So beginnt das Eingangs-Adagio zur Sonate Nr. 3 C-dur, WV 1005 von Johann Sebastian Bach. Und vor allem: So spielt es die 22jährige Julia Fischer auf ihrer brandneuen CD, die Mitte dieser Woche die Redaktionen erreichte und über die brandaktuell informieren zu können nun wirklich ein besonderes Vergnügen darstellt. Nicht zuletzt auch deswegen, weil Julia Fischer ja einmal Trägerin des Förderpreises des Deutschlandfunks war. Da hatte sie zwar noch nicht ihr Abitur absolviert, aber daß sie einmal zu den ganz großen Musikerinnen zu rechnen sein würde, das zeichnete sich damals schon mit aller Deutlichkeit ab. Es fehlt ihr denn auch keineswegs an Selbstbewusstsein. Das wiederum ist zu den Voraussetzungen zu rechnen, wenn eine Geigerin schon in so jungen Jahren eine Doppel-CD mit allen Solopartiten und -sonaten von Johann Sebastian Bach vorlegt. Die von Julia Fischer ist übrigens bei Pentatone erschienen, ist im Super Audio-Format ediert und bietet die erfreuliche Zugabe einer DVD mit Interview und Impressionen von den Aufnahmen. Man hat es also mit einem vollkommen professionellen Auftritt zu tun und vermutet wohl nicht ganz zu Unrecht, daß die junge Künstlerin unbeschadet der Süße-Mädel-Fotos, die das Ganze zieren, doch ganz schön abgekocht ist, was ihre öffentliche Präsentation angeht. Anderseits ist das sehr persönliche Geleitwort, das Julia Fischer für diese Bach-Aufnahmen geschrieben hat, von einer entwaffnenden Offenheit und zugleich Klugheit, so daß man eigentlich schon bei dessen Lektüre begreifen muß: Hier geht's eben doch nicht in erster Linie um den öffentlichen Auftritt, sondern um eine sehr besondere und zugleich sehr beeindruckende musikalische Aussage. Davon gab der Beginn des Adagios zur C-dur-Sonate gerade schon einen ersten Eindruck, wobei hinzuzufügen wäre, daß C-dur auf der Violine eine äußerst unbequeme und risikoreiche Tonart darstellt. Julia Fischer verleiht diesem Adagio einen tiefernsten Zug ins Apokalyptische, der die ganze Sonate prägt. Die Fuge entwickelt eine überwältigende Größe und sprengt mit ihren mehr als zehn Minuten Dauer ja auch den üblichen Rahmen. Gerade an der C-dur-Sonate wird ein, wie mir scheint, wichtiger Aspekt dieser Interpretation deutlich: Julia Fischer verleiht bei aller Reinheit und Klarheit der Intonation den Akkorden ein hohes Maß an dynamischer Innenspannung, färbt insbesondere die Terzen um jene winzige Nuancen, die innerhalb der Klänge für formzeugende Tendenzen sorgen. Das abschließende Allegro assai nach einem so melancholischen Largo, daß einem schier das Herz stehen bleibt, spielt Julia Fischer wiederum mit mitreißender Wildheit und Virtuosität.
Von dem Geleitwort, das Julia Fischer ihrer Bach-CD mitgegeben hat, war bereits die Rede. Darin verweist sie einerseits auf eine Begegnung mit Yehudi Menuhin, anderseits auf Aufnahmen mit zwei großen Pianisten, nämlich mit Glenn Gould und Evgenij Kissin. Dazu sollte man wissen, daß Julia Fischer eine mehr als passable Pianistin ist. Mag sein, daß solche Begegnungen dieser hellwachen Musikerin Denkanstöße gegeben haben. Tatsächlich aber ist es die emotionale Wucht, die ihre Bach-Interpretation zurzeit ziemlich unvergleichlich macht. Und wer irgendwann einmal gelernt zu haben glaubte, Bachs Musik sei vor allem Struktur, der begreift an diesen Aufnahmen, daß die Struktur Bachscher Musik offenkundig vor allem dem Willen entsprang, das Übermaß an Emotion überhaupt in Form zu bringen. Interessanter Weise sind bei Julia Fischer denn auch die Sonaten, denen man doch die eher strenge Formsprache nachsagt, von noch stärker bezwingender Dramatik als die Partiten. Zum Beispiel die Fuge aus der 1.Sonate, der in g-moll, mit der der Zyklus der sechs Werke eröffnet wird.
Es wurde eben schon gesagt: Julia Fischer verleiht bei dieser Gesamtaufnahme der Solosonaten und -partiten von Johann Sebastian Bach gerade den Sonaten gesteigerte Dramatik, wobei jede der drei Fugen ihre je eigene Entwicklung nimmt. Die Partiten wirken demgegenüber unbeschadet der Tatsache, daß gerade sie ja aus so genannten Charakterstücken bestehen, vergleichsweise spielerisch, insbesondere die Partita in d-moll. Selbst deren Sarabande scheint ganz nach innen gewandte Musik und wie gedankenverloren. Die Gigue nimmt Julia Fischer erstaunlich gelassen und gelöst, ganz so, als habe sie alle Zeit der Welt und als gehe es nur um ein Intermezzo zwischen Sarabande und Chaconne - die meisten Geiger lassen hier ihren virtuosen Fähigkeiten freien Lauf. Die eigentliche Spannung besteht also zwischen Sarabande und Chaconne, und zwar so, als breche die letztere aus der ersteren hervor.
Natürlich ist die Ciacona auch bei Julia Fischer nicht nur der Höhepunkt von Bachs Partita d-moll, sondern auch das Zentrum des ganzen Zyklus' der 6 Sonaten und Partiten für Violine solo. Bei dieser großen jungen Geigerin bricht da ein Kosmos auseinander, nämlich der scheinbar wohlgeordnete Kosmos barocken Denkens und beherrschten Fühlens. Das Transitorische dieser Musik tritt einem mit aller Unmittelbarkeit und Heftigkeit entgegen. Man denkt daran, daß wir nur Passanten sind, die sich durch Passagen bewegen - die Ciacona ist ja nicht von ungefähr der Passacaglia wesensverwandt, und glaubt Julia Fischer aufs Wort, wenn sie in ihrem Einführungstext schreibt, diese Aufnahme stelle nur den Abschnitt einer musikalischen Reise dar, die keineswegs zu Ende sei. Dennoch: die Edition dieser Gesamtaufnahme stellt durchaus ein Datum dar.
Heute stellten wir Ihnen die Neuaufnahme aller sechs Sonaten und Partiten für Violine solo von Johann Sebastian Bach mit der Geigerin Julia Fischer vor. Die Doppel-CD ist in diesen Tagen bei dem Label Pentatone erschienen und in aller Kürze auch im Handel verfügbar
"Julia Fischer - J.S. Bach: Sonatas and Partitas for Solo Violine BWV 1001-1006"
Solistin: Julia Fischer, Violine
Label: PentaTone
Labelcode: LC 09081
Bestell-Nr.: PTC 5186072