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Julia Trompeter: "Frühling in Utrecht"
Liebeskummer auf Kulturwissenschaftlich

Nach der Trennung von ihrem Freund zieht die hochgebildete Klara spontan nach Utrecht. Hier will die Berliner Kneipenwirtin ganz neu anfangen. Doch schon bald merkt Klara, dass nicht nur das Niederländische seine Tücken hat. Auch ihr gebrochenes Herz ist nicht mit Theorieformeln zu verarzten. 

Von Gisa Funck | 05.03.2019
Die Oudegracht in Utrecht. Im Hintergrund ist der Utrechter Dom zu sehen.
Zwischen Liebeskummer-Chronik und Kultur-Reiseführer: "Frühling in Utrecht" (imago / Joana Kruse)
Liebeskummer ist die große, literarische Krankheit. Und sofern sich die Liebeskummer-Patienten der Literaturgeschichte nicht gleich das Leben nehmen, treten sie in der Regel die Flucht an: Bevorzugt in den Krieg oder in den Wahnsinn. Auf jeden Fall möglichst weit weg vom Ort der Liebesenttäuschung.
Genau das ist auch die klassisch anmutende Ausgangssituation in Julia Trompeters zweiten Roman. Denn auch dessen Heldin Klara hat schlimmen Liebeskummer und ergreift die Flucht. Eines Morgens – es ist sinnträchtig der erste November, Allerheiligen – besteigt Klara von Berlin aus einen Zug Richtung Holland. Spontan fährt sie durch bis nach Utrecht:
"Mein anvisiertes Reiseziel hieß weg, weg aus Berlin, weg aus Deutschland, und weil ich nicht gerne flog und zudem, außer dem Englischen und Lateinischen, keine nennenswerten Sprachkenntnisse besaß, war mir Holland in den Sinn gekommen. Über Utrecht hatte mal jemand ein Buch geschrieben, in dem es um die Rückführung von beschlagnahmten Fahrrädern nach dem Zweiten Weltkrieg geht. Diese Idee und der Name der Stadt waren mir sympathisch – und so fiel meine Wahl eben auf Utrecht."
Liebeskummerflucht nach Utrecht
Schon in Trompeters erstem Roman "Die Mittlerin" über eine junge Schriftstellerin spielten Literaturverweise und ständig zwischengeschaltete Reflexionen eine große Rolle. Das ist nun auch in "Frühling in Utrecht" wieder so. Wer hier also ein packendes Herz-Schmerz-Drama mit stringentem Plot erwartet, wird enttäuscht. Denn besonders Ungewöhnliches oder Dramatisches erlebt die Ich-Erzählerin Klara in Utrecht nicht, zumindest von außen betrachtet.
Stattdessen ging es Trompeter offenkundig darum, von der inneren Wandlung ihrer Heldin zu erzählen. Was natürlich schnell hätte kitschig werden können. Doch dieser Kitsch-Gefahr beugt die Autorin frühzeitig dadurch vor, dass sie ihre Heldin in Utrecht radikal alle Brücken abbrechen lässt. Klara verbietet sich nicht nur strikt, an Berlin und ihren Ex-Freund Hauke zurückzudenken. Sie meldet sich auch bei Freunden nicht mehr – und nur pflichtmäßig bei den Eltern.
Kurzum: Klara tut so, als wäre sie in Utrecht noch einmal ganz neu auf die Welt gekommen. Und je strikter sie ihre Vergangenheit ausblendet, umso akribischer beginnt sie, ihre neue Umgebung zu erforschen – insbesondere die Tücken der niederländischen Sprache:
"(Ich hatte) begonnen ein Tagebuch zu führen, in dem ich all die verwirrenden, minimalen Abweichungen zwischen meiner neuen und meiner alten Welt notierte. Das Problem war nun aber, dass hier oftmals Dinge als gleich erschienen, die es gar nicht waren. Und für mich, die ich deutschsprachig aufgewachsen war, kam erschwerend hinzu, dass gar vieles hier nicht nur so ähnlich war wie in Deutschland, sondern oft auch so ähnlich hieß, manchmal aber ähnlich oder gleich hieß, ohne das Ähnliche zu meinen, sondern etwas ganz anderes. Diese falschen Freunde waren die größten Herausforderungen."
Soziolinguistische Betrachtung der Niederlande
Seitenlang sinniert Trompeters linguistisch interessierte Privatsoziologin Klara darüber nach, warum man das niederländische "Broodje" nicht mit dem deutschen "Brot" vergleichen kann. Oder sie stellt fest, dass Niederländer im Vergleich zu Deutschen häufiger und riskanter Fahrrad fahren – und somit womöglich auch sonst fitter und risikofreudiger sind. Und spätestens, als ganze Kapitel nach niederländischen Feiertagen benannt sind, wird klar, dass man es bei "Frühling in Utrecht" mit einer durchaus originellen Mischung aus Liebeskummer-Chronik und Kultur-Reiseführer zu tun hat.
