einsetzen.
    Hoffmann: Wir setzen uns dafür ein. Ich nenne nur mal das Beispiel gegenwärtig unter der italienischen Präsidentschaft. Der italienische Premierminister, Herr Renzi, hält es überhaupt nicht für nötig, mit den Sozialpartnern zu sprechen, weder mit den Gewerkschaften, noch mit dem italienischen Arbeitgeberverband Confindustria, und solange diese Politik nicht beendet wird und ein sinnvoller konstruktiver Dialog auf den Weg gebracht wird, halte ich es für völlig vermessen, den Finger auf die Gewerkschaften zu zeigen. Ich weise nur darauf hin, dass aufgrund des Finanzpaktes die Menschen gezwungen wurden, die Regierungen gezwungen wurden, Löhne massiv zu kürzen. Beispielsweise in Portugal fallen nur noch 20 Prozent der Menschen unter tarifliche Bedingungen. Das war vor der Krise weit über 70 Prozent. Das ist eine Folge falscher Krisenpolitik. Die Mindestlöhne sind in Griechenland, in Portugal massiv gekürzt worden. Es kann doch nicht sein, dass wir ständig nur Arbeitnehmerrechte beschneiden, Löhne kürzen und dann die Frage an die Gewerkschaften stellen, was sollen wir gegen die Krise machen.
    Kaess: Aber, Herr Hoffmann, wenn Sie gerade das Beispiel Italien ansprechen - und das gleiche gilt ja auch für Frankreich zum Beispiel -, dort wirft man durchaus den Gewerkschaften vor, dass sie zu sehr diesen starken Kündigungsschutz durchgesetzt haben oder verteidigen und damit auch verhindern, dass junge unerfahrene Leute in die Betriebe kommen.
    Hoffmann: Man kann doch bitte nicht mit einer falschen Medizin die Krise auf dem Arbeitsmarkt bekämpfen. Sie argumentieren ja gerade so, als wenn der Kündigungsschutz Schuld daran wäre, dass Menschen arbeitslos sind. Wir haben OECD-Studien, die mittlerweile beweisen, dass die Ursache nicht am Kündigungsschutz liegt. Das ist eine soziale Errungenschaft, dass Menschen in Europa nicht wie in den Vereinigten Staaten nach dem Prinzip „hire and fire" beschäftigt werden, sondern wir brauchen stabile Beschäftigungsverhältnisse, und zu stabilen Beschäftigungsverhältnissen gehört auch, dass die Menschen Sicherheit haben und nicht von heute auf morgen auf die Straße gesetzt werden können.
    Kaess: ..., sagt Reiner Hoffmann, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, live bei uns heute im Deutschlandfunk-Interview. Danke schön, Herr Hoffmann.
    Hoffmann: Gerne, Frau Kaess!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.