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"Jugendliche wissen, dass Facebook auch Daten weitergibt"

Jugendliche seien sich darüber im Klaren, dass ihre Daten nicht nur bei Facebook bleiben, sagt die Autorin der Studie "Jugend, Information, Multimedia". Aber das scheinen Jugendliche gerne in Kauf zu nehmen, um die Möglichkeiten der Vernetzung zu nutzen, so die Medienpsychologin.

Ulrike Karg im Gespräch mit Stefan Koldehoff |
    Stefan Koldehoff: Was an der aktuellen Debatte über die aktuellen Abhörskandale auch erstaunt, ist nicht allein das angebliche Unwissen der deutschen Regierung. Erstaunlich ist ebenfalls, dass die systematische Ausspionierung der Privatsphäre von Millionen Deutschen niemanden so richtig aufzuregen scheint. In den Medien wird zwar ziemlich regelmäßig berichtet, aber Demonstrationen oder breite Bürgerinitiativen haben bislang nicht stattgefunden. Begründet wird das in Kommentaren häufig unter anderem damit, vor allem die Jugendlichen gäben ja in sozialen Netzwerken wie Facebook völlig freiwillig ihre Privatheit auf – wer solle sich also überhaupt noch groß aufregen.

    Seit 1998 wird jährlich eine Studie veröffentlicht, die JIM heißt – Jugend, Information, Multimedia, veröffentlicht vom Medienpädagogischen Forschungsverbund Südwest, und die Medienpsychologin Ulrike Karg ist eine der Autorinnen. An sie geht deshalb die Frage: Stimmt das so – gibt es inzwischen eine Generation, der eigentlich herzlich egal ist, was mit ihren Daten und ihrer Privatsphäre geschieht?

    Ulrike Karg: Das würde ich so generell nicht sagen. Wir sehen natürlich, dass Jugendliche gerne private Informationen veröffentlichen, vor allem in sozialen Netzwerken. Wir wissen auch, dass Facebook da im Moment natürlich an erster Stelle steht. Aber sie tun das natürlich mit dem Grund der Vernetzung mit ihrer Community, mit den Gleichaltrigen, und da ist natürlich so ein soziales Netzwerk ein toller Weg, sich auszuprobieren und auch in Kontakt zu bleiben mit seinen Freunden, auch vielleicht wenn die etwas weiter entfernt wohnen.

    Koldehoff: Heißt aber umgekehrt nicht, man ist bereit, alles von sich preiszugeben und jedermann öffentlich zugänglich zu machen?

    Karg: Nein. Wir sehen natürlich, dass Jugendliche da auch sensibler werden mit der Zeit. Wir fragen seit einiger Zeit in der JIM-Studie ab, ob man die Informationen dann schützt vor dem Zugriff der Öffentlichkeit mit dieser sogenannten Privacy-Option, und da sehen wir, dass das zunimmt, dass der Großteil der Jugendlichen den Zugriff einschränkt. Allerdings ist es auch so, dass die Zahl der "Freunde" natürlich – bei Facebook ist das natürlich ein sehr weiter Begriff – immer weiter zunimmt. Durchschnittlich sind Jugendliche mittlerweile mit 270 Freunden vernetzt über Facebook, und das ist natürlich dann trotzdem eine sehr breite Öffentlichkeit, die Zugriff auf meine Bilder, auf meine Informationen hat.

    Koldehoff: Ist ja durchaus erstaunlich, dass es, anders als bei anderen Themen wie Volkszählung oder maschinenlesbarer Personalausweis, im Moment keine großen Proteste zu geben scheint. Haben Sie da eine Erklärung für aus Ihren Gesprächen mit Jugendlichen?

    Karg: Wir haben leider keine aktuellen Daten im Moment. Aber ich kann das von meiner Wahrnehmung hersagen, dass oft das Argument ist, wir haben das ja gewusst oder wir haben es zumindest geahnt. Aber wir sehen aus unseren Daten von den Jugendlichen, dass die auch sehr gut unterscheiden können, bei welchem Anbieter sie sind, und da haben damals die Facebook-Nutzer durchschnittlich eher gesagt, ich fühle mich unsicher, als die Schüler.vz-Nutzer. Damals gab es noch Schüler.vz und das war ja eine deutsche Community, die auch einen höheren Wert beim Jugendschutz gesehen hat. Von daher sehen wir die Unterschiede: Die Einschätzung ist teilweise schon sehr differenziert. Jugendliche wissen, dass Facebook auch Daten weitergibt. Sie sind sich darüber auch im Klaren, dass ihre Daten sicherlich nicht nur bei Facebook bleiben. Aber wir haben das Gefühl, sie nehmen das gerne in kauf dafür, dass sie da tolle Möglichkeiten der Vernetzung haben und teilweise auch kostenlose Angebote, die sie sonst teilweise bezahlen müssen.

    Koldehoff: Im Wissen um mögliche Konsequenzen, oder wird das nicht so dramatisch eingeschätzt, was mit solchen Daten geschehen kann?

    Karg: Ich denke, das wird nicht so dramatisch eingeschätzt. Wenn man fragt, was machen denn die Communities mit den Daten, dann geht es oft um Datenweitergabe und in der Regel dann auch um Werbung.

    Koldehoff: Entweder ist das tatsächlich alles nicht so schlimm und man kann es verstehen, wie Jugendliche sich da verhalten, kostenlose Programme gegen Teilpreisgabe, oder es ist eben doch schlimm, dann hätte die Aufklärung versagt, hätte die Öffentlichkeit versagt. Was würden Sie sagen?

    Karg: Ich denke, das Ausmaß ist nicht klar. Natürlich gibt es Allgemeine Geschäftsbedingungen, die kann jeder lesen, aber die sind natürlich so formuliert, dass es kaum ein Erwachsener richtig versteht, und die sind in der Regel ja auch sehr lang und sehr juristisch. Man muss einfach klar machen, was passiert genau mit meinen Daten. Das ist oft sehr kryptisch formuliert und man hat dann auch keine Lust, sich damit auseinanderzusetzen. Man sieht es ja auch bei den Apps: Dann kommt die Frage, was darf die App alles nutzen, meinen Standort und so weiter. Und ich denke, man muss einfach klarer vor Eröffnung eines Accounts oder vor einer Aktion warnen, das und das passiert jetzt mit Deinen Daten.

    Das ist aber oft auch technisch gar nicht möglich. Wir wissen das von Facebook, dass allein, wenn ich auf einer Homepage diesen Facebook-Button "I like" installiere, dass dann, sobald ich diese Homepage "betrete", Daten an Facebook gesendet werden, und ich kann natürlich nicht warnen, bevor ich eine Homepage betrete. Also wir sind da in Deutschland, denke ich, auf einem guten Weg. Viele machen sich darüber Gedanken. Aber Facebook ist einfach eine große Macht und ein kommerzielles Unternehmen, dem wir wenig entgegensetzen können.

    Koldehoff: …, sagt die Medienpsychologin Ulrike Karg über Jugendliche und die Sorge um ihre Daten. Das Gespräch haben wir vor der Sendung aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.