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Jugendliche ohne "Stallgeruch"

Das Deutsche Studentenwerk hat gezählt, wie viele Studierende eigentlich Eltern haben, die selbst studiert haben. Das Ergebnis: die allermeisten. Von 100 Akademikerkindern gehen 83 auf die Hochschule, von 100 Kindern aus Nicht-Akademikerfamilien dagegen nur 23. Die Wirtschaft sieht das nicht gern, schließlich gehen ihr somit gut ausgebildete Kräfte verloren. Deshalb versucht die Stiftung der deutschen Wirtschaft seit einem Jahr, nichtakademische Kinder an das Studium heran zu führen.

Von Esther Körfgen |
    Anne: "Am schwierigsten finde ich eigentlich die Studienfindung. Die Fachfindung. Weil es gibt ja so viele verschiedene Sachen, und ich weiß gar nicht, was zu mir passt."

    Jessi: "Auch die Informationsbeschaffung. Was kann ich studieren, was ist gut, wo kann ich studieren, wenn man Eltern hat, die studiert haben, hat man das aus erster Hand und wenn man etwas nicht versteht, kann man nachfragen, und so ein Heft ist meistens kompliziert erklärt und es ist schon schwer."

    Jakob: "Ich würde mich über individuelle Beratung freuen in den Schulen. Ich habe das hier im Studienkompass erlebt, wie toll das funktioniert. Mich würde es freuen, wenn es das auch an den Schulen geben könnte, vielleicht eine Person, die man ansprechen könnte."

    Anne aus Erfurt, Jessi aus Mannheim und Jakob aus Hamburg. Die Zwölftklässler haben eines gemeinsam: Sie haben zuhause niemanden, den sie fragen können, wenn es ums Thema Studieren geht.

    Jessica: "Bei mir hat keiner studiert, in der Familie auch nicht. Meine Eltern stehen vollkommen hinter mir, aber sie wissen auch nicht, wie sie mir helfen sollen."

    Und Jessica aus Mannheim. Vier von 200 Nichtakademikerkindern aus sieben deutschen Städten, viele von ihnen aus Einwandererfamilien. Drei Jahre lang werden sie nun vom "Studienkompass" unterstützt - das heißt, von drei Stiftungen: der Deutschen Wirtschaft, von Accenture und der Deutschen Bank. Sie finanzieren Trainer, professionelle Studienberater, die ihre Schützlinge in ihrer Studierwilligkeit und -fähigkeit unterstützen. Das sei nötig, sagt Ulrich Hinz, Organisator des Studienkompasses bei der Stiftung der Deutschen Wirtschaft. Untersuchungen hätten festgestellt:

    "Dass Neigungen häufig nicht wahrgenommen werden, wenn Förderung von zuhause nicht im selben Maße vorliegt, dass Chancen nicht erkannt werden, weil Unterstützung und Beratung nicht vorliegt, und da versuchen wir einzuschreiten und unterstützende Begleitung anzubieten."

    Schon zwei Jahre vorm Abitur geht es los: Alle paar Wochen treffen sich Trainer und Schüler, erarbeiten persönliche Stärken und Schwächen, ermitteln die passende Studien- und Berufsrichtung und wie sie sich besser selbst organisieren. Besuchen gemeinsam Fachmessen, Universitäten und Unternehmen. Und das auch noch das ganze erste Studienjahr lang, damit es mit dem Studieren auch wirklich klappt. Schließlich bringt nur jeder fünfte Studierende in Deutschland sein Studium auch zu Ende.

    Hinz: "Wir stellen auch fest, dass die Schüler Zeit brauchen. Das ist keine Entscheidung, welches Fach man studiert, die man in zwei oder drei Wochen oder vier Wochen trifft, sondern dieser Prozess muss so angelegt sein, dass man seine eigenen Ideen langsam entwickelt, dass man Gelegenheit hat, sie auszuprobieren, mit Menschen zu sprechen, die einen Beruf, der hinter diesem Studium steht, ausüben oder aber auch sich mit Studierenden treffen, und dann auch mal sagen zu können: Oh, das hab ich mir anders vorgestellt."

    Die knapp 200 Schüler, die schon ein Jahr beim "Studienkompass" mitmachen, beschäftigen sich durch den regen Austausch untereinander weitaus mehr mit den Themen Beruf und Studium als vorher, erzählt Ulrich Hinz. Ohne diesen Austausch, ohne Informationen, stehen Kinder nichtakademischer Eltern oft ziemlich allein da, wenn es darum geht, vielleicht zu studieren.

    Jessi: "Schon in der Hauptschule wird einem gesagt: ich würde mir das mit der Schule noch mal überlegen. Mach lieber eine Ausbildung, das ist sicherer. Und das geht weiter mit der Realschule. Ich finde, dass einem viel mehr Hoffnung gemacht werden sollte."

    Jakob: "An meiner Schule haben wir wirklich ein Informationsloch, da bei uns viele Lehrer in Lethargie verfallen, ja, ich bringe jetzt die Schüler zum Abitur, was die danach machen, ist mir egal. Die haben wirklich keinerlei Information, was ich wirklich traurig finde."

    In Zukunft sollen immer mehr Schüler in immer mehr Städten vom "Studienkompass" profitieren. Im kommenden Jahr noch einmal mindestens 200 - bewerben lohnt sich also.

    Außerdem sollen einmal einzelne Bausteine des Konzeptes an Schulen und Hochschulen weiter gegeben werden. Dafür läuft bereits eine wissenschaftliche Auswertung. Demnächst setzen sich die Organisatoren mit Vertretern der Länderministerien zusammen. Jessica und Jakob sehen jedenfalls keinen Grund, auf Akademikerkinder neidisch zu sein.

    Jessica: "Ich freue mich genauso gut, die erste zu sein, die das schafft, und bin dann stolz drauf."

    Jakob: "Und zum anderen stärkt es auch das Selbstbewusstsein, zu wissen, man hat sich das selbst erarbeitet, /und nicht Mama und Papa mich da bemuttert haben."

    Infos unter: studienkompass.de