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Jugendoffiziere an Berliner Schulen
Die Bundeswehr kämpft um Nachwuchs

Ist der Besuch von Bundeswehrsoldaten an Schulen Werbung für das Militär? Ein Beschluss der Berliner SPD hat eine Debatte über die Anwerbung von Schülern für den Soldatenberuf ausgelöst. Das Beispiel eines Gymnasiums im Norden Berlins zeigt, dass Schüler nicht so leicht als Rekruten zu gewinnen sind.

Von Frank Capellan | 11.04.2019
Die Truppe will moderner und attraktiver werden
Die Bundeswehr sucht neue Rekruten (picture-alliance / dpa / Marcel Kusch)
Youtube-Trailer Bundeswehr: "Eins ist immer ganz wichtig: Wenn's knallt, ist jeder Befehl fürn Arsch und dann zählt nur, was Ihr für Typen seid!
Faszination Bundeswehr! Coole Spots werben für die Truppe. "Survival - sieben Offiziere eine Mission." Ein Trailer, der Action verspricht, Soldaten im Dschungelcamp.
Spot: "Das war schon sehr Scheiße! Ey Männer, Ihr merkt ich lebe die Scheiße!"
Seit 2011 ist das "Scheiße leben" freiwillig. Die Bundeswehr kämpft um Nachwuchs. Ohne Youtube-Serien, so die Verteidigungsministerin, geht da gar nichts!
Von der Leyen: "Früher hatte man bei der Wehrpflicht ununterbrochen junge Männer, die wussten, wie es beim Bund ist, heute ist das nicht mehr der Fall, also suchen wir die modernen Kommunikationsmittel, Türen aufmachen, Kasernentore aufmachen um zu zeigen, wie es bei uns ist."
Soldat in der Schule
Begrüßung Jan Czarnitzki: "Okay. Guten Morgen von meiner Seite, mein Name ist Jan Czarnitzki…"
Seit den 1950er-Jahren stehen auch die Türen deutscher Schulen für Soldaten offen, die erzählen, wie es bei ihnen so ist. Es sind Menschen wie Jan Czarnitzki, die sich jetzt zu Unrecht am Pranger sehen, "gerade vor dem Hintergrund der angestoßenen Diskussion, eventuell die Jugendoffiziere oder die Bundeswehr an sich aus dem Schulalltag komplett auszuschließen."
Der 34-jährige Hauptmann hat viel Erfahrung, war als Fluglotse auch in Afghanistan:
"Wir haben heute das Thema wehrhafte Demokratie, Deutschland und der Einsatz seiner Streitkräfte im Inland vor dem Hintergrund des Grundgesetzes. …"
Die dunkelblaue Luftwaffen-Uniform sitzt perfekt. Czarnitzki spricht frei, orientiert sich allein am Power Point. Am Barnim Gymnasium im Norden Berlins ist er regelmäßig - Lehrerin Janine Karmoll greift mit ihrem Leistungskurs Politik gern auf das Angebot zurück:
"Es ist ja nicht so, dass wir den Unterricht abgeben, sondern wir holen uns Unterstützung ins Haus."
Czarnitzki: "Wir haben jetzt hier ein ganz neues Szenario von Terroristen, die ne ganz neue Anschläge planen, die eine ganz neue Dimension annehmen!"
Streit um "Soldaten-Raus-Beschluss"
Was darf die Bundeswehr, was darf sie nicht? Was gibt das Grundgesetz her? Czarnitzki zeigt die Fotos vom 9/11, Flugzeuge in den Twin Towers:
"Was sind unsere Möglichkeiten, die wir haben? - Also selber Abfangjets loszuschicken - Okay, ist jetzt geschehen, dann müsste man es abschießen, um diese Gefahr zu verhindern…"
Die Schüler der Jahrgangsstufe 11 haben das Schirach-Stück am Deutschen Theater gesehen, gleich wird auch Czarnitzki abstimmen lassen. Darf der Pilot ein Flugzeug vom Himmel holen, das als Waffe missbraucht wird?
"Ich glaub, dass man schießen müsste, es wäre ja immer noch im gewissen Sinne Mord, aber ich glaub die Verantwortung würde dann bei der Person liegen, die den Befehl gegeben hat… - Natürlich, bin ich Befehlsempfänger, aber ich unterliege trotz allem unserem Grundgesetz!"
Zwischen Schülern und Soldat entwickelt sich eine spannende Diskussion, die wohl ganz nach dem Geschmack des Bundestagspräsidenten wäre.
