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Jugendliche in den USA
Jung, amerikanisch, depressiv

Eine neue Harvard-Studie stellt fest, dass fast die Hälfte der 18- bis 24-Jährigen in den USA Symptome einer mittelschweren Depression zeigt, sechsmal so viele wie vor der Pandemie. Die Seele leidet unabhängig von sozialem Status, Geschlecht und ethnischer Herkunft. Die Trauer wird lange anhalten.

Von Andreas Robertz |
Illustrationsfoto zum Thema Depressionen: Eine Frau kauert auf einer Treppe. Das Foto zeigt sie von oben. Sie hat die Arme um ihren Körper geschlungen.
Die Zahl depressiver junger Menschen hat sich in den USA massiv erhöht (picture alliance / Frank May)
"Eines der bemerkenswerten Dinge, die wir gefunden haben, war, dass die 18- bis 24-Jährigen durch die Bank belastet sind. Bei allen anderen Fragen der Studie gab es in Bezug auf Geschlecht, ethnischen Hintergrund, Einkommen oder Parteizugehörigkeit ziemlich große Unterschiede, nur Depressionen und Angstzustände sind bei allen weit verbreitet", sagt Roy Perlis. Er ist Epidemiologe und Psychiater an der medizinischen Fakultät der Harvard Universität und Mitherausgeber der neuen Studie über die mentalen Folgen der COVID-19 Pandemie für 18- bis 24-Jährige. In der seit März fortlaufenden Studie werden jeden Monat 20.000 Teilnehmer aus 50 Bundesstaaten über die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie befragt.
Perlis: "Der wichtigste Befund ist, dass fast die Hälfte der Befragten, 47 Prozent, Symptome beschreiben, die wir als Symptome einer mittelschweren Depression diagnostizieren würden. Also bei knapp der Hälfte würde der Hausarzt eine medikamentöse Behandlung oder psychologische Beratung vorschlagen."
"Wir reden hier nicht über Unglücklichsein"
Perlis ist es wichtig, diese Ergebnisse von Gefühlen von erhöhtem Stress und Sorgen, die alle Altersgruppen während er Pandemie erleben, zu unterscheiden:
"Wir reden hier nicht über Unglücklichsein. Wir reden hier von andauernder Traurigkeit oder Gefühlen von Eintönigkeit, nicht schlafen können, keinen Appetit haben, sich nicht konzentrieren können, Todesgedanken haben, also die Art von Symptomen, die einen wirklich beeinträchtigen können. Man kann sagen, dass der Anteil sechsmal so hoch ist wie vor COVID-19."
Dr. Ramani Durvasula ist Professorin für Psychologie an der Universität von Kalifornien und praktizierende Psychotherapeutin
Dr. Ramani Durvasula ist Professorin für Psychologie an der Universität von Kalifornien und praktizierende Psychotherapeutin (privat)
Psychotherapeutin Ramani Durvasula aus Los Angeles kann aus persönlicher Erfahrung bestätigen, wie hart die Situation junge Erwachsene trifft. Sie berichtet von einem Gespräch mit ihrer zur Zeit stets traurigen Tochter: "Sie hat das Gefühl, ihre Jugend zu verpassen. Sie sagt: 'Jetzt, wo ich an der Universität bin, sollte ich Freunde finden und Partner treffen. Aber ich kann das alles nicht tun', sagte sie. Und ich habe versucht ihr zu erklären, dass ihre Jugend länger dauert als sie denkt. Das ist eigentlich eine falsche Antwort, weil sie wirklich verzweifelt ist. Eine ganze Generation von Heranwachsenden und jungen Erwachsenen, für die das Leben gerade besonders spannend sein müsste - all das nehmen wir ihnen weg."
Psychotherapie hilft nicht gegen die Realität
Doch viel Verständnis für die Situation junger Menschen haben längst nicht alle, ganz im Gegenteil: Oft wird diese Gruppe besonders in die Pflicht genommen, weil sie weniger in der Gefahr sei, ernstlich krank zu werden. Roy Perlis sagt:
"Sicher, da gibt es diese Wahrnehmung, dass diese Gruppe weniger von den Symptomen betroffen ist. Sicherlich können 18- bis 24-Jährige auch krank werden, sogar ziemlich schlimm. Aber im Großen und Ganzen ist es weniger wahrscheinlich, dass sie so schlimm erkranken wie Ältere. Andererseits trifft sie der ökonomische Schaden besonders, was den Verlust des Jobs angeht, Gehaltskürzungen, die Miete nicht weiter zahlen zu können oder von Räumung bedroht zu sein."
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Neben der Sorge, selbst krank zu werden oder Familienangehörige anzustecken, nennt die Studie vor allem zwei Hauptbelastungen: das Schließen von Schulen und Universitäten und den Verlust von Arbeit und Einkommen. Junge Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind besonders gefährdet, ihren Job zu verlieren. Das war schon in der Finanzkrise 2008 so. Deswegen fordert Roy Perlis deutlich mehr wirtschaftliche Hilfe, um den hohen Grad existentieller Sorgen zu mildern:
"Ich kann helfen, Depressionen zu behandeln, doch das nützt alles nichts, wenn jemand diesem unglaublichen Stress ausgesetzt ist, rausgeschmissen zu werden. Keine Behandlung der Welt kann diese grundsätzlichen Probleme lösen."
"Wir werden die Trauer noch lange Zeit mit uns tragen"
Neben dem sozialen Aspekt, von Freunden und Gleichaltrigen getrennt zu sein und der Sorge um verpassten Lehrstoff, erweist sich auch der erschwerte Zugang zu psychologischen Diensten der Bildungseinrichtungen als besonders schlimm. Deshalb müsse der Zugang zu psychologischer Versorgung verbessert werden und die Gesellschaft als Ganzes mehr Verständnis für ihre jungen Leute haben. Perlis sagt:
"Wenn Leute behaupten, diese Altersgruppe hätte sich abgemeldet und sei faul, hängt das damit zusammen, dass die Abendnachrichten von wilden Partys ohne Masken an der Uni berichten. Was wir nicht sehen, sind diejenigen 18- bis 24-Jährigen, die zwei Jobs machen, um in der Schule sein zu können oder die sich um Kinder kümmern, während sie Kurse belegen müssen."
Für Perlis personifiziert diese Altersgruppe die Hoffnung auf gesellschaftlichen Wandel und soziale Verbesserung. Sie haben nachweislich den Wahlausgang für Joe Biden beeinflusst. Sie mit den Folgen der Pandemie allein zu lassen, wäre verheerend. So begrüße er zwar die Auswahl der Experten im Pandemie-Beratungsteam des künftigen Präsidenten, kritisiere aber das Fehlen eines psychologischen Spezialisten. Auch Ramani Durvasula findet warnende Worte:
"Und wenn die Einschränkungen vorbei sind, werden wir nicht plötzlich alle wieder glücklich. Wir werden die Trauer über diese Verluste und Veränderungen noch eine sehr lange Zeit mit uns tragen."
Roy Perlis sagt: "Was ich wirklich wichtig finde ist, dass unsere Verantwortlichen sich klar machen, dass 18- bis 24-Jährige besonders gefährdet sind und wir investieren müssen, damit deren Bedürfnisse erfüllt werden können. Wir müssen anerkennen, wie sehr sie die ganze Zeit betroffen sind."