Nein, Julian Assange sollte nicht an die USA ausgeliefert, und ja: Er sollte im Gegenteil aus der Haft nach Hause entlassen werden. Der 53-Jährige kann sich seit 13 Jahren nicht mehr frei bewegen. Nach allem, was wir hören, ist er körperlich und seelisch gebrochen. Es ist höchste Zeit, von dem Whistleblower abzulassen, dessen großer Verdienst es ist, Kriegsverbrechen der Amerikaner im Irak und in Afghanistan öffentlich gemacht zu haben. Es wäre ein Akt der Menschlichkeit. Noch dazu in einer Zeit, die Menschlichkeit so schmerzlich vermissen lässt.
Dies vorausgeschickt, ist Julian Assanges Geschichte nicht das Helden-Epos, zu dem seine Unterstützer in aller Welt sie von Beginn an verklären. Assange ist kein politischer Gefangener, unterdrückt von ruchlosen Mächten, denen er gewagt hat die Stirn zu bieten. Seine Frau hat ihn mit Alexej Nawalny verglichen. Es ist der jüngste Spin im Team Assange und der Gipfel der Hybris.
USA wollen Whistleblower abschrecken
Der Kampf für Assange, sagen die, die ihn führen, sei ein Kampf für die Pressefreiheit. Und ja: Vermutlich wollen die USA weitere Whistleblower abschrecken, indem sie einen von ihnen besonders hart verfolgen. Trotzdem ist Julian Assange kein investigativer Journalist, sondern ein politischer Aktivist. Medien, die mit ihm zusammengearbeitet haben, trieb er an den Rand der Verzweiflung, weil er keine redaktionelle Aufbereitung der geleakten US-Dokumente zulassen wollte.
Die USA werfen ihm unter anderem vor, Namen von Informanten in seinen Veröffentlichungen nicht geschwärzt und damit ihr Leben gefährdet zu haben. Im US-Wahlkampf 2016 schlug er sich mit der Veröffentlichung von Dokumenten, die von Russland gehackt worden sein sollen und der Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton schadeten, auf die Seite von Donald Trump. Journalisten, auch investigative, tun so etwas nicht. Sie klären auf und versuchen nicht, selbst Politik zu machen.
Assange Geschichte spielt in einer Grauzone
Stella Assange hat Medienvertreter gerade davor gewarnt, falsch über Zusagen der Gegenseite zu berichten. Die US-Anwälte hatten ihrem Mann vor Gericht faire Haftbedingungen versprochen. Das so wiederzugeben, sagt sie, sei nicht nur irreführend, sondern böswillig. Die Zusagen seien nichts wert. Mag sein. Aber wie verträgt es sich mit der Pressefreiheit, Journalisten vorschreiben zu wollen, was und wie sie besser nicht berichten sollen?
Die Geschichte von Julian Assange ist nicht Schwarz-Weiß, sie spielt in einer Grauzone. Und Beteiligte wie Publikum stecken im letzten oder vorletzten Kapitel. Hoffentlich gibt es kein dramatisches, sondern ein versöhnliches Ende. Eins, in dem Julian Assange aus der Haft entlassen wird und in seine australische Heimat zurückkehrt, zum Beispiel. Die Welt wäre danach jedenfalls kein schlechterer Ort.