Schäuble: "Deshalb kann auch der Beschluss einer Hauptstadtpartei nicht unwidersprochen bleiben, militärischen Organisationen künftig den Zugang zu Schulen untersagen zu wollen, und mehr noch: Vorträge von Soldatinnen und Soldaten über ihren Dienst als militärische Propaganda zu denunzieren!"
Wolfgang Schäuble ärgert sich maßlos und auch sein Vize von der SPD, Thomas Oppermann, hat nur Kopfschütteln für den "Soldaten-Raus-Beschluss" der Berliner Parteifreunde übrig.
"Werben fürs Sterben"?
Oppermann: "Ich als Schüler hätte mich gefreut, wenn damals die Bundeswehr in die Schule gekommen wäre, ich hätte sehr kritische Fragen gestellt!"
Den Vorwurf, Minderjährige würden unkritisch für den Dienst an der Waffe begeistert, hält er für völlig absurd.
Oppermann: "Werben fürs Sterben! Wenn man so etwas im Zusammenhang mit der Bundeswehr sagt, zeichnet man doch ein völlig verzerrtes Bild von der Wirklichkeit. Die Bundeswehr wirbt doch nicht fürs Töten!"
SPD-Chefin Nahles hat den Berliner Genossen einen Schuss vor den Bug gegeben, die rudern seither zurück.
"Das ist Beschluss eines Parteitages. Das ist keine Regierungspolitik", versichert Innensenator Andreas Geisel. Werbung für, nicht Information über die Bundeswehr solle unterbunden werden.
Daran halten wir uns doch, unterstreicht Jan Czarnitzki: "Das heißt, sobald Schülerinnen oder Schüler Interesse haben an dem Beruf des Soldaten, verweisen wir immer an die zuständigen Karriereberater und geben keine weiteren Informationen. Wir ziehen da eine ganz strenge Grenze!"
War das nun Werbung für die Bundeswehr?
Werbespot: "Wir üben, wie wir kämpfen… also einen Job zu haben, wo man sich keinen Fehler erlauben kann, finde ich superkrass!"
Werbung contra Information. Sozialdemokrat Timo Schramm aus Berlin-Neukölln, glaubt nicht, dass das einfach zu trennen ist. Er war vier Jahre Zeitsoldat, auch in Afghanistan - und hält den Berliner Beschluss für richtig.
Schramm: "Also Youtube-Formate mit martialischer Musik unterlegt, das ist Werbung, das ist was anderes als Information. Aber da müssen wir uns ja auch nichts vormachen: Wenn ich Offiziere vor eine Klasse schicke, dann ist da zwar die Intention der Information da, aber wir haben ja auch eine Wirkung, und diese Wirkung ist dann eben doch ne Werbung!"
Czarnitzy: "Ja, bedanke mich erst mal für die Aufmerksamkeit und die Mitarbeit. Dankeschön! (lautes Klopfen)
Jan Czarnitzki beendet seinen Vortrag. War das nun Werbung für die Bundeswehr? Die 16-jährige Juli schüttelt den Kopf:
"Ne, ich denke, das ist nur Information, wir hatten ja schon andere Studientage, und da war die Polizei ja auch hier und da hätten, die ja quasi auch Werbung gemacht."
"Im Endeffekt ist die Bundeswehr ja ein wichtiger Teil von Deutschland, da finde ich das auch okay, dass die hier an Schulen informiert und wirbt!"
Gefahren des Jobs
So der 17-jährige John. Also doch ein bisschen Werbung? Als die Schüler in der Fragerunde zum Abschluss wissen wollen, wie viel Eurofighter derzeit tatsächlich fliegen können, geht Czarnitzkis Antwort wohl eher nach hinten los. Wie gefährlich ist der Job? Hält er Afghanistan für ein sicheres Herkunftsland? - Der Staatsbürger in Uniform hat einiges zu beantworten und hofft, dass er dies auch in Zukunft tun darf…
Czarnitzki: "Da wir als Jugendoffiziere eben die Diensterfahrung haben, wer von den Lehrern ist denn mal im Einsatz gewesen? Uns geht es auch darum, dieses Bindeglied zwischen Bundeswehr und Gesellschaft darzustellen, gerade mit dem Aussetzen der Wehrpflicht!"
Neue Rekruten jedenfalls dürfte er spontan nicht gewonnen haben. Jelaine, 17 Jahre alt, wiegelt ab. Sie findet, dass die Gefahren des Jobs deutlich zur Sprache gekommen sind.
Jelaine: "Er hat es uns sehr nah gebracht. Mir ist auf jeden Fall bewusst, dass man in diesem Job auch sein Leben riskieren kann. Deswegen ist es auch ein Grund, warum dieser Job nichts für mich wäre!"