Allerdings mit einer Mischung, bei der das Mischungsverhältnis schon bald nicht mehr so recht stimmt. Denn vor lauter Reflexionen über das Niederländische und die Niederländer verliert die selbsternannte Sozio-Linguistin Klara ihr Hauptthema, den Liebeskummer, allzu sehr aus dem Blick. Zumal sie ihre Überlegungen auch noch gern akademisch-gelehrt verpackt, so dass man sich stellenweise eher wie in einer Uni-Vorlesung vorkommt – und nicht wie in einem Herzschmerz-Roman.
Angeblich, so heißt es zwar im Buch, hat Klara in Berlin früher eine Kneipe geführt. Sie redet aber wie eine verkappte Kulturwissenschaftlerin, die nicht nur Literaten wie Goethe, Thomas Mann oder Paul Nizon zitiert, sondern auch mit diversen Psycho- und Soziologie-Theorien bestens vertraut ist. Was zum Beispiel dazu führt, dass Klara sogar beim Techtelmechtel mit ihrem neuen, holländischen Freund Thijs darüber nachdenkt, welchem Angst-Typus Thijs wohl entspricht – in der psychologischen Charakter-Typologie von Fritz Riemann:
"Jeder Mensch ist laut Riemann mit einem Charakter ausgestattet, der einen depressiven, einen schizoiden, einen zwanghaften und einen hysterischen Anteil hat. Und zu jedem gehört auch eine bestimmte Form der Angst. Von mir selbst ahne ich, dass ich wohl eine Mischung aus dem depressiven und dem schizoiden Typ bin, aber was für eine Mischung ist Thijs?"
An anderer Stelle liegt Klara nach einem Fahrradunfall im Krankenhaus – und überlegt beim Anblick eines T-Shirts mit Deich-Schafen mehrere Seiten lang, ob der Name des Philosophen Sloterdijk womöglich mit "Deich-Schließer" übersetzt werden könnte. Oder sie hat bei einem zugelaufenen Basset-Hund sofort die Formel "Auf den Hund gekommen" im Kopf: inklusive des berühmten McLuhan-Satzes vom Medium als "message".
Mag sein: Solche intellektuellen Insider-Gags sollen lustig sein, wie der Klappentext behauptet. Doch fernab des universitären Oberseminars wirken solche Verweis-Spielchen so albern und überspannt, dass man "Frühling in Utrecht" eigentlich lieber weglegen würde. Doch das wäre schade, weil es glücklicherweise auch andere, ernsthaftere Stellen in dieser 260-seitigen Liebeskummer-Beichte gibt. Nämlich jene, in denen die dauerreflektierende Klara dankenswerterweise auch mal ihre intellektuelle Brille absetzt. Und endlich einfach mal traurig wird.
Plötzlich geht es um Gott und Wundermomente
Etwa dort, wo sich Klara als Weihnachts-Romantikerin outet, die im Koffer sogar ihren eigenen Weihnachtsschmuck mitgebracht hat. Oder auch dort, wo sie sich an den ersten, entscheidenden Riss zwischen Hauke und ihr erinnert, auf einem Winterspaziergang:
"Irgendwann war ich einfach stehengeblieben. Schneetreiben über mir, um mich herum. Totale Einsamkeit, brausende Stille. Und dann, ja dann: Wie dies beschreiben? Ein plötzliches Gefühl von Erleichterung, als die Silhouette des Mannes, mit dem ich doch eigentlich hätte verbunden sein sollen, sich im Flockenmeer auflöste. Und dann hatte ich das Christkind gesehen. Es war nur einen winzigen Moment sichtbar gewesen. Und da hatte ich dann gewusst, dass es Zeit war, nach Hause zu gehen."
Es ist erstaunlich, wie oft die hochintellektuelle Klara zwischendurch immer wieder von Gott, Jesus und anderen Himmelsmächten spricht. Und diese unverhofft auftretende Wundergläubigkeit wirkt tatsächlich weniger kitschig als sympathisch, weil sie Klaras überspannte Intellektualität wohltuend bricht – und deren Liebeskummer überhaupt erst spürbar macht.
Poetische Läuterung einer Hyper-Rationalistin
Beruhigenderweise taucht irgendwann auch der zunächst verdrängte Ex-Freund Hauke wieder auf, wenngleich nur als Geistergestalt in Klaras Tag- und Nachtträumen. Aber so ist die Hyper-Rationalistin schließlich doch gezwungen, sich mit ihrem Verlustschmerz zu beschäftigen. Und dabei helfen Klara dann ironischerweise keine Psycho-Formeln, sondern ausgerechnet die schwärmerischen Zeilen eines berühmten, betont anti-rationalistischen Dichters.
Diese poetische Läuterung der hochgetunten Lebens-Theoretikerin Klara war von Trompeter wohl auch beabsichtigt. Man würde der als Post-Doktorandin in Utrecht arbeitenden Autorin aber trotzdem ans Herz legen, in Zukunft ruhig öfter mal auf intellektuelle Referenzen und akademisches Wortgeklingel zu verzichten.
Julia Trompeter: "Frühling in Utrecht"
Schöffling und Co., Frankfurt a. M. 264 Seiten, 22 Euro