Die Piazza Maddalena in Neapel. Ein Zeitungskiosk, eine Bushaltestelle, viele parkende Autos. Vor einer Espressobar sitzen drei junge Männer, spielen Karten und trinken Kaffee. Ein typisches Bild. Von den Männern hat nur einer einen Job.
"Ich bin beim Militär, deshalb habe ich einen festen Job. Ansonsten sieht es für uns junge Menschen düster aus. Wir sind ein bisschen verzweifelt."
Ein bisschen verzweifelt – eine typisch neapolitanische Formulierung. Es gibt auch die "Amazzatina", die kleine Messerstecherei. Wenn es dramatisch wird, neigen die Neapolitaner zu Verkleinerungsformen. Dann klingt es nicht mehr so schlimm, wie es eigentlich ist. Doch nichts kann darüber hinweg täuschen, dass in Neapel, wie in ganz Süditalien, inzwischen die Mehrheit der 15- bis 24-Jährigen ohne Job ist. Jedenfalls ohne legalen Job. Wovon sie leben? Viele vom Geld der Eltern.
"Solange meine Frau und ich noch Arbeit haben, kommen wir über die Runden. Ein Gehalt geht für die Miete drauf. Und vom zweiten leben wir und unsere Töchter. Sie sind 21 und 25 Jahre alt, haben gute Schulabschlüsse gemacht, aber sie finden keinen Job. Sie wollen wirklich arbeiten, auch als Kellnerinnen oder sowas, aber es gibt nichts."
Von der Politik im Stich gelassen
Piergiorgio Pascolo fühlt sich von den Politikern im Stich gelassen. Regierungschef Matteo Renzi war mit seinen 38 Jahren ein Hoffnungsträger für die junge Generation, die von ihm JobsAct getaufte Arbeitsmarktreform erklärte Priorität. Doch nun hat Renzi den EU-Gipfel zur Jugendarbeitslosigkeit abgesagt, weil die Regierung noch nichts Konkretes ausgearbeitet habe.
Das klingt nach Desinteresse, kann aber auch ein Missverständnis sein. Beim Gipfel sollte es um eine staatliche Garantie auf einen Job oder eine Weiterbildungsmaßnahme für jeden jungen Arbeitslosen gehen – das kostet Geld. Und der Erfolg ist nicht sicher. Schon Mario Monti hatte mit Steueranreizen die Einstellung junger Frauen vorantreiben wollen – und trotzdem haben die Unternehmen mit Stellen gegeizt. Warum? Weil die Rahmenbedingungen schlecht sind. Wer in Italien jemanden fest anstellt, läuft Gefahr, ihn nie wieder entlassen zu können, so rigide ist der Arbeitsplatzschutz. Für ausländische Konzerne ist Italien im Allgemeinen kein attraktiver Standort: zu viel Korruption und zu viel Bürokratie. Das hat Matteo Renzi erkannt, darum hat die Bürokratiereform für ihn Priorität.
"Beim Umbau der öffentlichen Verwaltung geht es nicht in erster Linie um finanzielle Einsparungen. Es geht nicht um Stellenabbau, es geht um Effizienz und Bürgernähe. Wir wollen, dass sich die Vertreter des Staates auf die Seite der Bürger stellen, und nicht gegen sie. Sie sollen kein Feind sein, sondern ein Partner, vielleicht sogar ein Freund."
"In Italien ist die Bürokratie eine Mauer"
In italienischen Ohren klingt das fast wie ein Scherz. Seit Generationen sind die Bürger daran gewöhnt, von einem Schalter zum nächsten geschickt zu werden, stapelweise Papiere vorzeigen zu müssen, um diese oder jene Bewilligung zu bekommen. Der Historiker Mario Scazzoso von der Katholischen Universität Mailand:
"Bürokratie und Verwaltung wird in Italien nicht wie eine Brücke wahrgenommen zwischen Bürgern und Staat. In Italien ist die Bürokratie eine Mauer, eine Barriere, die die Bürger vom Staat trennt.
Und auch der Begriff "Staat" hat keinen guten Klang.
"Der Staat schadet den Bürgern, davon sind die Italiener überzeugt. Die Steuerbehörde will mich drankriegen, also suche ich nach Schlupflöchern, nach Möglichkeiten, Steuern zu umgehen. Warum? Weil die Italiener kein Vertrauen in den Staat und seine Institutionen haben, sondern ihm misstrauen."
Die öffentliche Verwaltung hat eine starke Lobby, sie dient vor allem den Politikern dazu, Verwandte, Freunde und Wahlkampfhelfer mit einem sicheren Arbeitsplatz zu belohnen. Schon viele von Renzis Vorgängern haben den Italienern einen schlankeren Staat versprochen – niemand hat es geschafft. Was Matteo Renzi also vorhat, ist keine Reform, sondern eine Revolution. Auf die konzentriert er im Moment seine Kräfte. Und vielleicht hat er deshalb wenig Mühe, einen EU-Gipfel abzusagen, an dem über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen diskutiert werden soll.