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Julia Ebner: "Radikalisierungsmaschinen"
Hochmoderne Technik für anti-moderne Visionen

Das Internet wird immer mehr zum Kampfplatz extremistischer und terroristischer Gruppierungen. Die Österreicherin Julia Ebner – eine risikofreudige Forscherin – hat sich undercover in ein Dutzend solcher Gruppen eingeschleust und deren Strategien erkundet. Resultat: das Buch „Radikalisierungsmaschinen“.

Von Günter Kaindlstorfer |
Besucher des Kongresses des Chaos Computer Clubs (CCC) spielen mit ihrem digitalem Spiegelbild.
Egal ob Hate-Speaker, rassistische Hacker, Neonazis oder dschihadistische Infokrieger - Julia Ebner zeigt die Welt im Inneren extremistischer Gruppierungen. (picture alliance / dpa / Axel Heimken)
Es ist keine schöne Welt, in die uns Julia Ebner da entführt. Wir bekommen es mit Hate-Speakern und rassistischen Hackern, mit Neonazis, Reichsbürgern und dschihadistischen Infokriegern zu tun, mit Verschwörungstheoretikern, islamistischen Netzdemagogen und militanten Männerrechtlern. Julia Ebner hat unter fünf verschiedenen Identitäten Zugang zu einem Dutzend extremistischer Gruppierungen gesucht, online wie offline, von den rechtsextremen Identitären bis hin zu einer streng geheimen Hackertruppe des IS. Im Wesentlichen, so Ebner, verfolgen all diese Gruppen im Netz drei Ziele:

"Einerseits geht’s Extremisten darum, Sympathisanten zu rekrutieren und zu radikalisieren. Es geht ihnen aber auch darum, ihre Gegner einzuschüchtern - Politiker, Aktivisten und Journalisten, immer mehr geraten aber auch Forscher ins Visier von Extremisten. Die dritte Dimension ist die Manipulation von uns allen: dass sie’s schaffen im Vorfeld von Wahlen, den Online-Diskurs so sehr in eine Richtung zu drehen, dass sie dann Einfluss auf die öffentliche Debatte ausüben können."
Auf den Spuren einer toxischen Mischung
Nun ist es natürlich so, dass zwischen einem rassistischen Trump-Bewunderer aus Tennessee und einem Dschihadisten aus Gaza-Stadt, zwischen einem militanten Männerrechtler aus Innsbruck und einem IS-Sympathisanten aus Berlin-Neukölln enorme ideologische Unterschiede bestehen. Diese Unterschiede sind allerdings rein inhaltlicher Natur, betont Julia Ebner, auf struktureller Ebene gibt es frappierende Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Gruppen. Julia Ebner schreibt dazu in ihrem Buch:
"Oberflächlich betrachtet haben die Gruppierungen, denen ich mich angeschlossen habe, nur wenig gemeinsam. Aber ihre interne Funktionsweise ist doch sehr ähnlich: Ihre Anführer generieren geschützte soziale Blasen, in denen sie zu anti-sozialem Verhalten im Rest der Welt aufrufen. Und ihre Mitglieder verbreiten rund um den Globus anti-globalistische Ideologien und nutzen hochmoderne Technik, um ihre anti-modernen Visionen Wirklichkeit werden zu lassen."
Technikbegeisterte Rückwärtsgewandtheit: Diese Haltung eint die Netz-Extremisten aller Couleurs. Julia Ebner betont – und das ist die zentrale These ihres Buchs -, dass wir heute eine "toxische Mischung aus ideologischer Vergangenheitssehnsucht und technologischem Futurismus erleben" – eine hochexplosive Mischung.
Einflussnahme auf die Politik
Besonderes Augenmerk schenkt Ebner der "Identitären Bewegung", die, von Frankreich und Österreich ausgehend, so etwas wie eine faschistische Hipster-Internationale entwickeln will. Die Identitären bieten nicht nur Dating-Apps für nationalistische Aktivistinnen und Aktivisten an, eine Art "Tinder" für Rechtsextreme, mit spektakulären Aktionen im öffentlichen Raum rekrutieren sie auch Anhänger. Ihr Ziel: ein "ethnisch reines" Europa, ohne Muslime. Die Identitären, fasst Julia Ebner zusammen, betreiben in Reinkultur, was die Neue Rechte "Metapolitik" nennt:
"Das ist genau ihr Ziel: Sie wollen das das Sagbare und gesellschaftlich Akzeptierte nach rechts verschieben und so längerfristig auf die Politik Einfluss ausüben."

Die Identitären schrecken auch vor Internet-Mobbing und gezieltem Psychoterror im Netz nicht zurück. Julia Ebner zitiert in ihrem Buch aus dem "Medienguerilla-Handbuch" der "Identitären Bewegung". Dort empfehlen die Jung-Faschisten, die gerne Heidegger und Carl Schmitt zitieren, dass man im Netz bevorzugt junge Frauen fertig machen solle, die sich kritisch über die Identitären äußern, am besten solche, "die direkt von der Uni" kämen. Die seien klassische Opfer, die es nicht gewöhnt seien einzustecken.
"Und da ziehe jedes Register", empfiehlt das Identitären-Handbuch. "Lass nichts aus. Schwacher Punkt ist oftmals die Familie. Hab immer ein Repertoire an Beleidigungen, die Du auf den jeweiligen Gegner anpassen kannst."
Flaggen der Identitären Bewegung auf einer Demonstration in Berlin am 17. Juni 2017 in Berlin.
Flaggen der Identitären Bewegung auf einer Demonstration in Berlin (dpa)
Identitäre konzentrieren sich auf junge Menschen
Wie hoch ist Julia Ebners Einschätzung nach die Schlagkraft der Identitären? Hält sie diese Gruppe für realpolitisch bedeutsam, oder machen sich die ultrarechten Streetfighter in der öffentlichen Wahrnehmung wichtiger als sie tatsächlich sind?

"Ich würde sie sogar als eine der gefährlichsten rechtsextremen Jugendbewegungen in Europa bezeichnen, vor allem auch, weil sie sich auch wirklich an die Zielgruppe 'junge Menschen’ wenden und sich ganz gezielt auf Unis, Schulen und andere Orte, an denen sie junge Menschen treffen, spezialisiert haben."
Julia Ebners Buch, eine Cyberspace-"Wallraffiade", ist eine zutiefst beunruhigende Lektüre. Dass es oft einsame Menschen sind, die sich im Netz zu Extremisten entwickeln, kontaktarme Menschen mit Selbstwertproblemen, wie Ebner konstatiert, macht die Sache nicht besser. Und dass die großen Plattformen genau diese Menschen lieben, weil sie viele, viele Stunden täglich im Netz verbringen und die Nutzerzahlen und damit die Werbeerlöse in die Höhe treiben, ist auch kein Trost.
Julia Ebner: "Radikalisierungsmaschinen – Wie Extremisten die neuen Technologien nutzen und uns manipulieren"
Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann
Suhrkamp-Verlag, 334 Seiten, EUR 18,--, sFr 25,90.